Zwei Hügel überragen den Ort Ankum, im Dreieck zwischen Osnabrück, Vechta und Lingen gelegen. Auf einem Hügel steht die Kirche, auf dem anderen das Krankenhaus. Auch das Marienhospital ist auf den ersten Blick als christlicher Ort zu erkennen, mit Heiligen-Skulpturen an der Fassade und einem Kirchenfenster, das den Platz der Kapelle anzeigt. Streng genommen ist sie gar kein Kirchenraum mehr: Der Bischof von Osnabrück hat sie bereits profaniert. Doch die ältere Dame, die hier an einem Dienstagmorgen sitzt, lässt sich trotzdem nicht nehmen, zum Gebet hierherzukommen.

Verwaltungsdirektor Christian Nacke | Foto: Niels-Stensen-Kliniken

„Wir wollten den Standort Ankum nicht schließen wegen der tiefen Verwurzelung im Ort“, sagt Verwaltungsdirektor Christian Nacke. „Aber wir haben jahrelang an der Grenze zur Wirtschaftlichkeit gearbeitet.“ Das Marienhospital Ankum-Bersenbrück ist Teil der Niels-Stensen-Kliniken. Der freigemeinnützige Träger hat seinen Sitz in Osnabrück. Anders als bei kommunalen Kliniken springt hier nicht die Kommune und damit letztlich der Steuerzahler ein, wenn in einem Haus rote Zahlen geschrieben werden. Mit Zuschüssen aus dem Klinikverbund, die andere Häuser erwirtschaftet haben, sei das Marienhospital in der Vergangenheit am Leben erhalten worden, berichtet Nacke. 

Bislang waren „ambulant“ und „stationär“ knallhart getrennt.

Während man bei den Niels-Stensen-Kliniken nach einer Zukunft für das Haus suchte, zeichnete sich in der Politik eine Trendwende ab: Die Enquete-Kommission, die bis 2021 die niedersächsische Krankenhausreform vorbereitete, empfahl, den Bereich zwischen den Sektoren „ambulant“ und „stationär“ auszubauen. „Bislang waren beide Bereiche knallhart getrennt“, erklärt Nacke. Mit Fördermitteln, die das Land für die Umsetzung der Ergebnisse der Enquete-Kommission bereitstellte, entstand in Ankum das erste „Regionale Gesundheitszentrum“ in Niedersachsen. 

Jana Uphoff ist stellvertretende Verwaltungsdirektorin des RGZ in Ankum. | Foto: Beelte-Altwig

Das Niedersächsische Krankenhausgesetz, das 2023 in Kraft getreten ist, teilt die Häuser in Versorgungsstufen ein. Wenn eine Klinik nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden kann, so erklärt es das Gesundheitsministerium auf seiner Website, kann der Träger die Umwandlung in ein „Regionales Gesundheitszentrum“ (RGZ) beantragen. Das entspricht der untersten Versorgungsstufe. „Formal sind wir immer noch ein Krankenhaus“, betont die stellvertretende Verwaltungsdirektorin Jana Uphoff. Allerdings mit reduzierter Bettenzahl, ohne Notaufnahme, Intensivstation und Kreißsaal. Vor der Tür ist immer noch die Rettungswache des Deutschen Roten Kreuzes, doch die Rettungswagen steuern jetzt andere Häuser an. „Wir sind aus der 24/7-Akutversorgung ausgestiegen“, erklärt Nacke. Seine Stellvertreterin ergänzt: „Das heißt aber nicht, dass man nicht spontan zu uns kommen kann, wenn man sich in den Finger geschnitten hat.“ 

Die Ärzte der Klinik bekamen das Angebot, als Angestellte des „Medizinischen Versorgungszentrums“ (MVZ) im Haus zu bleiben. Hier versorgen sie die Patienten ambulant, können die Operationssäle des Hauses inklusive des Personals nutzen und, wenn nötig, Patienten auch stationär behandeln. Viele, besonders die Chefärzte, haben dieses Angebot allerdings ausgeschlagen. Christian Nacke gibt zu, dass er ihre Entscheidung nachvollziehen kann: „Der Tätigkeitsschwerpunkt in einem Regionalen Gesundheitszentrum ist ein anderer als in einer klassischen Klinik.“ Bevor sich ein gesuchter Experte auf ein Modellprojekt mit unklarer Zukunft und rauem Gegenwind in der Kommunalpolitik einlässt, folgt er lieber einem lukrativen Angebot der Headhunter, die die Fachkräfte umwerben.

Christoph Bartsch ist einer von denen, die geblieben sind. Er hat rund 25 Dienstjahre im Marienhospital verbracht, war zuletzt leitender Oberarzt. Für die letzten Jahre seines Berufslebens wollte er nicht noch einmal den Arbeitsplatz wechseln. „Und dann wollte ich ja auch, dass das Krankenhaus überlebt. Für mich ist das ein bisschen emotional“, sagt er und schluckt hörbar. Im MVZ kann er sich wieder mehr auf seinen Schwerpunkt als Handchirurg konzentrieren. Gewünscht hätte er sich die Entwicklung allerdings nicht, erzählt er: „Ich habe es geschätzt, im Team zu arbeiten, nachgeordnete Ärzte zu haben und auszubilden. Jetzt bin ich primär Einzelkämpfer.“ Einen Pluspunkt erwähnt er erst auf Nachfrage: Zum ersten Mal in seinem Berufsleben muss er keine Nachtdienste mehr machen. „Ja, nett“, kommentiert er trocken. „Da habe ich an Lebensqualität schon deutlich gewonnen.“ 

„Das, was wir hier tun, steht in keinem Gesetz.“

Christoph Bartsch war leitender Oberarzt in der Klinik. Jetzt ist er Arzt im MVZ. | Foto: Beelte-Altwig

Ermüdend findet Christoph Bartsch die Diskussionen mit den gesetzlichen Krankenkassen. „Neunzig Prozent der Operationen mache ich eh ambulant“, erklärt er. Bei der Hälfte der verbliebenen Patienten, die er nach dem Eingriff „ins Bett legt“, verlange die GKV einen Nachweis, dass das wirklich nötig sei. „Wir sind in einer Zwischenwelt zwischen ambulant und stationär“, kommentiert Jana Uphoff. „Das, was wir hier tun, steht in keinem Gesetz. Es gibt keinen ordnungspolitischen Rahmen dafür.“ Ihr Chef Christian Nacke formuliert es so: „Wir shiften die Patienten durch die Sektoren hindurch. Das ist ein wahnsinniger Verwaltungsaufwand.“ Denn die Grenze verläuft nicht nur zwischen zwei Abrechnungssystemen. Auch der Datenschutz untersagt bislang, Patientenakten zwischen ambulant und stationär hin- und herzureichen.

Wenn er in den Ruhestand geht, vermutet der Chirurg Bartsch, wird es nicht einfach werden, seine Stelle wiederzubesetzen. „Der Schritt in so eine Position ist eine Lebensentscheidung.“ Es sei viel einfacher, irgendwo in die Fußstapfen eines älteren Kollegen zu treten, als sich auf das Experiment RGZ einzulassen. Dazu kommt, dass die Stelle nach seiner Einschätzung nicht teilzeitgeeignet ist. Das liege an der Zulassung für das „Durchgangsarzt-Verfahren“, um Arbeitsunfälle behandeln zu können. Also geregelte Arbeitszeit: ja, aber bei der Familienfreundlichkeit müssen Bewerber Abstriche machen. 

Künftig wird es eine zentrale Anmeldung für alle Dienstleistungen des MVZ geben. Dazu wird die ehemalige Eingangshalle des Marienhospitals wieder in Betrieb genommen. Die Chefs von Pflege und Verwaltung haben persönlich die Öffnung für den Rezeptionstresen in die Wand geschlagen, erzählt Jana Uphoff schmunzelnd. „Wir finanzieren uns über unsere ambulanten Leistungen“, erklärt sie. Die Auslastung der stationären Betten dagegen schwanke stark. Das MVZ, ergänzt Christian Nacke, erreicht erst knapp ein Viertel der Behandlungen, die für einen wirtschaftlichen Betrieb notwendig sind. Um das historisch gewachsene Gebäude-Ensemble auszulasten und dabei Einnahmen zu erwirtschaften, braucht es viel Kreativität. Wo früher der Hubschrauberlandeplatz war, hat die kleine Cafeteria jetzt eine idyllische Terrasse. Die Küche liefert ihren Mittagstisch auch an Kindergärten und Mensen. Die Physiotherapie hat viel Platz bekommen für Präventionskurse und Reha-Sport. Für das traditionsreiche Hauptgebäude ist allerdings keine Lösung in Sicht, die sich rechnen würde. 

Pressesprecherin Ute Laumann (l.) und Lena Rybacki, die Leiterin des MVZ, zeigen, wo gerade die zentrale Anmeldung entsteht. | Foto: Beelte-Altwig

Um zu sehen, worauf die Verwaltung ihre Hoffnung setzt, muss man – passend für ein christliches Haus – ganz nach oben. Im obersten Stockwerk wurde eine ehemalige Krankenstation zur Kurzzeitpflege umfunktioniert. Hier können sich pflegebedürftige Menschen nach einem stationären Aufenthalt erholen oder eine Zeit überbrücken, in der sich Angehörige nicht um sie kümmern können. So kann gleichzeitig die Verweildauer in den Krankenhausbetten kurz gehalten werden. „Die Kurzzeitpflege ist knatschvoll“, berichtet Christian Nacke. „Wir werden dieses Angebot noch ausbauen.“ Anders als viele andere Häuser ächzt das Marienhospital nicht unter dem Mangel an Pflegekräften. Die Herausforderung für die Leitung besteht eher darin, das Personal flexibel mal in der Kranken- und mal in der Altenpflege einzusetzen. 

Bisher sind erst zwei Krankenhäuser dem Beispiel aus Ankum gefolgt, in Norden und in Bad Gandersheim. Dem „Bürgergesundheitspark Bad Gandersheim“ stattete Gesundheitsminister Andreas Philippi kürzlich einen Besuch ab und lobte die Regionalen Gesundheitszentren als „Leuchtturmprojekte mit Vorbildcharakter“. Niedersachsen sei bundesweit Vorreiter und der Bund werde dem Beispiel folgen, kündigte er an. Christian Nacke freut sich über die Unterstützung. 4,7 Millionen Euro des Landes sind bisher nach Ankum geflossen. Ohne diese Mittel wäre es schwierig, bis zur Krankenhausreform im Bund durchzuhalten. 

Für den Altbau des Marienhospitals in Ankum-Bersenbrück ist noch keine Nachnutzung in Sicht. | Foto: Beelte-Altwig