Darum geht es: Mitten in der deutschen Hauptstadt werden im Jahr 2017 israelische Fahnen verbrannt, vermummte Israel-Gegner rufen „Tod den Juden“ und Holocaust-Leugner nutzen die Facebook-Seite der Bundesregierung als Sprachrohr. Ein Kommentar von Martin Brüning.

Seit Jahrzehnten gehörte Israel in Deutschland zur Staatsräson und Antisemitismus wurde nicht geduldet. Wer sich antisemitisch äußerte, stand außerhalb der Gesellschaft. In den vergangenen Jahren hat sich daran etwas geändert. Schon vor fünf Jahren rückte Joachim Gauck sanft von Angela Merkels Staatsräson-Vorgabe ab, in diesem Jahr stellte AfD-Chef Alexander Gauland das Existenzrecht Israels zumindest in Frage, die Erwiderung der Bundesregierung blieb schwachbrüstig. Der Eindruck, dass Deutschland derzeit nicht mehr so fest an der Seite Israels steht, wie es einmal der Fall war, lässt sich durchaus belegen.

Facebook

Mit dem Laden des Beitrags akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von Facebook.
Mehr erfahren

Beitrag laden

Wer Israel kritisiert, ist noch kein Antisemit, aber der Weg dorthin ist meist kurz. In diesen Tagen ist Israel-Kritik en vogue, denn ausgelöst hat die Debatte der US-amerikanische Präsident Donald Trump, der Jerusalem als israelische Hauptstadt anerkannt hat. Da bei den meisten als ausgeschlossen gilt, dass ausgerechnet Trump auch einmal recht haben könnte, ist nicht nur die Kritik an Trump billig zu haben. Gleichzeitig sehen viele dadurch eine überharte Kritik an Israel und seinen Bewohnern als gerechtfertigt an. Wer gegen Trump ist, kann in diesem Land nicht ganz falsch liegen und wähnt sich auf der sicheren Seite.

Es ist eine krasse Fehleinschätzung vieler, dass Antisemitismus ein durch Flüchtlinge nach Deutschland neu importiertes Problem ist.

Dabei wird hierbei Ursache und Wirkung verwechselt. Wie kommt man eigentlich auf die Idee, dass der US-amerikanische Präsident der Brandstifter sein könnte? Was sind dann bitte die Demonstranten, die Flaggen anzünden, „Tod den Juden“ rufen oder Verständnis für eine neue Intifada haben? Die Brandstifter sind alle unter uns. Niemand muss mit dem Finger in Richtung Washington zeigen. Und es ist eine krasse Fehleinschätzung vieler, dass Antisemitismus ein durch Flüchtlinge nach Deutschland neu importiertes Problem ist.

Die sozialen Medien sind kein Spiegelbild der Gesellschaft. Aber sie lassen Haltungen deutlich werden, die vorhanden sind, und in der Öffentlichkeit außerhalb des Internets oft nur hinter vorgehaltener Hand oder im allerkleinsten Kreis geäußert werden. Auf der Facebook-Seite der Bundesregierung, deren Social-Media-Team sich leider etwas zu spät redlich abmühte, die Lage im Griff zu halten, wurde das besonders deutlich. „Ich persönlich kenne KEINEN deutschen Judenhasser. Dieses Problem kommt meist nur durch die Zuwanderung“, schrieb ein Kommentator, der ersichtlich keinen Migrationshintergrund hatte. Da hätte er sich die Kommentare einmal genauer durchlesen müssen. Denn Antisemitismus hatte dort viele Namen – auch viele, die nach Müller, Meier und Schulze klangen.

Facebook

Mit dem Laden des Beitrags akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von Facebook.
Mehr erfahren

Beitrag laden

Wir haben uns ein wenig zu sicher gefühlt. Die historischen Ressentiments sind wieder da. Der wiederentdeckte Antisemitismus muss jetzt an gleich zwei Fronten bekämpft werden. Natürlich gibt es das Problem des muslimischen Antisemitismus, der bereits im Klassenzimmer aktiv und systematisch bekämpft werden muss. Es darf kein verschämtes Weghören mit Verweis auf die schwierige Lage im Nahen Osten geben. Aber es geht bei weitem nicht nur um Migranten. Es braucht eine neue gesellschaftliche Debatte mit dem Ziel eines „Common Sense“, die ein klares Zeichen gegen Antisemitismus setzt und endlich den Unterschied zwischen dem Staat Israel auf der einen und dem Judentum auf der anderen Seite deutlich macht. Denn während der Staat Nordkorea trotz eines gemeingefährlichen Diktators niemand in Frage stellt, sind beim Staat Israel mehr als man denkt dieser Vorstellung nicht fern. „Der Antisemitismus nimmt derzeit in einem Maße zu, dass es beängstigend ist“, schreibt der ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete Michael Höntsch auf Facebook. Solche Sätze sollten dieses Land beschämen.