19. Apr. 2020 · 
Wirtschaft

Althusmann: Wir können das Abgleiten in eine Rezession nicht mehr verhindern

Die größte Unsicherheit für die Wirtschaft in der gegenwärtigen Corona-Krise ist nach den Worten von Minister Bernd Althusmann mit der Frage verbunden, wie lange das Verbot von Veranstaltungen und Geschäftsbetrieb noch aufrecht erhalten bleibt. Zwar verstehe er die Interessen der Unternehmen, doch da das Ziel der Einschränkungen die Gesundheit der Bevölkerung sei, habe dieses unbedingt Vorrang. Der Minister zeigte sich bei seinem Bericht im Wirtschaftsausschuss des Landtags gleichwohl betroffen von der Härte, mit der die Einschränkungen die Gesellschaft treffen. So liege die Zahl der Kurzarbeiter zehnmal so hoch wie auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2009. Fast alle Branchen in Niedersachsen hätten Probleme, einige sogar massive. Mit den Sofort- und den Kredithilfen versuche das Land, möglichst alle Belastungen abzufedern. 642 Millionen Euro aus verschiedenen Hilfsprogrammen seien seit Beginn der Programme Mitte März bewilligt worden, es geht um 82.000 Anträge. Seit wenigen Tagen gibt es zusätzlich noch ein Schnellkredit-Programm der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), das die Hausbanken der Unternehmen vollständig von jeder Prüfung freistellt – allerdings liegt der Zinssatz bei 3 Prozent. Bundesweit liege der Umsatzverlust des Einzelhandels bei 1,1 Milliarden Euro täglich, auch der Online-Handel spüre nach anfänglicher Boom-Phase einen Rückgang. Der Minister listete einige Branchen mit ihren speziellen Schwierigkeiten auf: Einzelhandel: Die Geschäfte dürfen vom 20. April an wieder öffnen, allerdings begrenzt auf eine Verkaufsfläche von 800 Quadratmetern. Diese Obergrenze gilt nicht für Büchereien, Auto- und Fahrradhandel, auch nicht für Baumärkte. Friseure bleiben vorläufig geschlossen. Althusmann sagte, er wünsche sich – soweit möglich – vom 30. April an eine weitere Öffnung auch für Möbelmärkte, die jetzt auch die 800-Quadratmeter-Regel einhalten müssen. Die Begründung für die 800 Quadratmeter liegt laut Althusmann nicht darin, dass in den Geschäften die Kunden zu eng aufeinandertreffen könnten. Vielmehr sei das Ziel, zu starken Ansturm auf Geschäfte in den Innenstädten zu verhindern. So sei die Begrenzung der Verkaufsfläche ein Signal an die Kunden, dass die Geschäfte kein großes Warenangebot zu bieten hätten. Auch Einkaufszentren und Outlet-Center können unter diesen Bedingungen sofort wieder öffnen. Blumenverkauf auf Wochenmärkten wird wieder gestattet. Tourismus und Gastronomie: Althusmann befürwortet ein „Willkommen-Zurück-Investitionsprogramm“ für die Zeit nach der Krise. Zunächst könne die schon zugesagte Tourismusförderung aufgestockt werden. Bei den Restaurants wünscht sich der Minister, dass diese „schnellstmöglich wieder anfahren können“ – vor Anfang Mai sei das aber nicht möglich. Jörg Bode (FDP) klagte, die Begründung der Regierungsverordnung überzeuge nicht, denn auch in Restaurants könnten Abstandsgebote eingehalten werden. Messe, Flughafen, Tierparke: Überall sieht Althusmann große Belastungen. Es sei fraglich, ob in diesem Jahr die Hannover-Messe noch Ausstellungen anbieten kann. Leider könnten bisher öffentliche Unternehmen nicht unter den Rettungsschirm schlüpfen, der für die private Wirtschaft möglich ist. Bei den Tierparken wie dem Serengeti-Park könne man in zwei Wochen vielleicht die Auflagen lockern, zumal die Besucher dort im Auto durch den Park fahren. Airbus und Meyer-Werft: Die Luftfahrtindustrie wird sich laut Althusmann wohl „frühestens in fünf Jahren wieder erholen“, Airbus habe die Produktion in Bremen und Stade schon gestoppt. Die Meyer-Werft (3600 Mitarbeiter) hat zwar noch Aufträge bis 2023, einige Auftraggeber wollten die bestellten Schiffe aber nicht mehr haben. Firmenchef Bernard Meyer spricht von Kurzarbeit und Arbeitsplatzabbau. Althusmann sagte, in einem Runden Tisch wolle er über Investitions- und Innovationsförderung reden. Die Lage sei sehr ernst, da ja auch mit Enercon in Aurich ein weiterer Arbeitgeber in der Region große Probleme zeige. https://www.youtube.com/watch?v=a4C5QcYyzuU Gesundheitswirtschaft: Althusmann warnt davor, die Behelfskrankenhäuser – wie etwa das auf dem Messegelände in Hannover – nach Ende der Krise wieder abzubauen. „Wir brauchen eine langfristige Pandemievorsorge“, sagte der Minister. Dazu gehörten Notfallkliniken, ausreichend Schutzkleidung und andere Reserveeinrichtungen. Notbetreuung der Kinder: Damit stärker als bisher die Eltern kleiner Kinder ihren beruflichen Pflichten nachgehen können, wird die Betreuung ausgeweitet. Künftig soll das Angebot auch dann in Anspruch genommen werden können, wenn nur ein Elternteil „in betriebsnotwendiger Stellung in einem Berufszweig von allgemeinem öffentlichen Interesse“ tätig ist. Veranstaltungsverbot bleibt: Das Versammlungsverbot wird gelockert, so könnten künftig auch wieder Demonstrationen stattfinden – sofern Abstandsregeln und andere Infektionsschutz-Auflagen beachtet werden. Das ist eine wichtige Information vor dem 1. Mai. Bis Ende August bleiben Großveranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern untersagt. Bis dahin aber, sagte Claudia Schröder vom Sozialministerium, seien weiterhin auch Feste und Treffen mit weniger als 1000 Teilnehmern verboten. Die neue Bestimmung besage lediglich, dass Großveranstaltung zwingend bis Ende August nicht möglich sind. Für kleinere Treffen seien schon eher Lockerungen möglich, nur jetzt noch nicht.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #074.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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