28. Nov. 2021 · 
Parteien

Aufbruch mitten in der Krise: Wie sich die CDU als bessere Regierungsalternative präsentieren will

„Niedersachsen springt weiter“ steht in großen schwarzen Lettern auf der weißen Wand, direkt daneben in rot die drei Buchstaben CDU – und ein stilisiertes türkisfarbendes Niedersachsen-Ross. Als Generalsekretär Sebastian Lechner zum Auftakt des Programm-Kongresses von einem „großen Sprung“ spricht, den die CDU jetzt, zehn Monate vor der Landtagswahl, schaffen müsse und auch werde, wird die damit verbundene Frage von ihm gleich mitbeantwortet: „Unser Jockey ist Bernd Althusmann!“, ruft Lechner.

Bernd Althusmann spricht auf dem CDU-Programmkongress in Celle. | Foto: Christian Wilhelm Link

Die Symbolik passt in diesem Augenblick: Ausgehend von den aktuellen Umfragen, die eine selten schwache CDU neben einer stabilisierten SPD zeigen, müssen die Christdemokraten noch kräftig aufholen – also förmlich springen. Und dass dies mit Althusmann an der Spitze geschehen soll, ist auch allen klar. Der 54-Jährige ist inzwischen die unumstrittene Führungsfigur der niedersächsischen CDU, und er hält dann auch eine schwungvolle, kämpferische Rede vor den etwa 150 Teilnehmern. Die erheben sich und applaudieren. Etwa 200  andere interessierte Mitglieder, von denen auch viele eigentlich nach Celle zum Kongress kommen wollten, sind nur digital dabei. Die Corona-Pandemie fordert ihren Preis.

Nach Wahlniederlage: CDU Niedersachsen orientiert sich neu um

Das mit dem „großen Sprung“ kann man bei näherer Betrachtung auch kritisch sehen. Denn historisch ist der Begriff an Mao geknüpft, der vor 100 Jahren in China seinen Siegeszug ansetzte und in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts versuchte, mit gezielter Planwirtschaft und Kollektivierung das Land zu modernisieren. Das Vorhaben misslang und löste eine Hungersnot aus. Also kann die sprachliche Anleihe kaum ein Vorbild in der Sache sein. Nur eine Analogie ist schon zulässig: Wie bei Mao vor mehr als 60 Jahren geschieht bei der CDU in Niedersachsen heute die Neuorientierung in einem Moment der eigenen Krise. Da ist zum einen die Niedergeschlagenheit der Partei nach der herben Wahlschlappe am 26. September. Althusmann selbst nennt als Grund die Zerstrittenheit in der Union, die sich nach der Neuwahl des Bundesvorsitzenden auf keinen Fall verlängern dürfe: „Wenn wir das fortsetzen, werden wir am Ende aus dem Tal der Tränen nicht mehr herauskommen.“ Die CDU will nun programmatisch neue Ziele anpeilen, der Kongress dient als „Brain-Storming“, soll Vorschläge sammeln und ordnen. Es folgen dann noch mehrere Regional- und Kreiskonferenzen, in denen sich eine lebhafte Debatte über einige Thesen anschließen soll. Im März sollen die CDU-Mitglieder dann über besonders strittige Fragen abstimmen und die Linie festlegen, im April folgt der endgültige Entwurf. Ein Parteitag soll das Programm im Juli beschließen. 

Was dort dann aufgenommen werden kann, deutet einerseits Althusmann in seiner Rede an, andererseits wird es in verschiedenen Foren vertieft und diskutiert. Der CDU-Chef sagt, die landeseigene N-Bank solle zur „richtigen Förderbank“ ausgebaut werden, eine stärkere Finanzbasis bekommen und für sämtliche Förderprogramme zuständig werden – auch für die, die bisher im Umwelt-, im Agrar- oder im Regionalministerium verwaltet werden. Sie soll sich womöglich auch an Fonds beteiligen, heißt es. Bremsen für eine gestärkte N-Bank, wie sie etwa im Finanzministerium bestehen, sollen gelockert werden. Was die Migration angeht, meint Althusmann, die Sicherung jedes Aufenthaltsstatus‘ allein mit einer eidesstattlichen Erklärung des Betroffenen dürfe nicht als ausreichend angesehen werden. Hier werde man den Ampel-Plänen in Berlin einiges entgegensetzen. Dann geht es noch um andere Fragen wie den womöglich übertriebenen Föderalismus in der Schulpolitik, um die Stundung der Grunderwerbssteuer und die Frage der Wohnungsbaupolitik, etwa das „Wiener Modell“ – eine Wohnungsvorsorge über einen großen Bestand an Immobilien im kommunalen Besitz. Eine staatliche Gesellschaft zur Bekämpfung der Internet-Kriminalität, die mit privaten Sicherheitsbehörden kooperiert, wird ebenso vorgeschlagen wie eine Überprüfung von Datenschutz-Regeln, die bisher die Digitalisierung blockieren.

„Dass die Ampel-Koalition in Berlin die ,epidemische Notlage von nationaler Tragweite‘ gestrichen hat, war ein schwerer Fehler."

Bernd Althusmann

Die krisenhaften Umstände, unter denen die CDU an diesem Tag so munter programmatische Grundsatzfragen diskutiert, hängen nicht nur mit den bundesweit eher schwachen CDU-Umfrageergebnissen zusammen, sondern auch mit einer wachsenden Anspannung in der SPD/CDU-Koalition im Landtag. Gerade in den vergangenen Tagen hatte es rund um die Frage, wie Niedersachsen in der Corona-Krise agieren soll, offensichtliche Meinungsverschiedenheiten zwischen Althusmann und Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) gegeben. Beim Programmkongress ließ der CDU-Landesvorsitzende das durchblicken, indem er sagte: „Dass die Ampel-Koalition in Berlin die ,epidemische Notlage von nationaler Tragweite‘ gestrichen hat, war ein schwerer Fehler. Wir können das ausgleichen, wenn wir jetzt eine solche Notlage für Niedersachsen beschließen.“ Die Zurückhaltung der SPD in diesem Punkt verstehe er nicht: „Vor einem Jahr hatten wir eine Inzidenz von 7000, und wir entschieden uns kurz darauf für einen Lockdown. Jetzt liegen die Zahlen bei 76.000, aber es geschieht nichts – das kann ich nicht nachvollziehen.“   

Bernd Althusmann spricht auf dem CDU-Programmkongress in Celle 2021. / Foto: Christian Wilhelm Link

Die aktuellen Konflikte zwischen SPD und CDU, die im Hintergrund köcheln, könnten sich in den nächsten Wochen entladen:

Sondersitzung des Landtags? 

Althusmann und Lechner hatten in der vergangenen Woche gefordert, der Landtag solle in einer Sondersitzung die „epidemische Notlage“ beschließen – und damit die Voraussetzungen beispielsweise für die Mobilisierung und Finanzierung der Rettungsdienste, für die Behördenunterstützung in den Gesundheitsämtern und für Schließungen bestimmter Einrichtungen schaffen. Regierungssprecherin Anke Pörksen zeigte sich daraufhin irritiert – und das geschah nach dem Geschmack mancher in der CDU wohl zu distanziert, so dass auch die Rolle von Pörksen thematisiert werden soll. Die CDU sieht dringenden Handlungsbedarf und will eine Landtags-Sondersitzung am 3. Dezember, die SPD war bis Ende vergangener Woche der Meinung, es reiche eine Beschlussfassung in der regulären Landtagssitzung am 13. Dezember. Am Wochenende gab es dazu ein Spitzengespräch zwischen SPD und CDU.

Zweifelhafte Vorwürfe der Gesundheitsministerin

Für Missstimmung in der Koalition sorgt auch das Auftreten von Sozialministerin Daniela Behrens (SPD). Sie hatte am Freitag per Pressemitteilung dem geschäftsführenden Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) „Intransparenz“ vorgeworfen und erklärt, die von ihm versprochenen Impfstoffmengen, auch was Moderna angeht, könnten nicht im zugesagten Umfang geliefert werden. Die CDU hinterfragt, ob hier ein Vorwurf an Spahn überhaupt berechtigt sein kann – oder ob der Mangel an Moderna-Lieferungen nicht vielmehr daran liege, dass das Land Niedersachsen oder Einrichtungen in Niedersachsen selbst zu wenig Moderna-Impfstoff bestellt haben. Wenn das zuträfe, hätte Behrens den Bundesminister zu Unrecht angegriffen.

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #214.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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