20. Feb. 2024 · 
Inneres

Auf welchen Wegen Niedersachsen die EU-Politik beeinflussen kann

Ob Vorgaben zu den Schleppnetzen der Küstenfischer oder Schutzbestimmungen für bedrohte Tierarten, Fördergelder für die Dorferneuerung oder Subventionen für die Wirtschaft – viele Dinge, die Niedersachsen betreffen, werden in Brüssel und Straßburg entschieden. In diesem Jahr der Europawahl, die in Deutschland am 9. Juni stattfindet, wird die Bedeutung der EU wieder ganz besonders betont.

Das Europäische Parlament tagt im Paul-Henri-Spaak-Gebäude. | Foto: Kleinwächter

Aber wie kann ein Bundesland wie Niedersachsen eigentlich in den fünf Jahren zwischen den Wahlen Einfluss auf die Entscheidungen der EU nehmen? Ein Überblick über die offiziellen und die informellen Einflusskanäle:

Nebendiplomatie und Frühwarnsystem

In der Rue Montoyer, mitten im Europaviertel Brüssels, steht ein elegantes weißes Haus, das seine eigene Fassade als Emblem trägt. An dieser Adresse findet man seit mehr als 30 Jahren Niedersachsens Dependance bei der Europäischen Union – die Landesvertretung. Manchem Akteur der niedersächsischen Landespolitik ist die Adresse aufgrund einer Veranstaltung geläufig, die auch in dieser Woche wieder abgehalten wird: das traditionelle Grünkohlessen. Aber im Rest des Jahres geht es dort um mehr als Folklore, die auch beim Grünkohlessen nur Mittel zum Zweck sein soll. Zwar steht dieses Haus (anders als eine Botschaft) nicht auf deutschem, sondern ganz normal auf belgischem Grund. Auch wird aus der Landesvertretung heraus keine Diplomatie betrieben, denn die bleibt die Domäne der Bundesregierung.

Foto: Kleinwächter

Was in der Rue Montoyer 61 passiert, kann aber vorsichtig als Nebendiplomatie bezeichnet werden. Mit fast zwei Dutzend Mitarbeitern unterstützt die Landesvertretung die Arbeit der Landesregierung in allen Belangen, die die EU betreffen. Formal betrachtet ist das Haus ein Referat des Europaministeriums, dessen Zentrale in der Osterstraße in Hannover steht. Eine weitere Niederlassung findet man in den Berliner Ministergärten. Die Leitung des Hauses in Brüssel obliegt aktuell Michael Freericks. Mithilfe von Spiegelreferaten, die sich an den Ressorts des Landeskabinetts orientieren, behält er vor Ort die Arbeit des EU-Parlaments im Blick und gewährleistet den kurzen Draht nach Hannover.

Die Vertretung des Landes Niedersachsen bei der Europäischen Union in Brüssel. | Foto: Kleinwächter

Matthias Wunderling-Weilbier, Staatssekretär im Europaministerium, nennt es ein „Frühwarnsystem“, das man dort aufgebaut habe: Was kommt auf Niedersachsen zu? Wird ein Handeln der Landesregierung notwendig? Und ganz wichtig: Wie kommt Niedersachsen an die Gelder, die in Brüssel verteilt werden? Mag diese Adresse auch in der Öffentlichkeit wenig wahrgenommen werden, ist die Landesvertretung für die internen Abläufe doch von großer Bedeutung. Dies zeigt sich auch daran, dass führende Mitarbeiter der niedersächsischen Verwaltung zwingend für zwei Wochen vor Ort in EU-Angelegenheiten geschult werden.

Mini-Parlament der Regionen

Die nächste Brüsseler Adresse, die für Niedersachsen von Bedeutung ist, liegt nur einen Steinwurf entfernt vom Niedersachsen-Haus in der Rue Montoyer. Im Delors-Haus an der Rue Belliard hat neben dem europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss auch der europäische „Ausschuss der Regionen (AdR)“ seinen offiziellen Sitz. Mitte der 1990er-Jahre errichtet, soll der „Ausschuss der Regionen“ ein Organ im Gefüge der EU-Institutionen sein, in dem sich die Gebietskörperschaften unterhalb des Nationalstaates auf EU-Ebene austauschen und ausdrücken können – also etwa die deutschen Bundesländer.

Der europäische Ausschuss der Regionen (AdR) trifft sich üblicherweise im Delors-Gebäude, in dem bis in die 1990er Jahre auch das EU-Parlament zu Hause war. Benannt ist es nach dem früheren Kommissionspräsidenten Jaques Delors. | Foto: GettyImages/Frank De Meyer

329 Mitglieder zählt der AdR, wobei die Zusammensetzung gestaffelt nach der Größe der Mitgliedsländer geregelt wird. Deutschland entsendet 24 Mitglieder: aus jedem Bundesland mindestens einen, sowie weitere drei über die kommunalen Spitzenverbände. Für Niedersachsen sitzt seit der aktuellen Legislaturperiode Staatssekretär Wunderling-Weilbier in dem Gremium, zuvor war es die damalige Europaministerin Birgit Honé selbst.

Wen die Länder entsenden, variiert stark. Mal sind es die Europaminister oder Staatssekretäre wie derzeit in Niedersachsen, manche Länder schicken aber auch Parlamentspräsidenten, Landtagsabgeordnete oder Kommunalpolitiker nach Brüssel. Neben der Vorarbeit in Ausschüssen trifft sich die Runde sechsmal im Jahr für eine zweitägige Plenarsitzung, um aktuelle europapolitische Themen zu behandeln. Am Ende der Beratungen steht eine gemeinsame Stellungnahme, wie zuletzt beispielsweise zur Mobilitäts- oder Wasserstoffwirtschaft, die dann vom EU-Parlament „zur Kenntnis genommen“ wird.

Der Ausschuss der Regionen trifft sich ausnahmsweise im Plenarsaal des Europaparlaments. | Foto: Kleinwächter

Staatssekretär Wunderling-Weilbier bekennt, anfangs skeptisch gewesen zu sein, urteilt inzwischen aber ganz anders über diese verhältnismäßig junge EU-Institution: „Ich glaube, das funktioniert sehr, sehr gut“, sagte er dem Politikjournal Rundblick. Sein Ziel sei es, dass bei den Stellungnahmen des AdR die niedersächsische Handschrift erkennbar werde. Es sei eine „äußerst interessante Aufgabe“ und keineswegs schwerfällig, sagte er – man arbeite dort „konzentriert und schnell“.

Umweg über Berlin

Die warmen Worte für die Rolle des AdR teilen in Brüssel derweil nicht alle. Angesichts der hohen Schlagzahl, mit der im Herzen der EU die Politik vorangetrieben wird, würden die Stellungnahmen des AdR häufig genug tatsächlich nur „zur Kenntnis genommen“ und nicht mehr weiter beachtet, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Ähnlich verhält es sich im Übrigen auch mit dem, was der Bundesrat formuliert. Über die nationale Länderkammer versucht die Landesregierung nämlich gelegentlich auch, die Politik der EU zu adressieren.

Wunderling-Weilbier spricht davon, dass Europaministerin Wiebke Osigus über den Bundesrat oder auch die Europaministerkonferenz den Kurs Niedersachsens in der EU flankiere. Dass hier allerdings zunächst Einigungen mit 15 anderen Ländern herbeigeführt werden müssen, bevor man dann in Brüssel mit einer starken Stimme zu sprechen vermag, ist mitunter äußerst zeitintensiv.

Der kurze Dienstweg

Weniger Zeit beansprucht derweil der kurze Dienstweg, der in diesem Fall zu ganz verschiedenen Personenkreisen führen kann. Neun niedersächsische Europaabgeordnete gibt es, die nicht immer streng nach Parteifarben getrennt agieren müssen, sondern auch die Interessen ihrer Heimatregion im Blick behalten. Nicht zu vergessen ist zudem die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit ihrem eigentlichen Wohnsitz im Burgdorfer Ortsteil Beinhorn (Region Hannover), die zwar nicht mehr allzu häufig ihre alte Heimat besuchen mag, aber manche Sorgen auch mit in ihr Büro im 13. Stock des Brüsseler Berlaymont nimmt, wo sie aktuell lebt und arbeitet.

Darüber hinaus gibt es auch noch zahlreiche weniger prominente Niedersachsen, die in den Behörden der EU arbeiten. Vergessen werden sollten darunter nicht die Attachés der deutschen Botschaft, die im EU-Ministerrat die Position der Bundesregierung in den Gesetzgebungsprozess einfließen lassen. Letztgenannte arbeiten zwar nach strengen Vorgaben aus Berlin. Aber politische Willensbildung ist nie nur eine Einbahnstraße und findet häufig genug auch auf anderen als den offiziellen Wegen statt.

Dieser Artikel erschien am 21.2.2024 in Ausgabe #033.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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