26. Juni 2024 · 
Parteien

Befreit von einer Last geht Niedersachsens Ministerpräsident in die Sommerpause

In manchen Momenten wirken die Strategen der SPD in Niedersachsen ganz aufmerksam und vorsichtig – immer dann, wenn äußere Umstände einen Erwartungsdruck erzeugen können. Zum Beispiel, als kürzlich die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer ihren Rücktritt erklärte. Dreyer war seit 2013 Regierungschefin, wie auch Stephan Weil. Sie ist Sozialdemokratin, wie Weil. Und sie ist gut zwei Jahre jünger als Weil, fühlt sich aber inzwischen zu kraftlos für das aufreibende Amt. Muss man nicht auch befürchten, dass es Weil ähnlich ergehen kann?

Sturmfest und erdverwachsen: Stephan Weil kann gelassen in die Sommerpause gehen. | Foto: StK/Mohssen Assanimoghaddam

Niedersachsens Ministerpräsident hat erklärt, es handele sich um seine letzte Amtszeit, und die Wahlperiode endet in dreieinhalb Jahren. Kürzlich verriet er in einem Interview, bis zu den nächsten Landtagswahlen im Amt bleiben zu wollen. Aber hört er womöglich doch schon früher auf? Diese Anzeichen sind bisher nicht zu vernehmen. Vielmehr kann man im Gegenteil behaupten, dass Weil durch jüngste Ereignisse parteiintern in der niedersächsischen SPD eher eine Stärkung erfahren hat, sozusagen eine Abhärtung in einer Krise. Im Untersuchungsausschuss zur umstrittenen Gehaltsaufbesserung für seine Büroleiterin sind manche Ungereimtheiten in der Staatskanzlei bekannt geworden, vor allem rund um Weils engen Vertrauten, Staatskanzleichef Jörg Mielke. Doch der Ministerpräsident zeigte sich stur, hielt an Mielke bisher jedenfalls fest und wird jetzt von einigen seiner Berater dafür gelobt. Da nämlich die Staatsanwaltschaft Hannover ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Untreue einstellte, scheint auch aus dem Untersuchungsausschuss die Luft raus zu sein – zumindest jetzt, Ende Juni 2024. Der Nimbus des korrekten Verwalters, der mit Weil seit vielen Jahren verbunden war, hat zwar Schaden genommen. Aber die Machtbasis, die Landtagsfraktionen von SPD und Grünen im Landtag, haben ihm demonstrative Rückendeckung gegeben, kritische Stimmen wurden bisher nicht laut. Damit ist die Belastungsprobe wohl bestanden – und in dieser Situation könnte das sogar die Quelle für neue Kraft sein.

Was die SPD auf Bundesebene angeht, profiliert sich Weil immer wieder in einer vermittelnden Rolle. Er tritt zuweilen mit deutlicher Kritik auf, etwa an der mangelnden Klarheit der Ampel-Regierung in Sachfragen wie der Krankenhausreform, ist aber oft der erste, der vor drastischen Konsequenzen – etwa einer Ablösung des Kanzlers – warnt. Damit hat er die Position eines „Elder Statesman“, eines weisen und erfahrenen Spitzenpolitikers, der in einer verwirrenden politischen Gesamtlage mit Ruhe und Besonnenheit den Überblick behält. Beobachter loben auch sein diplomatisches Geschick, das er etwa auf Auslandsreisen zeigt, und seine strikte Orientierung an Sachfragen. Sein Ruf, kenntnisreich, verlässlich und in Finanzfragen behutsam zu sein, eilt ihm voraus – und vermittelt den Eindruck von Sicherheit. Das wiegt stärker als gelegentliche Hinweise darauf, dass auch Stephan Weil genervt oder erschöpft wirken kann.

Wer sind die Favoriten für eine Weil-Nachfolge?

So deutet im Sommer 2024, einige Jahre vor der nächsten Landtagswahl im Herbst 2027, wenig auf ein bevorstehendes Ende der Politikerkarriere von Stephan Weil hin. In der zweiten und dritten Reihe der SPD, die sich immer wieder neu sortiert, wagt auch niemand, an der Dominanz der Nummer eins zu rütteln. Wer aber sind die Favoriten für den Fall, dass trotzdem plötzlich die Klärung der Weil-Nachfolge nötig würde? Da wird zuerst immer Wirtschaftsminister Olaf Lies genannt, der 2013 parteiinterner Widersacher war und der eine hohe Popularität genießt. Insider sagen, der weitere Verlauf der Entwicklung sei zwischen Weil und Lies längst geklärt, manche sprechen sogar von einer „Absprache“ zwischen beiden. Auffällig ist, dass Innenministerin Daniela Behrens seit Monaten kaum Gelegenheiten auslässt, selbst bekannter zu werden. Ob sie auch den Ehrgeiz hat, neue Ministerpräsidentin zu werden? Oder will sie sich den Rang der Nummer zwei sichern, wenn eine Lies-Zeit anbräche? Anders als Lies genießt Behrens beim Koalitionspartner, den Grünen, nicht nur Sympathien. Viele Grüne meinen, Behrens sei zu konfliktfreudig und grenze sich gern von Forderungen ab, die ein Herzensanliegen der Grünen sind – so etwa die Cannabis-Legalisierung. Auf Landesebene sind es diese beiden, Lies und Behrens, die am stärksten präsent sind. Dabei wird Behrens von SPD-Gliederungen gern etwas nach vorn geschoben – schon allein deshalb, weil viele in der Partei Sehnsucht nach einer meinungs- und durchsetzungsstarken Politikerin haben. In Rheinland-Pfalz war es so, dass die Macht zwischen einem Mann als neuen Ministerpräsidenten und einer Ministerin, die das auch gern geworden wäre, aufgeteilt wurde. Die Frau wurde mit dem SPD-Landesvorsitz abgefunden. Ob das auch eine Art Aufgabenteilung für Lies und Behrens wäre?

Machtbewusste und ehrgeizige Politiker gibt es noch an anderen Stellen in der niedersächsischen SPD. Sie sind anders als Lies, Jahrgang 1967, und Behrens, Jahrgang 1968, noch etwas jünger. Der Braunschweiger Oberbürgermeister Thorsten Kornblum (42) zählt dazu, er ist schon Chef des Braunschweiger SPD-Bezirks. Auch Steffen Krach (45), Präsident der Region Hannover, strebt nach Höherem. Beide aber müssten zunächst ihre Wiederwahlen in den kommunalen Führungsämtern im September 2026 schaffen, für die weiteren Karrierewege hängt in beiden Fällen wohl viel von den Ergebnissen ab. Immer wieder wird noch ein weiterer genannt, der SPD-Bundesvorsitzende Lars Klingbeil aus dem Heidekreis. Er ist der Liebling mancher bundesweiter Medien, wird sehr häufig zu Talkshows eingeladen und hat trotzdem das Manko, als Parteichef eine ganze Serie von Misserfolgen mitverantworten zu müssen, zuletzt die Pleite bei der Europawahl. Die Erklärung, an diesen Niederlagen sei allein der unpopuläre Bundeskanzler Schuld, dürfte ihn am Ende nicht entlasten. Und in der Landespolitik könnte es Klingbeil schwer haben, schnell Fuß zu fassen – noch schwerer als die Kommunalpolitiker Kornblum und Krach, die zwar nicht so weit wie Klingbeil, aber dennoch auch vom SPD-Machtdreieck Staatskanzlei-Landtag-Landesgeschäftsstelle entfernt sind.

So kann Weil entspannt in die Sommerferien gehen. Sein Machtgebäude hat, als der Untersuchungsausschuss in seinen Zeugenvernehmungen einige Merkwürdigkeiten aufdeckte, manches Mal gewackelt. Ernsthaft ins Wanken geriet es indes nicht. Jetzt scheint der Sturm überstanden zu sein – auch zunächst ohne personelle Opfer auf diesem Weg. Das kann am Ende dazu führen, dass Weil unbelasteter und freier denn je auf der Bundesebene agiert, womöglich umso kraftvoller, je angeschlagener der Kanzler und die SPD-Bundestagsfraktion wirken. Sollte die SPD auf Bundesebene in schwere Not geraten, könnte Weil dort jetzt die Rolle des Stützpfeilers übernehmen.

Dieser Artikel erschien am 27.6.2024 in Ausgabe #118.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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