26. Nov. 2018 · 
Bildung

„An manchen Orten kann die Bücherei das neue Gemeindezentrum werden“

Sind die vielen Bibliotheken, vor allem in den kleinen und mittleren Städten, bald nur noch ein Auslaufmodell? Beim niedersächsischen Tag der Bibliotheken, der gestern in Hannover mit einer zentralen Veranstaltung begangen wurde, stand eine Frage im Mittelpunkt: Was muss geschehen, damit Büchereien auch dann noch überleben können, wenn die Menschen nicht mehr vorwiegend kommen, um sich ein Buch ausleihen zu wollen? Es gibt viele Möglichkeiten, wie Wissenschaftler, Politiker und Praktiker berichteten, am Anfang aber, das betonte Wissenschaftsminister Björn Thümler, muss zunächst eine angemessene Grundversorgung gewährleistet werden: „Wir brauchen den Anschluss jeder Bibliothek an jedem Ort im Land an ein leistungsfähiges 5G-Netz. Wer das in Frage stellt, ist albern. Wenn wir modern bleiben wollen, müssen wir überall diesen Standard gewährleisten – sonst können wir gleich einpacken.“ Für Thümler, der sich mit diesen Worten von einer Äußerung der Bundesbildungsministerin Anja Karliczek distanziert, ist damit auch klar, dass die Bibliotheken nur überleben können, wenn sie sich aktiv um die Digitalisierung bemühen. Sie müssten sogar versuchen, auf diesem Feld Vorreiter zu sein. Der Ist-Zustand hingegen ist oft enttäuschend, berichtete Harald Pilzer, Leiter der Stadtbibliothek Bielefeld. So seien viel zu viele Büchereien jetzt noch nicht in der Lage, einen kostenlosen W-Lan-Anschluss zu bieten. Der Wandel drückt sich durchaus in Zahlen aus, in einigen Regionen stärker, in anderen weniger ausgeprägt. So ist zwischen 2014 und 2017 in Nordrhein-Westfalen die Zahl der Bücher-Ausleihen von 47 Millionen auf 39 Millionen zurückgegangen, berichtet Pilzer, der auch die NRW-Landesorganisation des Bibliothekenverbandes leitet. In Niedersachsen schrumpfte in diesem Zeitraum die Zahl von 19 Millionen auf 17 Millionen, erklärt Pilzer. Die Zahl der jährlichen Besucher aber sei gleichzeitig relativ konstant geblieben, in Nordrhein-Westfalen bei 25 Millionen, in Niedersachsen bei 9 Millionen. Die Leiterin der Stadtbibliothek Hannover, Carola Schelle-Wolff, kann den Abwärtstrend nur bedingt bestätigen. Noch liege die Ausleihe stabil bei vier Millionen Exemplaren jährlich, es würden allerdings weniger Bücher und CDs angefragt, dafür mehr elektronische Datenträger. Hier seien die Büchereien allerdings vor ein neues Problem gestellt – für viele E-Books müssten Lizenzen ausgehandelt werden, die zeitlich befristet sind. Während die Bibliothek über jedes erworbene Buch relativ frei verfügen könne, sei dies bei den elektronischen Büchern anders. Außerdem weigerten sich viele Verlage, die Bestseller als E-Books anzubieten – obwohl die Nachfrage danach hoch sei. Auch mehrere niedersächsische Landespolitiker, die kommunalpolitisch aktiv sind, sehen die Bibliotheken im digitalen Wandel unter Druck. Eva Viehoff (Grüne), Silke Lesemann (SPD), Burkhard Jasper (CDU) und Susanne Schütz (FDP) berichten von den alljährlichen Haushaltsberatungen in Kommunen, bei denen immer auch über Kürzungen bei den Bibliotheken gesprochen werde. Wenn dann zurückgehende Ausleih-Zahlen registriert werden, unterstreicht das oft die Forderungen der Sparpolitiker. Auf der anderen Seite berichten Schütz und Lesemann davon, dass Büchereien heute viel stärker als früher auch als Orte für Arbeitsgruppen und Gemeinschaftsarbeit genutzt werden könnten. „Wenn es früher hieß: ,Ruhig sein, hier darf man doch nur lesen!‘, so ist das heute oft glücklicherweise nicht mehr so.“ Susanne McDowell, Kulturdezernentin von Celle, kommt zu dem Schluss: „Zur Verzweiflung besteht noch kein Anlass.“ Der Bielefelder Stadtbibliotheksleiter Pilzer sieht die Zunft aber dafür in der Pflicht, die eigenen Verhaltensweisen zu ändern: Wenn man die Arbeit von Museen und Bibliotheken miteinander verzahnen wolle (ein Modell, für das Minister Thümler nach eigenen Worten Sympathie hat), dann dürfe man den Büchereien nicht wie bisher die Sonntagsöffnung untersagen. Dann müssten die Öffnungszeiten ausgeweitet werden, dann müsse man Menschen einladen, in der Bibliothek zusammenzuarbeiten, sich auszutauschen und gemeinsam Ideen zu entwickeln. Dann müssten Online-Produkte nicht als Ergänzung angesehen, sondern vorrangig bedient werden.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #211.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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