Das Bild ist beeindruckend. Im Konferenzraum der Firma Graphmasters im Nordwesten Hannovers hat Alexander Meister in seiner Powerpoint-Präsentation eine Deutschlandkarte mit vielen Punkten an die Wand geworfen. Jeder Punkt ist das Symbol einer Autofahrt, die am 10. Juli vergangenen Jahres stattfand. Die Punkte hatten ein gemeinsames Ziel: das einzige Deutschland-Konzert des Rappers Eminem auf dem Messegelände in Niedersachsens Landeshauptstadt. 75.000 Besucher kamen damals nach Hannover, und die Punkte zeigen, dass das Konzert Fahrtbewegungen in der ganzen Republik auslöste.

Weniger Stau auf den Straßen: Ein Ziel, dass durch kollaborative Routenführung näherrücken könnte – Foto: Marco2811

Schon am frühen Morgen setzen sich Fans in Freiburg oder auch München in die Autos, um nach Hannover zu fahren. Die Firma Graphmasters hatte damals die Aufgabe, das Verkehrschaos zu reduzieren. Das junge Unternehmen ist spezialisiert auf vernetztes Fahren und gibt Autofahrern eine individuelle Fahrempfehlung. Das renommierte Massachusetts Institute of Technology (MIT) hat ausgerechnet: Wenn man ein Prozent der Autofahrer in einem Verkehrssystem vernetzt, gibt es bereits eine positive Auswirkung.

Im Fall des Eminem-Konzerts wurden Autofahrer zum Beispiel nach Absprache mit der Polizei sowie der Verkehrsmanagementzentrale nicht über den Messeschnellweg geschickt. Mit der Alternativroute konnte eine Kollision mit dem Berufsverkehr vermieden werden. Wer sich die App der Firma mit dem Namen „Nunav“ auf das Handy geladen hatte, kam früher und staufreier ans Ziel. „90 Prozent halten sich an das, was die Navigationsapp ihnen vorschlägt. Aber nur drei Prozent folgen den Empfehlungen der LED-Schilder am Straßenrand, erklärt Graphmasters-Sprecher Daniel Stolba.

Jeder Fahrer bekommt eine individuelle Route

Aber was unterscheidet das Navigationssystem des hannoverschen Unternehmens von anderen Geräten? Es setzt auf eine kollaborative Routenführung, das bedeutet, die Autos fahren vernetzt. Das klappe bisher nur im Modellversuch, heißt es von zahlreichen Konzernen. Das gehe schon heute im richtigen Straßenverkehr, sagen die Experten von Graphmasters und haben damit in den vergangenen zwei Jahren unter anderem bei einem Innovationsprojekt mit dem Land Niedersachsen und der Region Hannover weitere Erfahrungen gesammelt. Das kollaborative Fahren ist der Grundstein und das Patent der Firma. Die Erfinder gewannen schon vor einigen Jahren mehrere Preise, unter anderem den mit 100.000 US-Dollar dotierten Microsoft Imagine Cup, und gründeten 2013 das Unternehmen. Zu Beginn gab es sieben Mitarbeiter, inzwischen sind es rund 30, und es gibt neben dem Büro in Hannover weitere Dependancen in der Schweiz und Großbritannien.

Facebook

Mit dem Laden des Beitrags akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von Facebook.
Mehr erfahren

Beitrag laden

Klassische Navigationssysteme schicken viele Nutzer auf denselben Weg – und wenn es schlecht läuft, entsteht für viele damit derselbe Stau. Die Nutzer bekommen dann alle dieselbe Ausweichempfehlung. Graphmasters gibt jedem Nutzer eine individuelle Route. „Dadurch entsteht ein Verteileffekt und man ist 30 Prozent schneller“, erklärt Alexander Meister. Das System nutzt bei der Berechnung die eingegeben Ziele der Fahrer, die die App des Unternehmens nutzen. Hinzu kommt die aktuelle Verkehrslage und eine Prognose auf Basis von Erfahrungen. Dabei werden auch Daten hinzugekauft, um ein breiteres Bild zu bekommen. „Es gibt einen permanenten Abgleich der Daten untereinander, um zu ermitteln, ob die Strecke noch passt“, erläutert Meister. Ziel sei es, Staus bereits zu erkennen, bevor sie überhaupt entstehen, um dann den Nutzer der Navigations-App eine individuelle Handlungsempfehlung zu geben.

Auch wenn Maschinen lernen, werden alle das gleiche lernen. Dann drohen autonome Fahrzeuge im Stau zu stehen wie ein Saugroboter, der sich unter dem Tisch festgefahren hat.

Wichtig ist für das Unternehmen auch die Zusammenarbeit mit den Behörden. Ende vergangenen Jahres gewann Graphmasters eine Ausschreibung des Landes und wird in den kommenden drei Jahren mit der Verkehrsmanagementzentrale zusammenarbeiten. „Dabei sind wir das Werkzeug der Zentrale, die mithilfe unseres Verkehrslagebildes die digitale Beschilderung vorausschauend anpassen kann“, sagt Meister. Außerdem geht es bei dem Projekt um digitale Verkehrssteuerung. Beim vernetzten Fahren seien die Landeshauptstadt und das Land Niedersachsen damit im bundesweiten Vergleich weit vorne, vielleicht sogar Weltspitze, ist man bei Graphmasters überzeugt. Andere Länder und Städte seien weit hinterher. Dort würden zwar Konzepte erarbeitet, wie man künftig Staus besser vermeiden könne, die Digitalisierung spiele dabei aber meistens überhaupt keine Rolle.

Durch bessere Routenführung pro Woche eine Mondreise und zurück sparen

Aber wie verdient das Unternehmen aus Hannover überhaupt Geld? Schließlich ist die Navigations-App kostenlos. „Wir verkaufen keine App und wir handeln auch nicht mit Daten“, erklärt Stolba. Wer sich die App herunterlade, müsse sich nicht identifizieren und auch keine E-Mailadresse eingeben. „Uns geht es nur um den Punkt auf der Verkehrskarte, um den Verkehr genauer berechnen zu können. Wer im Auto sitzt, interessiert uns nicht.“

Geld verdient Graphmasters mit der Genauigkeit seiner Verkehrsmodelle. Einer der größten Kunden ist die Flotte des Paketzulieferers Hermes. Man spare durch die bessere Routenführung pro Woche eine Mondreise und zurück, heiße es dort. Das sind rund 760.000 gesparte Kilometer pro Woche. Auch die Flotte der Edeka-Supermärkte gehört zu den „Nunav“-Nutzern. Dort werde durch die Technologie rund jede zehnte Lastwagen-Fahrt durch bessere Routen eingespart. Die Macher der App sehen durch das System, das kürzere Routen ermöglicht, auch größere Chancen für den Einsatz von E-Mobilität im Transportgewerbe.

Die Bedeutung des vernetzten Fahrens wird den Verkehrsexperten zufolge in der Zukunft enorm steigen. Das gelte umso mehr, wenn Autos irgendwann einmal selbst fahren. Stolba meint: „Menschen denken alle ähnlich und fahren derzeit deshalb auf denselben Strecken in dieselben Staus. Aber auch wenn Maschinen lernen, werden sie alle das gleiche lernen. Dann drohen autonome Fahrzeuge im Stau zu stehen wie ein Saugroboter, der sich unter dem Tisch festgefahren hat.“

Stolba wundert sich, dass derzeit zwar viel darüber nachgedacht werde, wie man verhindern könne, dass autonome Fahrzeuge Fußgänger überfahren und den Abstand zum Vordermann einhalten. „Aber es wird wenig darüber nachgedacht, wo die Autos entlangfahren und wer überhaupt über die Strecke entscheidet.“ Dabei sind durch kollaborative Routenführung bereits heute massive Verbesserungen möglich – sogar, wenn man im Oldtimer unterwegs ist. Das Smartphone in der Tasche reicht schon aus. (MB.)