28. Feb. 2019 · Bildung

AfD hält Inklusion an Schulen für gescheitert, alle anderen widersprechen

Es gehe darum, „Gelingensbedingungen“ zu formulieren, sagt Kultusminister Grant Hendrik Tonne in der Inklusionsdebatte im Landtag. Man müsse weitere Irritationen im öffentlichen Diskussionsprozess vermeiden, meint der SPD-Bildungspolitiker Stefan Politze. Schaut man sich die Proteste aus den Gesamt- und Grundschulen in der Region Hannover allerdings genauer an, gibt es gar keine „Irritationen im Diskussionsprozess“, sondern vielmehr Frust über das Tempo des Inklusionsprozesses. https://soundcloud.com/user-385595761/scheitert-die-inklusion-die-debatte-im-landtag Die hannoverschen Gesamtschulen drohten kürzlich in einem Brandbrief an die Landesschulbehörde sowie an die Stadt, die Aufnahmequote bei Kindern mit Förderbedarf fast zu halbieren. Sie beklagen, dass ihrer Meinung nach Gymnasien zu wenige dieser Kinder aufnehmen und dadurch zu viele auf Integrierte Gesamtschulen gingen, denen sie dann nur schwer gerecht werden könnten. Protest kommt auch von Elternvertretern aus etwa 20 Grundschulen in der Region Hannover. Sie fordern, die sonderpädagogische Grundversorgung von derzeit zwei auf fünf Stunden pro Klasse zu steigern und den Schulen in sozialen Brennpunkten mehr Unterstützung zukommen zu lassen.
Die Inklusion ist bereits gescheitert, und sie wird auch weiterhin scheitern, egal, wie viel Geld und Personal wir investieren werden. Sie scheitert, weil sie eine Utopie ist.
Einen politischen Schlussstrich unter die Inklusion setzt an diesem Donnerstag im Landtag nur eine Partei. „Die Inklusion ist bereits gescheitert, und sie wird auch weiterhin scheitern, egal, wie viel Geld und Personal wir investieren werden. Sie scheitert, weil sie eine Utopie ist“, sagt Harm Rykena, Bildungspolitiker der AfD-Fraktion. Er spricht von einem Milliardengrab, einem Fass ohne Boden. Inklusion würden nur bei grundsätzlicher Doppelbesetzung mit Förderschullehrern in Klassen mit Inklusionskindern gelingen, sagt der ehemalige Grundschullehrer. „Auf wie viele Milliarden würde das den Haushalt des Kultusministerium aufblähen?“, fragt Rykena. Scharfe Kritik daran kommt in der Debatte vom Kultusminister. „Was dieser Prozess ganz sicher nicht braucht, ist eine Polarisierung und Leerformeln wie ‚Inklusion ist gescheitert‘. Die Art und Weise, wie Sie hier über Kinder geredet haben, empfinde ich als zutiefst beschämend“, sagt Tonne in Richtung der AfD.
Was dieser Prozess ganz sicher nicht braucht, ist eine Polarisierung und Leerformeln wie ‚Inklusion ist gescheitert‘.
Der Tagesordnungspunkt war von der FDP im Landtag initiiert worden mit dem effektheischenden Titel „Schulen schlagen Alarm! Scheitert die Inklusion?“ FDP-Bildungspolitiker Björn Försterling, sonst ein Freund scharfer Attacken im Landtag, hielt nicht das, was der Titel versprach. Es folgte kein neuer Strukturstreit, keine neue Diskussion um das Für und Wider der Inklusion. Er wolle überhaupt nicht, dass Inklusion scheitere, sagt Försterling nach der Debatte. Eltern sollten einfach nur die Wahl zwischen guten Förderschulen und einer guten inklusiven Beschulung haben. „Es werden sich auch mehr Eltern für die Inklusion entscheiden, wenn es uns gelingt, die Rahmenbedingungen zu verbessern“, so Försterling in seiner Rede. Für bessere Rahmenbedingungen müsse es zum Beispiel endlich eine einheitliche Ausbildung für Schulbegleiter und mehr multiprofessionelle Teams in den Schulen geben. De FDP-Abgeordnete stellt auch die sonderpädagogische Grundversorgung mit der Gießkanne in Frage. „Ist es nach wie vor richtig, jeder Klasse pauschal zwei Stunden pro Woche zuzuweisen? Es gibt Grundschulen mit höherem und geringeren Bedarf. Und genau hier müssen wir einen Ausgleich schaffen, um das einzelne Kind besser fördern zu können“, sagt Försterling. Auch die Bildungspolitikerin der Grünen, Julia Hamburg, spricht von einem Systemwechsel und einem Umdenken, das vor Ort sehr unterschiedlich gelinge. Die ungleiche Verteilung der Kinder mit Förderbedarf sei schon lange absehbar gewesen. „Eigentlich hätten die Ober- und Hauptschulen Alarm schlagen müssen.“ Dort gebe es deutlich größere Belastungen. „Da müssen wir uns als Politik und Verwaltung auch ankreiden lassen, dass wir es versäumt haben, frühzeitiger zu reagieren.“

CDU für " realistischen Weg zur inklusiven Schule"

Man müsse einen realistischen Weg zur inklusiven Schule finden, sagte CDU-Fraktionsvize Mareike Wulf und sprach von einer kultuspolitischen Mammutaufgabe. Inklusion könne nicht einfach per Gesetz verordnet werden. „Inklusion erfordert eine Haltung, eine Gesellschaft, die Inklusion will und Inklusion erfordert Ressourcen“, sagte Wulf. Und genau hier will Kultusminister Tonne weiter nachlegen. Multiprofessionelle Teams sollten in diesem Jahr weiter gefördert werden, zum einen durch zusätzliches Personal, zum anderen sollen denjenigen, die bisher mit 80-Prozent-Verträgen arbeiten, 100-Prozent-Verträge angeboten werden. Förderschullehrer sollen ab dem nächsten Schuljahr an allgemeinbildenden Schulen eingestellt beziehungsweise dorthin versetzt werden können. 450 Lehrer hätten in Niedersachsen einen solchen Antrag bereits gestellt. „Das ist ein guter Schritt“, sagte Tonne. Die Aussagen des Kultusministers waren damit handfester als die der Regierungsfraktion. Man brauche weiterhin differenzierte gesetzliche und untergesetzliche Regelungen, dozierte Stefan Politze von der SPD. Dazu zählte er ein „wirksames Unterstützungssystem“, die notwendige Ausstattung in den Schulen, eine geklärte Schrittfolge des weiteren Vorgehens sowie eine effiziente Aufgaben und Rollenverteilung. Ob das die Antworten sind, die sich die IGS-Schulleiter sowie die Eltern von Grundschulkindern nach ihren Protesten erhofft hatten? (MB.)
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #040.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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