23. Mai 2024 · 
Landwirtschaft

Agrarministerin Staudte bemängelt neue Haltungsform-Kennzeichnung des Handels

Mit einer neuen Kennzeichnung der Haltungsform droht der Handel die in Niedersachsen weit verbreitete Weidetier-Haltung empfindlich zu benachteiligen. Niedersachsens Agrarministerin Miriam Staudte (Grüne) hat deshalb eine ungewöhnliche Allianz hinter sich versammelt mit dem Ziel, den Lebensmittel-Einzelhandel doch noch zum Einlenken zu bewegen. Von Landvolk bis Greenpeace und vom Bund deutscher Milchviehhalter (BDM) bis zum Tierwohlverein „Provieh“ sind am Donnerstag die unterschiedlichsten Interessenvertretungen dem Aufruf der Ministerin gefolgt, ihrem Appell Nachdruck zu verleihen.

Verteidigen das Weideland (v.l.): Ottmar Ilchmann, Steffen Hinrichs, Miriam Staudte, Anne Hamester, Frank Kohlenberg. | Foto: Kleinwächter

Das Bündnis hatte sich zuvor mit einem Brief an die Plattform Haltungsform.de gewandt, daraufhin aber nur eine eher ausweichende Reaktion erhalten. Was alle Verbände eint, ist die Sorge vor den möglichen negativen Folgen einer Umstellung bei der Haltungsform-Kennzeichnung auf Milchprodukten. Geplant sei demnach, von dem bekannten vier- zu einem neuen fünfstufigen Bewertungsschema zu wechseln. Nach aktuellem Stand sei dabei vorgesehen, die allermeisten Weidemilch-Betriebe in der dritten Stufe zu belassen und sie damit gleichzusetzen mit einer Haltung im Frischluftstall. Um die Kriterien der höherwertigen vierten Stufe zu erfüllen, müssten die Betriebe künftig einen Lauf-Hof – nicht nur einen Lauf-Stall – für die Tiere anbieten. Das Bündnis rund um die Agrarministerin fordert nun, die Weidehaltung in Gänze und allein in der Stufe 4 einzusortieren, um ihr Alleinstellungsmerkmal für den Kunden sichtbar zu machen – und auch eine entsprechend höhere Vergütung erzielen zu können.

Gesetzliche Regelung zu Haltungsformen fehlt bislang

Der Handel agiert dabei in einer rechtlichen Leerstelle. In einem langwierigen Verfahren hat sich eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe erst kürzlich auf Haltungsform-Kriterien für die Schweinehaltung verständigt und dabei ein fünfstufiges Raster aufgemacht. An diesem scheint sich der Lebensmittelhandel jetzt auch für die Milchviehhaltung zu orientieren. Ministerin Staudte bemängelt aber, man könne die Gleichsetzung von Auslauf- und Weidehaltung beim Schwein nicht Eins-zu-Eins auf die Milchviehhaltung übertragen. Die fehlende Regelung auf Bundesebene öffnet dem Handel Spielraum für eigene Festlegungen.

Dabei gilt zumindest in Norddeutschland längst ein Regelwerk, das auf einem breiten Aushandlungsprozess fußt und eigene Kriterien für das Label „Weidehaltung“ festgelegt hat. Über 40 Organisationen haben sich mittlerweile der Charta von „Pro Weideland“ unter Regie des niedersächsischen Grünlandzentrums angeschlossen. Festgelegt hat man dabei beispielsweise, dass die Milchkühe an mindestens 120 Tagen im Jahr für mindestens sechs Stunden weiden müssen, dass pro Milchkuh und Jahr mindestens 2000 Quadratmeter Grünland vorhanden sein müssen, von denen mindestens die Hälfte als Weidefläche zur Verfügung stehen muss. Arno Krause, Geschäftsführer des Grünlandzentrums, hat dem Lebensmittelhandel nun angeboten, an der Entwicklung der neuen fünfstufigen Skala mitzuwirken.

„Die Weidetierhaltung nun lediglich der neuen Stufe 3 zuzuordnen, ist ein völlig falsches Signal und erreicht das Gegenteil von dem, was gesellschaftlich gewünscht ist, nämlich dass weniger Tiere auf der Weide stehen werden“, sagt Ministerin Staudte. Praktiker fürchten einen enormen Konkurrenzdruck innerhalb der dritten Haltungsformstufe, der zu einem weiteren Rückgang der Weidehaltung führen könnte. Noch ist Niedersachsen ganz vorn mit dabei: 46 Prozent der Milchkühe in Niedersachsen stünden regelmäßig auf der Weide, im Bundesschnitt seien es nur 30 Prozent, erläuterte Staudte.

Arno Krause vom Grünlandzentrum spricht in diesem Zusammenhang von „Verbrauchertäuschung“. Steffen Hinrichs vom BDM verwies auf die ohnehin angespannte Situation für die Weidehaltung aufgrund des Wolfes und erklärt, die höheren Kosten für einen zusätzlichen Lauf-Hof ließen sich nicht darstellen. Landvolk-Vizepräsident Frank Kohlenberg lobt die klaren Kriterien des bestehenden Weideland-Labels, in denen man sich einig sei, und erinnert an den erheblichen Mehraufwand, der sich durch das Raus- und Reintreiben der Tiere, den Zaunbau und das Nachmähen ergeben. Anne Hamester von „Provieh“ warnt vor einem weiteren Rückgang der gesellschaftlich gewollten Weidehaltung, die zudem auch den Bedürfnissen der Tiere am besten entspräche. Stephanie Töwe von Greenpeace erklärt, die Weidehaltung sei für den Artenschutz und das Staatsziel Tierwohl „unermesslich wichtig“.

Dieser Artikel erschien am 24.5.2024 in Ausgabe #094.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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