Bertelsmann-Expertin: Kindergarten-Kinder wissen, was ein guter Kindergarten bedeutet
Kathrin Bock-Famulla ist Bildungsexpertin bei der Bertelsmann Stiftung in Gütersloh und leitet dort das Projekt „Frühkindliche Bildung“. Sie sprach mit Martin Brüning über das „Gute-Kita-Gesetz“ des Bundes, Sinn und Unsinn der Beitragsfreiheit in Kindergärten und landesweite Fachberatungen für Erzieherinnen.
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Rundblick: Mit dem „Gute-Kita-Gesetz“ des Bundes geht es nicht so richtig voran. Jetzt kommt es nächste Woche doch nicht wie geplant auf die Tagesordnung des Bundestages. Ist das „Gute-Kita-gesetz“ vielleicht doch gar nicht so gut?
Bock-Famulla: Die ursprüngliche Zielsetzung war, die Kita-Qualität bundesweit weiterzuentwickeln. Jetzt ist das Gesetz so angelegt, dass mit dem Geld eine Vielzahl von Maßnahmen möglich ist. Die Grundidee dahinter ist, dass jedes Bundesland andere Baustellen anzugehen hat. Das ist sicherlich auch richtig und deswegen brauchen Länder auch Flexibilität. Gleichzeitig muss man sich aber auch die Frage stellen, ob es damit auch eine Angleichung zwischen den Ländern geben wird. Unserer Meinung nach muss es bundesweite Standards für alle Länder geben, etwa beim Personalschlüssel oder der Ausstattung von Leitungen. Wenn wir das Gesetz ohne Orientierung umsetzen, entsteht ein Fahrstuhl-Effekt – dann fahren alle höher, aber die Kluft zwischen den Ländern bleibt bestehen.
Mehr als die Hälfte würden höhere Gebühren zahlen
Rundblick: Lässt sich denn mit dem Gesetzentwurf in seiner aktuellen Form die Qualität in den Kindergärten überhaupt langfristig verbessern?
Bock-Famulla: Derzeit ist noch eine Befristung des Gesetzes vorgesehen. Bundesländer werden sich allerdings ohne eine Dauerfinanzierung überlegen, ob sie zum Beispiel in verbesserte Personalschlüssel investieren und damit eine längerfristige Verbindlichkeit bei der Finanzierung eingehen, die auch über das Jahr 2022 fortreicht. Deshalb sehen wir bei dem Gesetzentwurf noch Verbesserungsbedarf.
Rundblick: Erlaubt wäre dem jetzigen Entwurf zufolge auch, mit Bundesmitteln die beitragsfreie Kindertagesstätte zu finanzieren, die es in Niedersachsen seit diesem Jahr gibt. War die Beitragsfreiheit Ihrer Meinung nach eine gute Idee?
Bock-Famulla: Die Beitragsfreiheit ist eine sozialpolitische Maßnahme, um Familien zu entlasten. Man muss aber feststellen, dass sich die Qualität der Kitas dadurch nicht verbessern wird. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung hat ergeben, dass mehr als die Hälfte der Eltern bereit wäre, höhere Gebühren zu bezahlen, wenn sich damit die Qualität der Kitas verbessern würde. Eltern haben sehr wohl im Blick, dass die Qualität der Kitas wichtig ist und auch Geld kostet. In der Politik werden dagegen die enormen Investitionen, die für eine Qualitätsverbesserung nötig sind, teilweise unterschätzt. Es geht um eine Vielzahl von Mitteln, die man braucht, um Fachkräfte zu gewinnen, qualifizieren und halten zu können. Dabei geht es nicht allein um den Personalschlüssel, sondern zum Beispiel auch um größere Ausbildungskapazitäten oder eine Ausbildungsvergütung.
Kontinuierliche Beratung absolut nötig
Rundblick: Und es geht um die Unterstützung von Erziehern – zum Beispiel mit einer Fachberatung. In Niedersachsen gibt es Forderungen nach einer landesweit einheitlichen Fachberatung. Ist das sinnvoll?
Bock-Famulla: Derzeit muss es in Niedersachsen eine Fachberatung für jede Kita geben, das sieht das Gesetz vor. Nirgendwo steht aber, in welchem Umfang die Beratung zur Verfügung stehen muss. Dieser Anspruch muss quantifiziert werden. Aus der Forschung wissen wir, dass eine kontinuierliche Beratung sowohl für die Kita-Leitung als auch für das Team unbedingt erforderlich ist. Größere Träger haben solche Fachberatungen, insbesondere Träger mit wenigen Einrichtung können sich das oftmals nicht leisten. Man könnte deshalb eine kommunale Struktur von Fachberatungen einrichten, auf die die Kitas Zugriff hätten. Das Land könnte dabei die Finanzierung absichern, aber es sollte sich auch stärker als bisher Gedanken über die Steuerungsstruktur machen. In diesem Fall ginge es zum Beispiel um einheitliche Qualitätsstandards für Fachberater und um die Frage, wer diese Berater überhaupt ausbildet. Bisher gibt es keinen Ausbildungsstudiengang oder Vergleichbares dafür.
Geheime Orte ohne Erwachsene
Rundblick: Sie haben schon die Umfrage angesprochen, aus der hervorgeht, dass Eltern eine sehr genaue Vorstellung von der Qualität in Kindergärten haben. Jetzt sind die Kinder, um die es geht, noch sehr klein. Dennoch: haben auch sie eine Vorstellung von einer „guten Kita“?
Bock-Famulla: Wir haben in diesem Jahr ein Projekt mit Professorin Nentwig-Gesemann begonnen, die genau dieser Frage mit Blick auf Kinder ab dem vierten Lebensjahr nachgeht. Und wir waren sehr überrascht, dass Kinder durchaus sehr klare Vorstellungen haben. Sie wünschen sich beispielsweise geheime Orte, zu denen Erwachsene keinen Zugang haben – man könnte von „nicht-pädagogisierten“ Situationen sprechen. Sie wünschen sich Erwachsene, die sie unterstützen, sehen also die Fachkräfte als wichtige Ansprechpartner. Und die Kinder hätten gerne viel Raum, um sich bewegen zu können. Das macht deutlich: es ist sinnvoll ist, Fachkräfte so zu qualifizieren, dass sie die Kinder auch nach deren Meinung fragen können.
Rundblick: Wenn man einmal die gesamte frühkindliche Bildung ins Auge fasst und dann alle Bundesländer miteinander vergleicht: Wo steht Niedersachsen im Jahr 2018?
Bock-Famulla: Wir führen seit zehn Jahren ein Länder-Monitoring durch. Dadurch können wir die Entwicklungen sehr gut vergleichen. Hervorzuheben ist für Niedersachsen, dass der Ausbau der Plätze für Kinder unter drei Jahren sehr stark vorangetrieben wurde. Beim ersten Länderreport im Jahr 2007 waren sieben Prozent der unter Dreijährigen in einer Kita, heute sind wir bei 30 Prozent. Dennoch gibt es noch einen deutlichen Entwicklungsbedarf, weil 40 Prozent der Eltern das Interesse haben, ihr Kind betreuen zu lassen. Bei der Qualität erkennen wir auch eine Verbesserung in Niedersachsen. Bei den unter Dreijährigen ist eine Fachkraft für 3,8 Kinder zuständig, damals waren es noch vier Kinder. Aber auch hier gibt es noch Verbesserungsbedarf. Wir empfehlen auf der Grundlage von wissenschaftlichen Studien einen Schlüssel von 1 zu 3. Insgesamt bewegt sich Niedersachsen derzeit im Mittelfeld, es gibt aber noch viel Luft nach oben.Dieser Artikel erschien in Ausgabe #219.