Wer kann, der meidet derzeit voll besetzte Busse und Bahnen. Die Corona-Pandemie hat die Mobilität im Land stark verändert, die Ansteckungsgefahr im Öffentlichen Personennahverkehr lässt sich nicht leugnen. Viele Menschen weichen ins Homeoffice aus. Doch wenn man doch an den Arbeitsplatz fahren muss, steht der Individualverkehr hoch im Kurs. Nicht für jedermann ist dabei das Auto das Mittel der Wahl. Vielerorts hat der Radverkehr im vergangenen Jahr einen Boom erlebt. Einzeln und an der frischen Luft ist das Fahren mit dem Rad eine gesunde Alternative – wenn der Weg angenehm und sicher ist.
Der Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) bemängelt jedoch, dass die Politik diesen Boom verschlafen habe. Bei seinem alle zwei Jahre durchgeführten Fahrradklimatest hat der Club ergänzend zu den üblichen Fragen diesmal erhoben, wie die Radfahrer die Reaktionen auf die Pandemie wahrgenommen haben. Das Urteil für Niedersachsen sei ernüchtern, sagte ADFC-Landeschef Rüdiger Henze am Freitag bei der Vorstellung der Ergebnisse. In keiner der fünf Fragen wurde eine gute Note vergeben. Abgefragt wurde etwa, ob die Kommune das Radfahren in der Corona-Krise besonders gefördert habe oder ob man Berichte über die Verbesserung des Radwegenetzes wahrgenommen habe. Henze fordert nun von der Politik, beim Ausbau der Radwege mehr Tempo an den Tag zu legen. Der Fahrradboom werde auch in diesem Jahr nahtlos weiter wachsen, prognostiziert er. Es brauche jetzt keine weiteren Gutachten oder Planungen, sondern den Mut, die Themen anzugehen.
Wir reden hier über die Schulnote ausreichend. Wenn Niedersachsen Fahrradland Nummer 1 bleiben will, kann dies keine zufriedenstellende Note sein. Das ist gerade mal bestanden.
Insgesamt ist Niedersachsen beim Fahrradklimatest nicht unbedingt schlechter geworden, doch die anderen Bundesländer holen auf. In der Erhebung aus dem Herbst 2020 teilt sich Niedersachsen seinen Platz an der Spitze nun mit Baden-Württemberg, dicht gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern. Aber auch Hessen und Schleswig-Holstein ziehen nach und landen im bundesweiten Ranking knapp dahinter. Niedersachsen erhielt die Gesamtergebnis 3,8, der ADFC-Landesverband spricht von einer Stagnation. „Wir reden hier über die Schulnote ausreichend. Wenn Niedersachsen Fahrradland Nummer 1 bleiben will, kann dies keine zufriedenstellende Note sein. Das ist gerade mal bestanden“, erklärte Henze. „Unverkennbar erwarten die Menschen deutlich mehr Maßnahmen und Mut zum Handeln durch Politik und Verwaltungen um den Radverkehr entscheidend zu verbessern.“
Für vier Kommunen ging es im Ranking allerdings leicht nach oben: Langenhagen, Vechta, Bad Zwischenahn und Sehnde wurden in der Befragung im Herbst 2020 besser bewertet als noch zwei Jahre zuvor. Buxtehude konnte seine Platzierung sogar erheblich nach oben korrigieren. Doch in den neun Kommunen Lüneburg, Goslar, Syke, Leer, Papenburg, Stade, Gifhorn, Lilienthal und Bückeburg fiel das Urteil der Radler schlechter aus als 2018, in Burgdorf, Weyhe, Uelzen und Wennigsen sogar erheblich schlechter. Gleichwohl war Niedersachsen bei der Ehrung der Siegerkommunen am vergangenen Dienstag im Bundesverkehrsministerium gleich mit vier Städten und Gemeinden vertreten.
Für die bessere Vergleichbarkeit werden in der ADFC-Umfrage die Kommunen nach Größe sortiert. In der Kategorie der Städte mit mehr als 500.000 Einwohnern hat es die Landeshauptstadt Hannover bundesweit auf den zweiten Platz geschafft. Auf Platz 1 liegt Bremen, auf Platz 3 Frankfurt am Main. Den ersten Platz erzielten in ihren jeweiligen Kategorien außerdem Göttingen (100.000 bis 200.000 Einwohner) und Nordhorn (50.000 bis 100.000 Einwohner). Westerstede erreichte den dritten Platz bei den Kommunen mit 20.000 bis 50.000 Einwohnern.
ADFC-Landeschef Henze freut sich über den Bedeutungsgewinn des Fahrradklimatests, der im vergangenen Jahr zum neunten Mal durchgeführt wurde. Insgesamt 21.288 Teilnehmer haben sich an der Befragung beteiligt, das sei ein Anstieg von 43 Prozent im Vergleich zur vorherigen Erhebung. Der Anteil der ADFC-Mitglieder daran liege lediglich bei 15 Prozent, was für Henze ein Ausweis der Akzeptanz der Erhebung ist. Außerdem würden drei Viertel der Befragten sowohl mit dem Fahrrad als auch mit dem Auto fahren – kannte also beide Perspektiven und könnte diese miteinander vergleichen. Die Ergebnisse seien zwar nicht repräsentativ, sagt der Vorstandschef, hätten aber eine hohe Aussagekraft. Je nach Größe einer Kommune habe man diese erst ab einer Teilnehmerzahl von 50 bis 100 Menschen in die Statistik mit aufgenommen, damit die Daten halbwegs belastbar waren. 109 Städte haben es so in die Wertung geschafft, und darunter sind immerhin 74 Städte, die 2018 noch nicht aufgenommen wurden.
Mit 27 Fragen wollte der ADFC herausbekommen, ob die Menschen Radfahren eher als Spaß oder als Stress empfinden, ob die Radwege häufig durch Falschparker blockiert werden oder ob sich die Radler als solche im Straßenverkehr und bei der Verkehrsplanung ernstgenommen fühlen. Im Schnitt konnte Niedersachsen bei der Erreichbarkeit der Stadtzentren recht gut abschneiden, hier vergaben die Befragten die Durchschnittsnote von 2,5 – gemessen im Modus der Schulnoten von 1 für „sehr gut“ bis 6 „ungenügend“. Der Aussage, dass Radfahren ein angemessenes Angebot für Jung und Alt ist, gaben die Niedersachsen die Note 2,6. In der Kategorie „schnelles Radfahren“ wurde die Durchschnittsnote 2,5 vergeben. Schwächen macht der ADFC aber bei Falschparkern aus. Auch die Breite der Radwege wurde mehrheitlich schlecht bewertet, ebenso die Verfügbarkeit von Leihfahrrädern.
Von Niklas Kleinwächter