Beispiel des Versagens: Wie ein riesiges Bauprojekt in Hannover aufgehalten wird
von Martin Brüning
„Ich werde hingehalten. Es ist alles nicht zu begreifen“, sagt Günter Papenburg. Gerade hat der Baulöwe eine Gruppe von Journalisten über die Brache und durch die verfallenen Produktionsgebäude von Continental im hannoverschen Stadtteil Limmer geführt. 100 Jahre lang hat der Konzern auf dem Gelände auf der Halbinsel an den Leineauen Produkte aus Gummi hergestellt. Spielzeuge, Isoliermaterial, Reifen. Vor 19 Jahren wurde die Produktion stillgelegt, seitdem gammeln die ehemaligen Fabrikgebäude vor sich hin.
Die Idee einer „Wasserstadt Limmer“ besteht schon seit den frühen 2000er Jahren. Bereits 2002 wurde das Gelände als Baugebiet ausgewiesen, es gab einen Architektenwettbewerb. Aber während in der Landeshauptstadt Familien verzweifelt nach Wohnraum suchen, ist von geplanten rund 1800 Wohnungen und Reihenhäuser nach wie vor nichts zu sehen. Wer Zweifel daran hat, dass die Landesregierung den sozialen Wohnungsbau wie geplant in den kommenden Jahren vervierfachen wird, muss nur nach Limmer schauen, um seine Zweifel bestätigt zu bekommen. Wenn Investoren auf Bürokratie treffen, passiert immer wieder einmal das, was jetzt auf den 23 Hektar im Westen Hannovers zu sehen ist: nichts.
Im Streit um die Wasserstadt Limmer stehen sich Günter Papenburg auf der einen und Hannovers Stadtbaurat Uwe Bodemann auf der anderen Seite recht unversöhnlich gegenüber. Der Investor Papenburg gilt bei Bauprojekten nicht als einfach, schon vor gut zehn Jahren hatte es eine heftige Auseinandersetzung um die von ihm gebaute TUI-Arena in Hannover gegeben. Aber auch mit Bodemann sind viele potenzielle Investoren und Bauunternehmer mehr als unglücklich. Verschleppte Baugenehmigungen, schlechter Stil: Beschwerden über den Stadtbaurat sind immer wieder zur hören.
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Der Konflikt um die Wasserstadt Limmer ist kein Einzelfall. „Es dauert alles extrem lange. Und die Art und Weise, wie mit Investoren umgegangen wird, sorgt dafür, dass Projekte lange dauern und deutlich teurer werden“, sagt Volker Müller, Hauptgeschäftsführer der Unternehmerverbände Niedersachsen (UVN). Häufig müsse man auf die Bebauungspläne warten. Beschweren wollten sich aber nur die wenigsten. „Ich will im Stapel der Behörde nicht noch tiefer rutschen, hören wir dann zur Begründung“, erläutert Müller.
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Beim Wasserstadt-Projekt geht es im Kern um die noch vorhandenen Fabrikgebäude. Ein Teil kann abgerissen werden, wofür allerdings noch die Genehmigung fehlt, ein anderer Teil steht unter Denkmalschutz. Allerdings sind die Gebäude einem Gutachten aus dem Jahr 2015 zufolge mit Nitrosaminen kontaminiert. Der Stoff entsteht bei der Gummiproduktion und ist krebsgefährdend. Der Diplom-Geologe Wolfgang Kumm, Mitarbeiter in einem Hildesheimer Ingenieurbüro, hat bereits vor Jahren geprüft, ob man in den Gebäuden nach einer Sanierung wohnen und arbeiten könnte. „Sensible Folgenutzung“ nennt er das.
In Musterräumen sei getestet worden, ob eine Nutzung des Gebäudes möglich ist und ob man die Kontaminierung in der Griff bekommen könnte. Das Ergebnis war ernüchternd. „Auch im geschützten Raum mit Aluminiumverkleidungen gab es Positivbefunde“, sagt Kumm. Schon vor zwei Jahren war nach Gesprächen mit dem Gesundheitsamt klar: Mit den Gebäuden ist nichts mehr anzufangen. Auch für die Nutzung als Parkhaus oder Lagerraum kommen sie Papenburg zufolge leider nicht in Frage. Er selbst hätte die alten Fabrikgebäude gerne erhalten, sagt der Wasserstadt-Investor.
Papenburg und Bodemann streiten jetzt um den Sicherheitsdienst
Auch mehr als drei Jahre nach dem Gutachten stehen die Gebäude immer noch da und verzögern die Bauarbeiten. Statt neue Wohnungen zu bauen, streiten sich die Stadt und der Bauunternehmer inzwischen über die Absicherung der Fabrikruinen, denn diese ziehen immer wieder Vandalen und Abenteurer an. Die Polizei spricht von einer erheblichen Gefahrenstelle. Das Gelände habe sich zu einem Abenteuerspielplatz mit Eventcharakter entwickelt. Pro Jahr zählt die Polizei 100 Einsätze auf dem Gelände.
Die Stadt hat jetzt einen Sicherheitsdienst beauftragt, das Gelände 24 Stunden am Tag abzusichern. Die 45.000 Euro pro Monat will sie sich von Papenburg zurückholen. Zugleich sind Arbeiter im Moment damit beschäftigt, die offenen Fenster im Erdgeschoss mit Holzplatten zu verschließen. Ohne Mundschutz arbeiten die Männer im Auftrag der Stadt in dem kontaminierten Gebäude. Mitten in der eiskalten Halle brennt ein kleines Feuer.
Aber warum passiert eigentlich so gut wie nichts auf der Großbaustelle? Bodemann hatte noch am Freitag gesagt, für sieben Baufelder im ersten Bauabschnitt seien bereits Anfang September Teilgenehmigungen erteilt worden. Für weitere Abschnitte gebe es noch gar keine Anträge. „Wir wollen endlich Kräne sehen, Herr Papenburg“, forderte Bodemann. „Wir wollen erst einmal die Genehmigungen sehen“, erwidert Papenburg am Montag. Man habe nur die Genehmigungen für die Baugrube, nicht aber für den Hochbau. Er wolle jetzt aber nicht mit der Grube anfangen. „Dafür brauchen wir nur drei bis vier Wochen. Wenn wir dann wegen fehlender Genehmigungen nicht weiterbauen können, kostet es wieder Geld, die Grube absichern und bewachen zu lassen“, sagt Papenburg.
Papenburg wünscht sich bei der Stadt derweil zunächst einmal einen „kompetenten Entscheidungsträger“. Und dabei ist klar, wen er damit nicht meint: Uwe Bodemann.
Für den hannoverschen SPD-Vorsitzenden Alptekin Kirci ist die Wasserstadt Limmer ein baupolitischer Spezialfall. Die Stadt habe in den vergangenen Jahren immer wieder gezeigt, wie gut sie große Bauprojekte stemmen könne, sagt Kirci dem Politikjournal Rundblick. Hindernisse beim Wohnungsbau seien derzeit vielmehr Kapazitätsengpässe in der Baubranche. Sowohl Kirci als auch Hannovers CDU-Kreisvorsitzender Dirk Toepffer sehen die Probleme in Limmer als lösbar an. „Beide Seiten müssen sich einfach an einen Tisch setzen“, meint Toepffer. Entscheidend sei, dass es voran gehe. Die Stadt brauche schließlich dringend zusätzlichen Wohnraum.
Papenburg wünscht sich bei der Stadt derweil zunächst einmal einen „kompetenten Entscheidungsträger“. Und dabei ist klar, wen er damit nicht meint: Uwe Bodemann. Es sei traurig, dass man mit nicht miteinander reden könne. Immerhin gehe es um eine Dimension zwischen 700 Millionen und einer Milliarde Euro, ein Zehntel davon habe man bereits investiert, rechnet der Bauunternehmer vor. Damit hängt der Bau von 1800 Häusern und Wohnungen derzeit an zwei Männern, die sich nicht mehr viel zu sagen haben. Aber Bodemann kann die Wasserstadt nicht selbst bauen. Und Papenburg spielt auf Zeit: „Entweder wir kommen hier weiter, oder wir verschieben es noch für ein paar Jahre. Das kann sich unser Unternehmen leisten.“