25. Juni 2020 · Bildung

Bertelsmann-Studie: Schulische Inklusion hängt vom Wohnort ab

Niedersachsen hängt laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung bei der Inklusion in Schulen noch anderen Ländern hinterher, könnte aber in den nächsten Jahren Boden gut machen. Die Stiftung hat Daten der Kultusministerkonferenz (KMK) verglichen, aus denen hervorgeht, dass die Zahl der Kinder, die in Niedersachsen Förderschulen besuchen, innerhalb von zehn Jahren um 1,2 Prozentpunkte gesunken ist. Lag sie im Schuljahr 2008/2009 noch bei 4,4 Prozent, sank sie zehn Jahre später auf 2,2 Prozent. Man sehe große regionale Unterschiede zwischen den Ländern, stellt der Vorstand der Bertelsmann-Stiftung, Jörg Dräger, fest. Bundesweit ging der sogenannte Exklusionsanteil, also der Kinder, die Förderschulen besuchen, im Zehn-Jahres-Vergleich um 0,6 Prozentpunkte zurück, die Differenz reicht dabei von Rheinland-Pfalz, wo mit einer Steigerung von 0,4 Prozentpunkten sogar mehr Kinder eine Förderschule besuchten, bis Thüringen, wo der Exklusionsanteil um 3,8 Prozentpunkte zurückging. Niedersachsen liegt im Mittelfeld, könnte sich aber in den kommenden Jahren verbessern. Die Autoren der Studie sehen das Ziel der vollständigen Inklusion allerdings noch in weiter Ferne. „Deutschland kommt insgesamt beim Abbau des ‚exklusiven‘ Unterrichtens in Förderschulen nur langsam voran“, schreiben sie.
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Aus KMK-Vorausberechnungen geht laut der Stiftung hervor, dass die Zahl der Schüler auf Förderschulen in den kommenden zehn Jahren bundesweit weitgehend stagnieren dürfte. „Folgt man diesen Planungen, so ist für Deutschland insgesamt nicht mit einem Fortschritt bei der Annäherung an die Zielsetzungen der UN-Konvention zu rechnen“, meinen die Autoren der Bertelsmann-Studie. Sinken könnte die Zahl der Prognosen zufolge in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und den Stadtstaaten. Demgegenüber sei allerdings in Bayern, Hessen und Mecklenburg-Vorpommern mit einer gegenläufigen Entwicklung zu rechnen. „Ob ein Kind eine Chance auf Inklusion hat, hängt in Deutschland maßgeblich vom Wohnort ab“, kritisiert Dräger.

Inklusion genießt hohe Akzeptanz bei Eltern

Parallel zur Analyse der KMK-Zahlen hat die Bertelsmann-Stiftung das Institut Infratest Dimap beauftragt, die Eltern nach ihrer Meinung zur Inklusion zu befragen. Den Ergebnissen zufolge hat die Inklusion zwar eine hohe Akzeptanz bei den Müttern und Vätern, allerdings gibt es deutlich Unterschiede je nach Art der Beeinträchtigung. So befürworten 94 Prozent der Eltern das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Behinderung, wenn es um körperliche Beeinträchtigungen geht, Kinder also zum Beispiel auf den Rollstuhl angewiesen sind. 71 Prozent der Eltern finden es gut, wenn Kinder mit Sprachschwierigkeiten am inklusiven Unterricht teilnehmen, bei Kindern mit Lernschwierigkeiten sinkt der Wert auf 65 Prozent. Weniger als die Hälfte der Eltern spricht sich allerdings für das gemeinsame Lernen mit Kindern mit geistiger Behinderung (48 Prozent) und Kindern mit Verhaltensauffälligkeiten (37 Prozent aus). Aus der Umfrage geht auch hervor, dass Eltern von inklusiv unterrichteten Kindern insgesamt zufriedener mit den Schulen, Klassen und Lehrkräften sind. „Mehr Inklusion ist möglich“, so fasst Jörg Dräger die Umfrageergebnisse zusammen. Seiner Meinung nach sollte sich die Politik den Rückenwind durch die Eltern zunutze machen und in den nächsten Jahren deutlich mehr Mut zur Inklusion zeigen. Allerdings sind nicht nur die Eltern eine Hürde für die Inklusion, sondern auch die Sorgen und Nöte der Lehrer. Die Macher der Studie halten fest, dass sich die Lehrkräfte nicht gut vorbereitet fühlen.  Insbesondere die Analysen aktueller Befragungen unter Lehrkräften zeigten, dass sich ein Gutteil von ihnen (je nach Umfrage ein Drittel bis die Hälfte aller Befragten) für die Arbeit in inklusiven Klassen „unzureichend vorbereitet und schlecht begleitet fühlt“, heißt es in der Zusammenfassung. Tendenziell möchten Lehrer demnach lieber keine inklusive Klasse als Klassenlehrer übernehmen. Dennoch machten die jüngeren repräsentativen Befragungen einer breiteren Öffentlichkeit Mut, den Weg der Inklusion weiter zu verfolgen. Bei den befragten Gruppen (Eltern und Lehrern) überwiege die Zustimmung zum Projekt der Inklusion.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #120.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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