18. Juni 2023 · Soziales

Arbeiterwohlfahrt erprobt neue Modelle der Finanzierung von größeren Projekten

Die üblichen Wege der Finanzierung über Banken haben für große Organisationen und Unternehmen zwei Nachteile: Erstens läuft man Gefahr, sich immer an dieselben Geldgeber zu binden. Langjährige Partnerschaften können zu engen Verflechtungen und mangelnder Kontrolle führen. Zweitens sind Kreditverträge stets streng geschäftlich und distanziert. Der Bezirksverband Hannover der Arbeiterwohlfahrt (Awo) hat deshalb jetzt einen neuen Weg eingeschlagen – und erprobt diesen zunächst modellhaft an einer Investition auf der Nordseeinsel Langeoog.

In der Langeoog-Klinik dürfen Familien, die sich ansonsten einen Wellness-Urlaub nicht leisten können, durch Eltern-Kind-Kuren zur Ruhe kommen. | Foto: Awo

Das Therapiebad der dortigen Eltern-Kind-Kurklinik muss saniert werden. So ist die Fensterfront des Schwimmbades veraltet, es stammt von 1993. Neue Fenster mit reflektierender Verglasung sollen eingebaut werden, das Raumklima soll auch über verschiedene Schritte verbessert werden. Beschattungselemente sind vorgesehen, die Dämmung der Außenfassade und des Daches soll aus Gründen des Klimaschutzes und der Verringerung des Energieverbrauchs ebenfalls vorgenommen werden. Eine Lüftung soll eingebaut werden, damit das Schwimmbad an heißen Sommertagen ebenfalls genutzt wird.

Das Vorhaben ist nicht ungewöhnlich, wohl aber der Weg, auf dem die Arbeiterwohlfahrt Geld dafür bekommen will. „Wir erproben hier mal neue Verfahren – und stellen fest, dass solche Schritte manchmal den Wohlfahrtsverbänden gar nicht zugetraut werden“, sagt Marco Brunotte, Vorstandsvorsitzender des Awo-Bezirksverbandes Hannover. In Kooperation mit dem Stuttgarter Startup-Unternehmen Xavin bietet die Awo eine Crowdfounding-Finanzierung an. Für die angestrebte Summe von 150.000 Euro sollen interessierte Bürger Geldeinlagen geben – in Höhe von mindestens 1000 Euro. Die Geldgeber erhalten die Zusicherung, über sechs Jahre eine jährliche Verzinsung von bis zu 4,3 Prozent zu bekommen.

Marco Brunotte | Foto: LAG FW Nds

„Nicht nur finanziell lohnt sich eine Teilhabe an dem Projekt. Vielmehr unterstützen Anleger mit einer Anlage die gemeinnützige Arbeit des Awo-Bezirksverbandes und tragen einen Teil zum Behandlungserfolg der Patienten sowie zum nachhaltigen Klimaschutz bei“, heißt es in einer Mitteilung von Brunotte und Xavin-Gründer Tobias Ungerer. Xavin wurde vor fünf Jahren in einer Kooperation mit der Landesbank Baden-Württemberg gegründet, nach eigener Mitteilung sind in dieser Zeit schon 11,3 Millionen Euro für Vereine und soziale Träger gesammelt worden. So nennt sich Xavin eine „Crowdinvesting-Plattform“, Ungerer betont, Bürger könnten „mit dem investierten Geld soziale Wirkung erzielen“.

Nach den Worten von Brunotte hat die Awo das Vorhaben gründlich prüfen lassen, bevor es gestartet war. Auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) sei eingeschaltet worden. Bereits mehr als 100.000 Euro – also gut zwei Drittel der angestrebten Summe – habe man schon zusammenbringen können. Die Arbeiterwohlfahrt überlegt, bei einem nachhaltigen Erfolg des Vorhabens einen ähnlichen Weg auch bei anderen anstehenden Investitionen zu wählen. Die Awo im Bezirksverband Hannover betreut als Träger mehr als 120 Einrichtungen – darunter Kindergärten, Kureinrichtungen, Altenheime, Gesundheitsdienste und Angebote der Sozialpsychiatrie. Für die Arbeiterwohlfahrt sind mehr als 2600 Beschäftigte tätig. Gleichzeitig ist sie auch ein sozialpolitischer Interessensverband, dem rund 14.000 Mitglieder angehören. Von den Funktionsträgern der Awo sind viele der SPD nahestehend oder sogar SPD-Mitglieder.

Dieser Artikel erschien am 19.6.2023 in Ausgabe #111.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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