Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) warnt vor einer Überlastung der Rettungsdienste durch eine wachsende Zahl von Bagatelleinsätzen. Immer häufiger werde der Rettungsdienst alarmiert, obwohl eigentlich der ärztliche Notdienst zuständig gewesen wäre oder sogar ein Besuch beim niedergelassenen Arzt ausgereicht hätte. Doch die teilweise unzureichende ärztliche Versorgung in manchen Regionen oder auch eine schlechtere Erreichbarkeit des Patientenservices über die Notrufnummer 116117 verleite offenbar dazu, sich zuverlässigere Hilfe über die altbekannte Nummer 112 zu beschaffen, erklärte Behrens am Donnerstag bei der Vorstellung der Jahresbilanz des Brand- und Katastrophenschutzes sowie der Rettungsdienste in Niedersachsen. Als „dringliche Herausforderung“ bezeichnete Behrens in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit, dass die Anbieter der beiden Notrufnummern künftig enger zusammenarbeiten und ihr Angebot miteinander verschränken. „Die Bürger interessieren sich nicht für Zuständigkeiten“, sagte die Ministerin und skizzierte zwei Lösungswege. Entweder könnte man eine Kampagne auflegen, mit der die Bürger dafür sensibilisiert werden, welche Nummer in welcher Situation gewählt werden sollte. Oder, und diese Alternative bevorzugt Behrens, die 112-Leitstellen könnten künftig auch die Koordination des ärztlichen Notdienstes übernehmen. Zu klären seien dabei allerdings noch Fragen der Finanzierung, denn für den 116117-Patientenservice sind die Krankenkassen zuständig. Man führe „gute Gespräche“ mit der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) und Sozialminister Andreas Philippi (SPD), sagte Behrens.

Innenministerin Daniela Behrens (SPD, Bildmitte) stellt gemeinsam mit Landesbranddirektor Dieter Rohrberg (l.) den Brandschutzbericht vor. | Foto: Kleinwächter

Der Brand- und Katastrophenschutz sei derweil gut aufgestellt, bilanzierte Behrens. Die Kernbotschaften im Überblick:

  • Noch zu viele Fake-Alarme: Bei den Einsatzzahlen der Feuerwehren machte sich im vergangenen Jahr das Ende der Corona-Zeit bemerkbar. Mehr Großveranstaltungen führten zu mehr Routineeinsätzen. Sorgen bereiten Landesbranddirektor Dieter Rohrberg allerdings nach wie vor sogenannte böswillige Alarme, mit denen Einsatzkräfte mit Vorsatz an Orte gerufen werden, wo es gar nichts zu Löschen gibt. „Wenn sie dorthin ausrücken, fehlen sie im schlimmsten Fall anderswo, wo es wirklich brennt.“ Der Landesbranddirektor mahnt: Mutwillige Fehlalarme dieser Art sind strafbar. 2023 hat es zwar weniger dieser Fälle gegeben als im Vorjahr, doch Rohrberg sagt: „647 Fälle sind immer noch 647 Fälle zu viel.“
  • Immer mehr Feuerwehrfrauen: Die Mitgliederentwicklung bei den freiwilligen Feuerwehren in Niedersachsen ist leicht positiv, im vergangenen Jahr engagierten sich über 131.800 Ehrenamtliche. Die Zahl der Frauen nimmt dabei kontinuierlich zu und lag im vorigen Jahr bei fast 19.400. Positiv wird dieser Trend durch die steigende Zahl von Mädchen in der Kinder- und Jugendfeuerwehr beeinflusst.
  • Neuausrichtung der Ausbildung: Neben der Modernisierung der Feuerwehrinfrastruktur, für die das Land über 21 Millionen Euro ausgegeben hat, arbeitet die Feuerwehr auch an einer Anpassung ihrer Ausbildungsangebote. Abgewogen wird, welche Lehrveranstaltungen tatsächlich in Präsenz abgehalten werden müssen und wo es doppelte oder gar veraltete Inhalte gibt. In den Blick nimmt man perspektivisch auch neue Gefahren durch Kriege.
  • Löschflugzeuge könnten bleiben: Behrens kann sich vorstellen, die in Niedersachsen stationierten europäischen Löschflugzeuge, die derzeit in Nordmazedonien im Einsatz sind, auch über die bislang vorgesehene zweijährige Phase hier zu behalten.
Landespolizeidirektor Ralf Leopold (l.) präsentiert das erste Lagebild zur Gewalt gegen Einsatzkräfte. | Foto: Kleinwächter
  • Aggressionen gegen Einsatzkräfte: Erstmals hat Innenministerin Behrens ein Lagebild zu Angriffen auf Einsatzkräfte vorgestellt. Der typische Tatverdächtige sei demnach älter als 21 Jahre, männlich, deutscher Staatsbürger und alkoholisiert. Von Gewalttaten betroffen waren im vergangenen Jahr mehr als 10.000 Polizisten, statistisch betrachtet also jeder zweite Vollzugsbeamte. Bei den Feuerwehren sank die Zahl der Opfer von 84 auf 63. Bei den sonstigen Rettungskräften stieg die Zahl allerdings an auf 327 Betroffene. Insgesamt stagnierten die Fallzahlen auf einem hohen Niveau. Landespolizeidirektor Ralf Leopold kündigte an, dass man künftig genauer analysieren wolle, bei welchen Einsatzanlässen es verstärkt zu Gewalttaten kommt, um die Einsatzkräfte entsprechend besser darauf vorzubereiten. Behrens erinnerte daran, dass es dabei auch um die Frage gehe, wie die Gesellschaft insgesamt mit Menschen in Uniform umgeht. „Wir müssen die Ursachen interdisziplinär analysieren und wir brauchen eine gesellschaftliche Ächtung dieser Taten.“