BdSt-Vorsitzender Bernhard Zentgraf geht – und blickt schmunzelnd auf seine Arbeit zurück
Die typisch norddeutsche Bräsigkeit und Schweigsamkeit ist ihm fremd, Bernhard Zentgraf trägt fast permanent ein Lächeln auf dem Gesicht, er pflegt Freundlichkeit und Höflichkeit im Umgang. Sein Dialekt verrät die Herkunft aus Hessen, und in Niedersachsen fällt er dadurch schon auf. Vermutlich ist es aber vor allem seine Hartnäckigkeit, die ihn im Lande so bekannt hat werden lassen. Wenn er sich in ein Thema vertieft hat, lässt er nicht locker – manchmal jahrelang. Der Volkswirt, der Anfang 1989 als junger Mann beim Bund der Steuerzahler Niedersachsen-Bremen (BdSt) begonnen hat, geht Anfang 2024 nach 35 Jahren in den Ruhestand. Damals begann er als Haushalts- und Pressereferent der Organisation, inzwischen ist er ihr Vorsitzender. Das Gesicht des BdSt blieb er über all diese Jahre.
Wenn man den Bund der Steuerzahler in die landespolitische Szenerie einordnen sollte, kann der Begriff „Interessenverband“ verwirrend klingen. Denn diese Landesorganisation für Niedersachsen und Bremen mit immerhin 120.000 Mitgliedern vertritt nicht explizit die Interessen eines besonderen Berufszweiges oder einer Branche. Er hat sich die Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit des Staates als oberste Prämisse gesetzt, deshalb ist das Anprangern von Verschwendung, überhöhten Ausgaben oder unwirtschaftlicher Haushaltspolitik die Hauptaufgabe. Darin hat der BdSt eine gewisse Nähe zu den Aufgaben der Rechnungshöfe von Bund und Ländern. Diese sind staatliche Behörden mit sehr weitgehenden Eingriffs- und Kontrollberichten, über die der BdSt nicht verfügt.
Aber, wie es so oft bei Behörden ist: Ihre Bereitschaft, Missstände deutlich zu benennen und zu kritisieren, hält sich häufig in Grenzen, wird oft genug von politischen Rücksichtnahmen oder dem Zwang zu einer gewissen Ausgewogenheit der Darstellung überlagert. Das ist die Chance, die Zentgraf immer beherzt genutzt hat: Vielleicht beruhten die Rügen des Landesrechnungshofs oft auf einem größeren Fundament an Informationen – dafür aber hat der BdSt seine Kritik stets nachdrücklicher und respektloser vorgetragen, nicht selten zum großen Ärger der Mächtigen im Land und in den Kommunen. Selbst hochrangige Politiker scheuten sich nicht, Zentgraf und seine Getreuen scharf anzugreifen. Vom „Bund der Steuerhinterzieher“, sprach mal ein späterer Minister, andere Schimpfworte waren „Bund der Nicht-Steuerzahler“ oder „kriminelle Vereinigung“.
Der meist fröhliche Zentgraf ließ sich davon nie beirren, er stritt immer weiter. Die Erfolge, sagt er, sind eben unterschiedlich. Manchmal zeigte der Protest Früchte, manchmal sogar sehr rasch. Häufig aber blieben seine mahnenden Hinweise unerhört – und doch ist er heute stolz, immer wieder den Finger in Wunden gelegt zu haben. Er kann dann wenigstens behaupten, rechtzeitig gewarnt zu haben. Ein paar Beispiele aus 35 Jahren BdSt-Geschichte in Niedersachsen:
Der Wasserpfennig
Als Zentgraf in Hannover startete, konnte er gleich das Thema seiner Diplomarbeit in praktische Politik umsetzen. Die Regierung plante damals eine Abgabe für alle Wasserverbraucher, den „Wasserpfennig“, um Beeinträchtigungen des Grundwassers, ausgelöst durch zu intensive Landwirtschaft, zu kompensieren. Zentgraf protestierte gegen „die Umkehrung des Verursacherprinzips“.
Das brachte ihm damals eine öffentliche scharfe Rüge des legendären früheren Agrarministers Klaus-Peter Bruns (SPD) ein. Der „Wasserpfennig“ kam kurz darauf und blieb bis heute – für Zentgraf eine doppelte Lehre. Eine einmal eingeführte Abgabe lässt sich nur schwer wieder beseitigen, der Zweck wird oft neu angepasst, das zeigt dieser Fall. Und Verniedlichungen wie „Wasserpfennig“ wirken tatsächlich dämpfend, auch das folgt aus dem Beispiel – „in Wirklichkeit geht es um Milliardenbeträge, nicht um Pfennige“, sagt Zentgraf heute.
Die Politiker-Versorgung
Die Versorgungsregeln für Abgeordnete, Minister und Staatssekretäre, die in den Ruhestand wechseln, waren in den neunziger Jahren noch ein großes Thema. Mehrfach hakte der BdSt nach, und Zentgraf erinnert sich noch an eine knappe Analyse seines Verbandes: „Unsere Politiker sind nicht überbezahlt, sie sind überversorgt“.
Die radikale Lösung indes, die aktuellen Diäten erheblich zu erhöhen und es dafür den Abgeordneten selbst zu überlassen, ihre Altersversorgung zu regeln, wurde nicht eingeführt. „Aber die Politiker-Versorgung wurde schon kräftig gestutzt“, sagt Zentgraf. Bei den Bürgermeistern und Landräten geschah das noch nicht, hier habe sich bisher viel zu wenig bewegt.
Verbündete in der Politik
Einer von Zentgrafs Grundsätzen lautet, auf parteipolitische Neutralität zu achten. Zwar haben viele Positionen des BdSt eine Nähe zu den Programmen der Christ- und Freidemokraten, aber Anhänger und Unterstützer gab es stets parteiübergreifend. Der frühere Ministerpräsident David McAllister sei zu den aufgeschlossenen Leuten zu rechnen, sagt Zentgraf.
Bei den Sozialdemokraten nennt er den einstigen Finanz-Staatssekretär Frank Ebisch, der es in einer internen Veranstaltung sogar wagte, laut über die Kürzung von Pensionen nachzudenken. Daraufhin sei der SPD-Mann allerdings mit Missachtung gestraft worden. Das sei noch zu einer Zeit geschehen, als die Regierung trotz steigender Steuereinnahmen immer eine beträchtliche Neuverschuldung in den Haushaltsplan schrieb. Die enormen Pensionslasten, sagt der BdSt-Vorsitzende, seien bis heute der eigentliche Grund dafür, dass das Land im Unterschied zu den Kommunen immer noch keine doppelte Haushaltsbuchung vornimmt.
Amtshaftung
Immer wieder forderte der BdSt, eine „Amtshaftung“ einzuführen: Politiker und kommunale Verwaltungschefs, die absichtlich Entscheidungen mit viel zu hohen Folgelasten verantworten, sollten dafür haftbar gemacht werden, meint Zentgraf. „Zumindest disziplinarrechtlich könnte man etwas regeln“. Geschehen sei nichts, und viele Menschen würden nicht verstehen, dass absichtliche Verschwendung von Politikern ohne rechtliche Sanktionen bleibe.
Bund-Länder-Verflechtungen
Ein Übel ist für Zentgraf die enge Bund-Länder-Verflechtung. Der Bund leiste in vielen Bereichen Mit-Finanzierungen für wichtige Vorhaben, so auch in der Bildungspolitik. Die Verantwortlichkeiten seien unklar und das sei dann die Quelle für ausufernde Verschuldung. Die Politiker vor Ort, die mit Kostensteigerungen konfrontiert werden, schöben den schwarzen Peter dann gern weiter an den Bund oder die EU. Die Wähler könnten in dem Wirrwarr nicht erkennen, wer denn am Ende für Fehlentscheidungen zuständig sei.
Der Fall Trauernicht
Im Dezember 2000 wurde die Hamburger Landesbeamtin Gitta Trauernicht von der SPD-geführten Landesregierung zur Staatssekretärin im Agrarministerium ernannt – um dann 24 Stunden später zur neuen Sozialministerin berufen zu werden. Auf diese Weise sollten die Pensionsansprüche aus Hamburg für die SPD-Politikerin gesichert werden, denn die Hansestadt Hamburg hatte zuvor gegen eine Beurlaubung gesperrt.
Der BdSt prangerte einen „Missbrauch des Beamtenrechts“ an – mit Erfolg: Nach wenigen Tagen verzichtete Trauernicht auf die über den Trick erlangten Versorgungsansprüche, da der Druck auf die Regierung von Ministerpräsident Sigmar Gabriel zu groß geworden war. Für Zentgraf war das ein großer Erfolg.
Wie fällt nun die Bilanz aus? Zentgraf wirkt zufrieden, auch wenn er weiß, wie dick die Bretter sind, die in der Politik gebohrt werden müssen. Der Streit über den Stadion-Vertrag in Hannover, der gegenüber einem großen Fußballverein ungewöhnlich entgegenkommend wirkt, dürfte sich noch einige Zeit hinziehen, die erhoffte Unterstützung der Kommunalaufsicht für die Kritiker fehlt bisher. Diesen Streit werden dann seine Nachfolger Ralf Thesing und Jan Vermöhlen federführend ausfechten müssen. Wenn der scheidende BdSt-Landesvorsitzende von den Früchten seiner Arbeit spricht, dann kommt er auf zwei Symbole zu sprechen.
Das erste ist die „Schuldenuhr“, die im Fraktionssaal der CDU im Landtag hängt – und eine ständige Mahnung zur Sparsamkeit ist. Denn die Verschuldung des Landes mit 65 Milliarden Euro beträgt ein Vielfaches der jährlichen Haushaltssumme, und das zeigt eine ungesunde Entwicklung. Das zweite ist das „Schwarzbuch“, das jedes Jahr vom Bundesverband des BdSt herausgegeben wird.
Dort werden mehrere Fälle von Verschwendung beschrieben, und regelmäßig sorgt die Veröffentlichung von Einzelfällen bundesweit für Spott und Häme – und löst bei den betroffenen Behörden Rechtfertigungsdruck aus. „Das ist vielleicht unsere schärfste Waffe“, sagt Zentgraf: „Aus vielen Rathäusern und Amtsstuben höre ich: Auf keinen Fall wollen wir im ,Schwarzbuch‘ der Steuerzahler landen. Das führt dann dazu, dass man mit den Steuereinnahmen achtsamer umgeht.“
Dieser Artikel erschien am 27.11.2023 in der Ausgabe #206.
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