Marco Brunotte, Geschäftsführer der AWO Niedersachsen, hat die Erwartungen des Sozialverbandes an die künftige Landesregierung skizziert. Besondere Sorgen bereitet ihm der Fachkräftemängel in den Kindergärten. Es drohe dieselbe Situation wie in der Pflege, wo aufgrund von immer weniger Personal die Belastung für die verbliebenen Fachkräfte derart wächst, dass eine immer größere Zahl von ihnen abspringt. „Die Bezahlung ist nicht das Problem, sondern die Arbeitsbelastung“, sagte Brunotte. Diese steige vor allem durch die gewachsenen Anforderungen etwa hinsichtlich der Vor- und Nachbereitung sowie der Gespräche mit Eltern.

„Die Erzieher sind die ersten Ansprechpersonen in vielen sozialen Belangen“, sagte Brunotte. Zwei Erzieher für 25 Kinder seien deshalb viel zu wenig, es werde insgesamt mehr Zeit für die Kinder benötigt. Derzeit gebe es zudem die große Sorge, dass über die große Solidarität mit den ukrainischen Geflüchteten quasi durch die Hintertür die Gruppengröße längerfristig erhöht werden könnte. „In dem Bereich war es vorher schon brutal“, sagt Brunotte. Eine Möglichkeit, um die ukrainischen Kinder betreuen zu können ohne den sozialen Zusammenhalt zu gefährden, sieht er etwa in Angeboten der Groß-Tagespflege oder in besonderen Spielkreis-Angeboten.

Einen notwendigen Schritt gegen den Fachkräftemangel sieht Brunotte darüber hinaus bei der Ausbildung. So müsse das Land den Ausbau der Schulen für soziale Berufe erleichtern. Der AWO-Landesverband wolle sich dabei als Arbeitgeber gerne einbringen, kündigte er an. Zudem sprach sich Brunotte für eine Stärkung von multiprofessionellen Teams gerade in größeren Kindergärten aus. „Man müsste den Personalaufbau den neuen Aufgaben anpassen“, erklärte er. So könnte er sich konkret vorstellen, dass zusätzlich zu den nach aktuellem Verteilschlüssel benötigten Erziehern oder Sozialassistenten auch qualifizierte Fachkräfte aus dem Bereich der Theaterpädagogik oder auch aus dem Ernährungsbereich Aufgaben in der Betreuung übernehmen könnten.
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In vielen Kindergärten werde ohnehin schon mit offenen Konzepten gearbeitet, bei denen die Kinder sich je nach Interessenlage verschiedenen Gruppen und Aktivitäten zuordnen könnten, begründete Brunotte. Wichtig war ihm aber zu betonen, dass es nicht um einen Ersatz für die dringend benötigten Fachkräfte gehen dürfe, sondern um eine inhaltlich begründete Ergänzung des Personaltableaus – die Quantität solle nicht zulasten der Qualität ausgeweitet werden.

Darüber hinaus formulierte Brunotte weitere Erwartungen an die kommende Landesregierung:
Zur Steigerung der Attraktivität der sozialen Berufe insgesamt schlug der AWO-Landesgeschäftsführer vor, die Digitalisierung seitens des Landes stärker zu unterstützen. Dass der Sozial-Bereich im Masterplan Digitalisierung des Wirtschaftsministeriums nicht aufgetaucht sei, habe die Branche durchaus verstimmt, berichtete er. Die Förderkulisse sei dementsprechend auch nicht anwendbar, sie orientiert sich im Wesentlichen an kleinen und mittleren Unternehmen. Dabei sei auch die Sozialbranche direkt von der Digitalisierung betroffen. In Pflegeheimen setze die AWO beispielsweise schon Tablets ein, damit die Mitarbeiter auf einfachere Weise ihren Dokumentationspflichten nachkommen können. „Das macht mehr Spaß bei der Arbeit, es ist aber auch eine Zeitersparnis“, sagte Brunotte. „Wir machen das, weil es wichtig ist, aber es wird nicht vergütet.“
Durch die Preissteigerungen steige bei den ohnehin schon von Armut bedrohten Bevölkerungsteilen die Angst vor einem weiteren sozialen Abstieg, erklärte Brunotte. Deshalb komme der Bekämpfung von Armut in Zukunft eine noch wichtigere Bedeutung zu. Die AWO versuche etwa durch Familienzentren zu einem guten Quartiersmanagement beizutragen. Die Familienzentren seien allerdings in der Regel auf Projektbasis finanziert, was die Beschäftigten selbst in eine prekäre Lage bringe. Brunotte kritisiert dies als „Projekteritis“ und fordert eine solide Finanzierung jener Angebote, die für die soziale Daseinsvorsorge essenziell sind.