Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast blickt mit Sorge auf den Rückgang der Tierhaltung in Niedersachsen. | Foto: ML (Archiv)

Als Landesagrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) am Mittwoch den ersten Bericht zur Entwicklung der Nutztierhaltung in Niedersachsen vorgelegt hat, hätte man angesichts der aktuellen Ereignisse auch mit einer freudigeren Miene rechnen können. Schließlich hat der Krieg in der Ukraine eine Verknappung des weltweiten Weizenaufkommens zur Folge und ein Lösungsvorschlag, der schnell im Raum stand, sah eine Verringerung der Tierbestände vor, also ein erstrebenswertes Ziel. Die Idee dahinter war simpel: Wenn die Lebensmittel nun aufgrund des Kriegs knapp werden, sollte man einfach aufhören, so viele Rinder, Schweine und Hühner durchzufüttern, und stattdessen deren Nahrung zur Versorgung der Weltbevölkerung einsetzen. Die Zahlen, die Otte-Kinast gestern vorgestellt hat, hätten vor diesem Hintergrund einen positiven Trend gezeigt: Zwischen 2016 und 2020 ist die Zahl der Rinder in Niedersachsen von 2,6 Millionen auf weniger als 2,4 Millionen gesunken, insgesamt stehen 245.609 Tiere weniger im Stall. Von mehr als 17.000 Betrieben im Jahr 2016 wurden bis 2020 mehr als 2000 aufgegeben. Der Schweinebestand wurde im selben Zeitraum um 345.393 Tiere auf knapp 8,5 Millionen verringert, 1273 Betriebe stellten in diesem Sektor ihre Tätigkeit ein.


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Dass die Anzahl der Nutztiere in Niedersachsen in den vergangenen Jahren zurückgeht, bereitet der Agrarministerin allerdings starke Sorgen und nun doch keinen Grund zur Freude. „Die Idee ‚Teller statt Trog‘ ist nur sehr kurzfristig gedacht“, sagte Otte-Kinast am Mittwoch vor Journalisten. Denn was die Tiere als Futter bekommen, sei keinesfalls einfach so als Menschennahrung zu gebrauchen. „Brotweizen wandert nicht in den Futtertrog“, erklärte die Ministerin und führte darüber hinaus aus, dass die Futtermittel vielfach Nebenprodukte seien, die für den Menschen schlicht nicht verwertbar wären. Außerdem sei es auf die Schnelle gar nicht umzusetzen, die Tierbestände entsprechend stark zu verringern – denn die Tiere stehen nun in den Ställen und noch müssen sie dann auch gefüttert werden.

Teller statt Trog? In vielen Fällen ist Tierfutter kaum für Menschen geeignet. | Foto: GettyImages/Tomaz Levstek

Allerdings verfolgt die Agrarministerin auch keinesfalls das Ziel, die Tierbestände in Niedersachsen noch weiter abzubauen. Ihr geht es vielmehr darum, die aktuellen Zahlen zu stabilisieren und auf dem derzeitigen Niveau zu halten. „Mein Ziel ist es, dass die Nutztierhaltung da bleibt, wo sie ist“, sagte Otte-Kinast und meinte damit nicht nur den Graphen im Koordinatensystem, sondern auch den konkreten Betrieb hier im Land. Ihre Sorge ist eher, dass die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu einer noch stärkeren Abwanderung der Nutztierhaltung ins Ausland führten. Das wäre für Niedersachsen zunächst ein ökonomischer Schaden, denn der Produktionswert der Nutztierhaltung liegt bei 7,4 Milliarden Euro – die Rolle der Landwirtschaft für die niedersächsische Wertschöpfung ist nicht zu unterschätzen. Zudem sei die Nutztierhaltung auch wichtig für die Produktion von Düngemitteln, erklärte die Ministerin. In Folge russischer und chinesischer Exportstopps sei der Preis pro Tonne Dünger von 120 bis 180 Euro auf inzwischen 800 Euro geklettert. Die Tiere im Land sorgen also auch für die Gülle, die auf den Feldern gebraucht wird.

Ein weiterer Rückgang der Tier- und der dazugehörigen Betriebszahlen hätte aber auch gesellschaftliche Auswirkungen. Zunächst stehe hinter jeder Betriebsaufgabe auch immer ein persönliches Schicksal, sagte Otte-Kinast. In den häufig familiengeführten Betrieben rechne man sich gerade sehr genau aus, ob es sich noch lohnt, im kommenden Jahr weiterhin Nutztiere zu halten. Aber auch für die Verbraucher spielt es letztlich eine Rolle, wo die Tiere aufgezogen und geschlachtet werden, wenn man sie nach wie vor verspeisen möchte. Niedersachsens Agrarministerin setzt sich auch deshalb dafür ein, dass die Tierhaltung im Land bleibt, weil man hier zumindest noch einen Blick auf die Bedingungen von Leben und Sterben der Tiere haben kann. Tierwohlstandards und ökologische Erwartungen ließen sich in Niedersachsen besser kontrollieren als im Ausland, so das Argument.


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Was muss sich also tun, damit Rinder, Schweine und Hühner in Niedersachsen bleiben? Agrarministerin Otte-Kinast hat einen bunten Strauß an eigenen Programmen und Strategien. So gibt es die „niedersächsische Nutztierstrategie“, den „Tierschutzplan 4.0“, den anvisierten „Gesellschaftsvertrag für die Landwirtschaft“ und den bereits praktizierten „niedersächsischen Weg“. Doch an einer entscheidenden Stellschraube kann nur die Bundespolitik drehen: die Umsetzung des sogenannten Borchert-Plans. Noch unter der damaligen Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) hatte ein Expertengremium ein Konzept entwickelt, wie das Tierwohl in der Bundesrepublik in einem überschaubaren Zeitraum auf ein deutlich höheres Niveau angehoben werden könnte. Dabei ging es um neue Standards, staatliche Garantien und vor allem Anpassungen im Baurecht, die Modernisierungen von Ställen ermöglichen sollten. Das Konzept hätte auch eine Verringerung der Tierzahlen durch die Hintertür zur Folge, weil den Tieren bei gleichbleibender Stallgröße mehr Raum zugestanden werden sollte.


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Doch zu einer Umsetzung des Borchert-Plans kam es unter der Großen Koalition nicht mehr, was auch ein Verschulden der damaligen Bundesagrarministerin war. Otte-Kinast fordert nun vom neuen Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne), den Borchert-Plan wieder aus der sprichwörtlichen Schublade zu holen und umzusetzen. Ein niedersächsischer Alleingang sei hier hingegen nicht möglich, erklärte die Ministerin auf Nachfrage, weil das Baurecht entsprechend nur auf Bundesebene geändert werden könne. Mit zwei Bundesratsinitiativen hat sich Niedersachsen bereits dafür eingesetzt, auf der am Freitag tagenden Agrarministerkonferenz wird es erneut um diese Thematik gehen. Für die Nutztier-Betriebe in Niedersachsen sei jetzt entscheidend, sagte Otte-Kinast, dass sie bis zum Ende des Jahres ein Signal aus Berlin erhalten, ob sie gewünscht sind, wie die Nutztierhaltung in Zukunft aussehen soll und ob der Borchert-Plan nun kommt.