Alle reden von Geothermie – doch in Niedersachsen passiert auffallend wenig
Wie werden wir in Zukunft unseren Energiebedarf decken? In einer kleinen Serie mit dem Titel „Netzgeflüster“ hat Rundblick-Redakteurin Audrey-Lynn Struck die verschiedenen Formen der Strom- und Wärmeerzeugung unter die Lupe genommen. Heute: die Geothermie. Podcast hier anhören
Mitten im Winter und angesichts von immer weiter steigenden Gaspreisen gehört sie aktuell zu einer der begehrtesten Güter in Deutschland: die Wärme. Öffentliche Gebäude dürfen nur noch maximal auf 19 Grad beheizt werden, und auch in den eigenen Vier-Wänden versuchen viele lieber einen Pullover mehr zu tragen als den Thermostat hochzudrehen und so eine noch höhere Rechnung zu riskieren. Wer in diesen Zeiten eine Wärmepumpe installiert hat, ist zu beneiden. Lange lag der Fokus bei den erneuerbaren Energien auf der Stromversorgung. Der Ausbau von Photovoltaik- und Windkraftanlagen wurde im Vergleich zur Geothermie in den vergangenen Jahren in Deutschland mehr forciert. Dabei wird rund 50 Prozent des Primärenergieverbrauches für die Wärme eingesetzt. „Manchmal hat man so den Eindruck, die Politiker haben Angst vor Bohrungen in die Tiefe“, bemängelt Thor Növig (Foto oben). Der Vorstandsvorsitzende der GeoEnergy Celle redet über eine aus seiner Sicht seit Jahrzehnten verfehlte Klimapolitik der verschiedenen Regierungen. Er sagt, wie vorhandene Gasbohrungen für die Geothermie genutzt werden können und wie die Zukunft der Stadtwerke aussehen kann.
„Die Regierung hat sich zu lange nur auf erneuerbaren Strom konzentriert, obwohl der Strom den kleinsten Teil vom gesamten Kuchen ausmacht“, sagt Növig. Die Hälfte des Energieverbrauches werde für Wärme verwendet, 30 Prozent für den Verkehr und nur 20 Prozent für Strom. „Und dann heißt es immer: Wir haben schon 45 Prozent erneuerbaren Strom. Dann glauben viele, wir wären gut unterwegs. Die Hälfte hätten wir geschafft. Wir haben die Hälfte von 20 Prozent geschafft.“ Deutschlandweit sind rund 400.000 Erdwärmepumpen und 600.000 Luftwärmepumpen installiert. Eine erschreckend geringe Zahl, wenn man sich die Ziele der Bundesregierung anschaut. Bis 2030 will man die Zahl der Wärmepumpen auf sechs Millionen erhöhen, die Hälfte der Wärme soll dann klimaneutral erzeugt werden. Ein großes Vorhaben, denn an vielen Stellschrauben gibt es nach Növig noch Verbesserungsbedarf: Es fehle an Planungskapazitäten, Förderprogrammen und geschulten Installateuren. „In der Branche müssen Tausende neu ausgebildet oder umgeschult werden.“ Im Unterschied zu Gas- und Ölheizungen brauche man bei Wärmepumpen zusätzliches Wissen im Bereich Elektrotechnik. Alle diese Punkte finden sich auch in dem Eckpunktepapier wieder, Details wie die Regierung die Maßnahmen umsetzen möchte bleiben jedoch unerwähnt.
Noch bedeckter hält sich beim Thema Geothermie die niedersächsische Landesregierung. Während im Koalitionsvertrag der Windenergie und der Photovoltaik gleich mehrere kürzere Absätze gewidmet sind, ist zur Geothermie nur ein Satz zu finden: „Wir werden die Erforschung, Erprobung und Nutzung der Tiefengeothermie unterstützen.“ Dabei hat gerade Niedersachsen großen Verbesserungsbedarf. Nur in jedem dritten neu errichteten Wohngebäude wurde 2021 eine Wärmepumpe eingebaut, so eine Statistik des Bundesverbandes Wärmepumpe. Damit landet Niedersachsen im Ländervergleich auf den hinteren Rängen, nur Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg und Bremen sind noch schlechter. „Innerhalb von Deutschland ist Niedersachsen ziemliches Schlusslicht mit den Wärmepumpen“, bestätigt auch Növig. Raumwärme macht 70 Prozent des Energieverbrauches in privaten Haushalten aus, so das Umweltbundesamt. Insbesondere Bestandsgebäude spielen eine wichtige Rolle. Viele ältere Gebäude haben überholte Energiestandards, hinzu kommen in die Jahre gekommene Heizungen. Über die Hälfte der Heizungen sei zwischen 20 bis 30 Jahre alt und stehe nun kurz vor dem Austausch, so Növig. „Die große Herausforderung für Deutschland und Europa ist, wie wir in Zukunft den Altbestand heizen, wenn es kein Erdgas mehr gibt.“ In der heutigen Zeit überlegten es sich viele zweimal, ihre Ölheizung gegen eine Gasheizung auszutauschen. Hinzu kommt, dass ab 2024 deutlich strengere Auflagen beim Heizungstausch gelten. Demnach dürfen nur noch Heizungen eingebaut werden, die zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Eine weitere Option könnte Wasserstoff sein, doch der Vorstandsvorsitzende der GeoEnergy Celle hat auch da Bedenken: zu teuer und ein viel zu schlechter Wirkungsgrad. Bisher gehen bei der Gewinnung laut der Internationalen Energieagentur (IEA) zwischen 20 bis 40 Prozent der Energie verloren, hinzu kommt der Transport. „So bleiben als Alternative eigentlich nur noch die Fernwärmenetze übrig.“
Wie funktioniert eigentlich Geothermie?
Grundsätzlich wird zwischen drei Geothermie-Arten unterschieden: Oberflächennaher Geothermie bis 400 Meter Tiefe, mitteltiefe Geothermie für die Industrie oder Wärmenetze von Gemeinden zwischen 400 bis 1500 Meter Tiefe und tiefe Geothermie ab 1500 Metern. Pro 100 Meter nimmt die Temperatur im Durchschnitt in Norddeutschland um drei Grad zu. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat Anfang November ein entsprechendes Eckpunktepapier vorgelegt, wie man den Ausbau vorantreiben möchte. Der Fokus wird dabei auf mitteltiefe und tiefe Geothermie gelegt, die ab 400 Metern Tiefe anfangen. Darüber hinaus will das Ministerium mindestens 100 zusätzliche geothermische Projekte in den nächsten sieben Jahren anstoßen.
Die Technik einer Wärmepumpe wird gerne mit der eines umgekehrten Kühlschrankes verglichen. Dem Außenbereich wird Wärme entzogen, um sie an den Innenbereich abzugeben. Um eine Wärmepumpe benutzen zu können, braucht man eine Wärmequelle. Je nach Wärmequelle unterscheidet man zwischen Erdwärmepumpen, Luftwärmepumpen und Wasserwärmepumpen. Obwohl die Erdwärmepumpe den höchsten Wirkungsgrad hat, hat die Luftwärmepumpe mit 70 Prozent derzeit den höchsten Marktanteil in Deutschland. Der Grund sind die hohen Bohrungskosten. Eine Möglichkeit um Kosten zu sparen ist die Versorgung ganzer Quartiere über das kalte Nahwärmenetz. Statt einer Bohrung pro Haus gibt es für ein Wohngebiet mehrere Bohrungen an einer zentralen Stelle, von der ausgehend Rohre zu allen Wärmepumpen in den jeweiligen Häusern gelegt werden. Ein weiterer Vorteil: Kauft man Wärmepumpen für ein ganzes Neubaugebiet, gibt es meist Mengenrabatt. Die Wasserwärmepumpe werde laut Növig in Niedersachsen kaum verwendet, weil dies zu Verstopfungen im System führen könne.
Doch regulatorische Vorgaben und hohe Kosten hemmen bisher die Wärmepumpen-Offensive in Deutschland. Trotz hoher Energiepreise können sich viele eine Erdwärmepumpe nicht leisten, einige weichen aus Kostengründen auf die Luftwärmepumpe aus. Statt aus der Erde wird die Wärme aus der Luft entzogen. Die Folge ist ein deutlich schlechterer Wirkungsgrad und ein höherer Stromverbrauch. Ist die Temperatur niedrig, zum Beispiel in den kälteren Wintermonaten, muss erst viel Energie verbraucht werden, um die Luft zu erhitzen. Höhere staatliche Förderungen könnten eine Lösung sein, um mehr Erdwärmepumpen zu ermöglichen, so Növig. Auch die Umsetzung von mitteltiefen bis tiefen Geothermie-Projekten sollten gefördert werden, da sie mit hohen geologischen Risiken verbunden seien. „Meine Idee wäre, einen Risiko-Fonds anzulegen mit 20 Millionen Euro jährlich.“ Eine weitere Herzensangelegenheit ist für Növig, dass die stillgelegten Öl- und Gasbohrungen ebenfalls geothermisch nachgenutzt werden. Jährlich würden allein in Niedersachsen zwischen 35 bis 40 Bohrungen verfüllt, ohne eine Nachnutzung zu überprüfen, schätzt Növig, der rund 40 Jahre in der Bohrindustrie arbeitete. Auch Bergwerke könnten nachgenutzt werden, wie beispielsweise das Kalibergwerk Sigmundshall in Wunstorf (Region Hannover). Durch Spenden konnte GeoEnergy Celle eine Konzeptstudie finanzieren, in der eine mögliche geothermische Nachnutzung des Kalibergwerks in Wunstorf-Bokeloh überprüft wird. „Das Bergwerk ist 1400 Meter tief und wir haben da unten eine Temperatur von 65 Grad“, sagt Növig. Perfekte Rahmenbedingungen seien das. „Die Flutung dauert acht Jahre, bis das Salzwasser auf der nächsten Sole in 900 Meter Tiefe ankommt.“ Genug Zeit, um dem Konzept Taten folgen zu lassen. Die Wärme könnte über drei Schächte nach draußen geleitet werden und direkt in die Stadt Wunstorf fließen.
Eine Schlüsselrolle bei der Energiewende kommt den Stadtwerken zu. „Bisher liefern sie Gas, aber in weniger als 20 Jahren soll die fossile Energieversorgung beendet sein. Ihr Geschäftsmodell fällt zusammen. Meine Antwort ist: Die Stadtwerke müssen Wärmelieferant werden.“ Növigs Idee: Die Stadtwerke vermieten Wärmepumpen als All-Inclusive-Leistung in Neubaugebieten und werden Besitzer von Nah- und Fernwärmenetzen. Auch die Kommunen müssen an einem Strang ziehen. Konzepte müssen her, wie nicht nur bei Neubauten, sondern auch beim Altbestand das Wärmenetz umgestellt werden kann. „Ich habe da so meine Zweifel, ob bei allen Kommunen angekommen ist, vor welcher Aufgabe sie da stehen“, sagt Növig. Erschwerend komme der Personalmangel in der Verwaltung hinzu. Wie es gehen kann, zeigt die Gemeinde Pullach in Bayern. Dank dreier Tiefengeothermiebohrungen bis 3500 Meter Tiefe wird der gesamte Ort heute mit Fernwärme geheizt. Növig träumt von einem ganz ähnlichen Leuchtturmprojekt in Niedersachsen, rund um den Heidekreis. Das Ziel ist es, dass für einzelne Orte eine zentrale Wärmeversorgung durch Geothermie ermöglicht wird.
Dieser Artikel erschien am 08.12.2022 in der Ausgabe #219.
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