Darum geht es: Ein neues Expertengremium soll sich eingehend mit den Arbeitszeiten der Lehrer in Niedersachsen befassen. Ein Kommentar von Martin Brüning:
Der Unmut bei vielen Lehrern ist groß und das nicht erst seit dem Arbeitszeiturteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg. Große Klassen, zahlreiche Projekte, Inklusion, Flüchtlinge, Ganztagsunterricht: Die Aufgaben für Lehrer, nicht nur in Niedersachsen, haben sich in den vergangenen Jahren vervielfacht. Auch in anderen Berufen gibt es eine deutliche Verdichtung von Arbeit. In den Schulen hat sich diese aber besonders dramatisch entwickelt.
Der freche Spruch „Lehrer haben morgens recht und nachmittags frei“ gilt schon lange nicht mehr. Im Zweifel mühen sich die Lehrer morgens ab, einer immer inhomogeneren Schülerschaft so gut wie möglich Wissen zu vermitteln und arbeiten nachmittags das ab, was liegen geblieben ist. Und sogar das Recht, recht zu haben, wird ihnen allzu oft von Helikopter-Eltern abgesprochen, die selbst gerne Recht behalten. Hinzu kommt das Problem der mangelhaften Unterrichtsversorgung. Traumjob Lehrer? Irgendwie nicht mehr so richtig.
Die ideologisch behaftete und zum Leidwesen vieler Schüler experimentierfreudige Bildungspolitik hat an dieser Entwicklung eine großen Anteil. Von den Lehrern wird all das gefordert, was politisch gerade wünschenswert erscheint. Wenn allerdings Sonntagsrede und die Realität im Klassenraum zu weit auseinanderfallen, entsteht keine „gute Schule“, wie es die Landesregierung formulieren würde, sondern Frust im Lehrerzimmer. Man habe seit geraumer Zeit das Gefühl, „dass die eigentliche pädagogische Tätigkeit im Zuge der Reformen und der vielen Veränderungen an den Schulen immer mehr in den Hintergrund tritt“, sagte kürzlich der Bildungsforscher Matthias Buchardt von der Universität Köln. Stattdessen beschäftige man sich „bis zur Besinnungslosigkeit mit irgendwelchen komischen Verordnungen und Programmen“.
Zumindest beim Thema Arbeitszeit kann das neu geschaffene Gremium nun klar Schiff machen und gegebenenfalls auch Themen ansprechen, um die die Politik in den vergangenen Jahren einen vorsichtigen Bogen gemacht. Interessanter als das Gremium ist aber der Zeitpunkt, an dem das Gremium mit der Arbeit beginnt. Schon heute kann man die Prognose wagen, dass bis zur Landtagswahl im Januar 2018 voraussichtlich kein Ergebnis zu erwarten ist. Damit hat das Expertengremium schon seinen ersten politischen Zweck erfüllt: Kein lauter Streit um die Lehrerarbeitszeit im Wahlkampf. Denn wer gerade verhandelt und Studien erstellt, kann sich schlecht öffentlich beschweren.
https://soundcloud.com/user-385595761/frauke-heiligenstadt-zum-expertengremium-zur-lehrerarbeitszeit
Und es gibt einen weiteren Grund, das Thema mit Hilfe eines Gremiums noch ein wenig auf die lange Bank zu schieben. Das Ergebnis könnte für das Land Niedersachsen teuer werden. Die GEW hat mit ihren Forderungen, unter anderem auch zur angeglichenen Unterrichtsverpflichtung an allen Schulformen, bereits deutlich gemacht, wo die Reise hingehen könnte. Deshalb gilt für jede Landesregierung in Bezug auf eine mögliche Entscheidung des Gremiums sowohl wahltaktisch als auch finanzpolitisch: Besser zu spät als zu früh.
Mail an den Autor dieses KommentarsDieser Artikel erschien in Ausgabe #181.