Während die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst der Länder am Wochenende zu einem Erfolg führten, braut sich an anderer Stelle neuer Konfliktstoff zusammen. Die jahrelange Praxis der Landesregierung, Widersprüche von Beamten gegen ihre Besoldungsbescheide „ruhend“ zu stellen, hört in diesem Jahr auf. Das heißt, dass die Dauerwirkung der jetzt neu erhobenen Widersprüche wegfällt. Wer einen Widerspruch erhebt, muss nun damit rechnen, dass dieser vom Land dann ziemlich bald zurückgewiesen wird. Dagegen wiederum wäre nur eine Klage möglich – und die ist für die Kläger im Fall der Niederlage mit nicht unerheblichen Gerichtskosten verbunden. Dies alles geschieht vor dem Hintergrund, dass mehrere Gewerkschaften weiterhin erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der aktuellen Besoldung in diesem Jahr haben. Das heißt: Obwohl die Gewerkschaften eigentlich zum Widerspruch gegen die Besoldungsbescheide raten, liegt das Risiko dafür – anders als bisher – jetzt bei den Beschäftigten selbst. Wer um seine Bezüge streiten will, muss das künftig auf eigene Kosten tun. Ist das ein Affront an die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes?

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat jetzt ihre Mitglieder über die veränderte Lage informiert. Gleichzeitig bereitet die GdP „Musterklagen“ vor – und sammelt dafür jetzt die nötigen Informationen. Hintergrund der Auseinandersetzung ist die sogenannte „amtsangemessene Alimentation“, also die Frage, ob das Land Niedersachsen die Beamten mit niedrigen Gehältern ausreichend gut bezahlt. Nach bisherigen Urteilen des Bundesverfassungsgerichts muss ein „Abstandsgebot“ gewahrt bleiben: Die Besoldung der Beamten muss um mindestens 15 Prozent über der Höhe der Grundsicherung für Arbeitslose liegen. Dieses trifft in Niedersachsen nach dem bis Ende 2022 geltenden Recht wohl nicht zu – und zwar bei Beziehern der Einkommensgruppen A5 bis A9 in der Laufbahngruppe II, sofern es um Alleinverdiener mit zwei und mehr Kindern geht.
Mit einem schon in einigen Nachbarländern angewandten Modell wurde Ende 2022 Abhilfe geschaffen, ein Gesetz wurde im Herbst 2022 noch kurz vor der Landtagswahl beschlossen: Beamte, die Alleinverdiener sind, sollen einen „Familienergänzungszuschlag“ erhalten, der je nach Besoldungsgruppe variiert, also in den niedrigeren Gehaltsgruppen höher ausfällt als in den höheren. Wenn der Lebenspartner des Beamten ein eigenes Einkommen hat, soll dieser Zuschlag nicht gezahlt werden. Die Landesregierung verweist nun auf dieses Modell und behauptet, damit seien die verfassungsrechtlichen Zweifel an der Höhe der niedersächsischen Beamtenbesoldung beseitigt. Es gebe also – anders als in den Vorjahren – keine Grundlage mehr für die Annahme, die niedersächsische Beamtenbesoldung könne vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern. Was die Vorjahre angeht, als es den „Familienergänzungszuschlag“ noch nicht gab, sind Klagen in Karlsruhe anhängig. Jederzeit wird diesbezüglich mit einem Richterspruch gerechnet, der für Finanzminister Gerald Heere (Grüne) heftige Folgen haben könnte. Es drohen hohe Nachzahlungen.
Anders als die Landesregierung meint nun die GdP, dass die Ende 2022 beschlossene Neuregelung des „Familienergänzungszuschlags“ ebenfalls gegen das Verfassungsprinzip der „amtsangemessenen Alimentation“ verstößt, wenn auch auf andere Weise. Mit dem Zuschlag würden Beamte der Besoldungsgruppen A5, A6, A7 und A9, die als Alleinverdiener zwei Kinder haben, exakt das gleiche Gehalt bekommen. Das Abstandsgebot zwischen den Besoldungsgruppen, ein anderer Grundsatz des Berufsbeamtentums, werde dann nicht mehr eingehalten. Das könnte ein Grund für Klagen aller Angehörigen dieser Gehaltsgruppen sein, die GdP geht in ihrer Mitteilung an die Mitglieder davon aus, dass es bis zu 13.500 Widersprüche gegen die Besoldung im Jahr 2023 geben könnte. Von der Landesregierung heißt es allerdings, der Fall der möglichen Betroffenen sei weit geringer, daher entfalle auch die Dauerwirkung der Widersprüche. Erschwerend für die Beurteilung kommt hinzu, dass dieses neue Prinzip des „Familienergänzungszuschlags“ vom niedersächsischen Finanzministerium bisher noch nicht angewandt worden ist, denn eine Verordnung, die Höhe und Verfahren des Zuschlags regelt, liegt noch nicht vor. Sie befinde sich „in der Ressortabstimmung“, erklärt das Ministerium. Für die GdP-Mitglieder kann das aber zum Problem werden: All jene, die keinen Widerspruch einreichen oder keine Klage im Fall eines abgelehnten Widerspruchs, gehen leer aus, wenn das Bundesverfassungsgericht später die Regel mit dem „Familienergänzungszuschlag“ verwerfen sollte.
Unterdessen zeigt sich Finanzminister Heere zufrieden mit dem Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst der Länder. Mehrbelastungen für den Landesetat werden erwartet in Höhe von 460 Millionen Euro in diesem Jahr, 420 Millionen Euro für 2024 und 1,46 Milliarden Euro für 2025. Der im Haushaltsentwurf für 2024 eingeplante Reservebetrag für die Tariferhöhung reiche aus, erklärt Heeres Sprecherin. Der Abschluss solle „zeitnah“ auch auf die Beamten übertragen werden. Christoph Rabbow vom Philologenverband sagte, die Anpassung des Niedersächsischen Besoldungsgesetzes solle noch vor Weihnachten das Kabinett passieren, damit die Beamten zügig, nämlich gleich Anfang des Jahres, in den Genuss der für die Angestellten ausgehandelten Vergünstigungen gelangen können. Es gehe um die steuerfreie Inflations-Ausgleichszahlung von 1800 Euro. Auf eine „wirkungsgleiche“ Umsetzung des Tarifabschlusses für alle Beamte lege der Philologenverband großen Wert.