Eigentlich war die Ansage nach dem Treffen von Kanzlerin Angela Merkel und den 16 Ministerpräsidenten klar: Wenn in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt die Inzidenz von 200 überschritten wird (also mehr als 200 neue Corona-Infektionen je 100.000 Einwohner binnen einer Woche gezählt werden), gilt eine Sonderregel: Es soll dann Ausgangsbeschränkungen geben, nämlich die sogenannte „15-Kilometer-Regel“. Aber wie wird diese Vorgabe in der neuen Corona-Verordnung, deren Entwurf gerade in der Staatskanzlei entwickelt und demnächst den Fraktionen im Landtag vorab zur Kenntnis gegeben wird, am Ende umgesetzt werden? Am Mittwoch war das noch nicht eindeutig. Am Vorabend, gleich im Anschluss an die Ministerpräsidentenkonferenz, hatte Regierungschef Stephan Weil noch Vorbehalte geäußert und gemeint, eine derart harte Beschränkung der Freiheitsrechte müsse zumindest ausführlich und gut begründet werden, wenn sie denn gerichtsfest erlassen werden soll. Im Beschluss der Ministerpräsidenten und der Kanzlerin heißt es, die Länder würden bei einer Inzidenz von mehr als 200 „weitere lokale Maßnahmen ergreifen“, dazu gehöre insbesondere die Einschränkung des Bewegungsradius der Menschen auf 15 Kilometer „um den Wohnort“, sofern kein triftiger Grund vorliege. Tagestouristische Ausflüge seien jedenfalls kein triftiger Grund, würden also verboten.
Was das nun konkret heißt, bleibt vorerst noch rätselhaft. Vorbild für die Vereinbarung zwischen Merkel und den Länder-Regierungschefs ist offenbar eine Regel aus Sachsen, die wegen der dort hohen Infektionszahlen schon seit 14. Dezember gilt. Die Menschen in den betroffenen Gebieten in Sachsen dürfen ihre „Unterkunft“ nicht ohne triftigen Grund verlassen. Die „triftigen Gründe“ sind folglich aufgezählt – der Weg zur Arbeit, zur Schule und zum Arzt, unaufschiebbare Prüfungen, Einkaufen für den täglichen Bedarf „im Umkreis von 15 Kilometern des Wohnbereichs“, Besuch bei Partnern, Hilfsbedürftigen und Kranken und Sport „im Umkreis von 15 Kilometern des Wohnbereichs“. Die Verordnung in Sachsen spricht von „Wohnbereich“, meint also das Wohnquartier, Wohngebiet oder Wohnviertel, in dem die Menschen leben. In dem Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz war aber von „Wohnort“ die Rede, und dieser Begriff ist durchaus interpretationsbedürftig. Es kann sich um die Gemeinde handeln, in der jemand wohnt. Als Merkel danach gefragt wurde, betonte sie auch mit Bezug auf Berlin, dass man eine Abgrenzung von Stadtbezirken nicht vornehmen wolle – auch wegen der dann schwierigen Feststellbarkeit von Verstößen nicht. Würde aber der 15-Kilometer-Radius auf die Wohngemeinde bezogen sein und nicht auf das Wohngebiet, so wäre der Bewegungsspielraum der dort lebenden Menschen ungleich größer, die Messung könnte dann erst an der Stadtgrenze beginnen. Der Radius würde sich noch einmal vervielfachen, sollte der Landkreis als „Wohnort“ definiert werden. Davon allerdings ist nun auf keinen Fall auszugehen.
Scharfe Kritik an Überlegungen einer Ausgangssperre in dieser Form äußert der FDP-Fraktionsvorsitzende Stefan Birkner. Diese Beschränkung und die Auflage, sich künftig nur noch mit einer Person außerhalb des eigenen Haushalts treffen zu dürfen, seien sehr weitgehende Eingriffe in die Freiheitsrechte der Bürger. Das Verständnis für solche Einschnitte sei dann nicht gegeben, wenn im Gegenzug der Staat nicht vorher alles Mögliche getan hat, die Wirkung des Virus zu begrenzen und die Arbeit der Gesundheitsämter zu erleichtern. „Hier zeigt sich aber eine lange Liste an Versäumnissen“, betont der FDP-Fraktionschef und erläutert: „Das beginnt damit, dass wir immer noch keine Initiative für den Einbau von Lüftungsanlagen in Klassenräumen haben. Der Impfstoff kommt nicht in den Impfzentren an, die Altenheime sind nicht gut genug vorbereitet und viele Gesundheitsämter kommunizieren immer noch nicht digital mit dem Robert-Koch-Institut.“ Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Julia Hamburg ergänzte, es geschehe zu wenig zur Eindämmung des Virus an den Arbeitsplätzen. Eine verpflichtende Homeoffice-Regel für alle, für die das möglich ist, wäre eine ratsame Variante.