Die Beamten stehen in einem besonderen Verhältnis zu ihrem Arbeitgeber, dem Staat. Das ist schon durch das Grundgesetz abgesichert und wird vom Beamtenbund auch immer wieder betont. Ein Teil dieser Sonderstellung bezieht sich auf die Gesundheitsversorgung. Die allermeisten Beamten haben eine private Krankenversicherung abgeschlossen, der Staat als Arbeitgeber leistet dafür eine Beihilfe, die mindestens die Hälfte der Behandlungskosten abdecken soll. Das gilt aber nur dann, wenn es überhaupt eine Behandlung gibt. Diese Regelung, seit Jahrzehnten unangefochten, soll nun auf Betreiben der rot-grünen Koalition in Niedersachsen geändert werden.

Die Regierungsfraktionen haben den Gesetzentwurf für eine „pauschale Beihilfe“ vorgelegt. Das soll – kurz gefasst – allen neuen Beamten eine Wahlmöglichkeit eröffnen: Sie sollen künftig auch Mitglied einer gesetzlichen Krankenversicherung werden können und in diesem Fall vom Staat einen pauschalen Betrag für ihre monatliche Beitragszahlung bekommen können. Der Staat soll für jeden Versicherten die Hälfte der Versicherungskosten tragen. „Pauschale Beihilfe“ heißt dieses System. Im Gesetzentwurf ist nun von „Mehrkosten in Millionenhöhe“ für den Landeshaushalt die Rede, und bei den verschiedenen Interessensverbänden löst der Plan der Koalition ein sehr unterschiedliches Echo aus. Das wurde jetzt bei einer Anhörung im Haushaltsausschuss des Parlaments deutlich.

Man darf hinter den Absichten von SPD und Grünen durchaus auch eine Positionierung in einer umkämpften Grundsatzfrage vermuten. Schon vor vielen Jahren kam von beiden Parteien ein leidenschaftliches Bekenntnis zur „Bürgerversicherung“ – also einer Ausweitung der gesetzlichen Krankenversicherung auf alle Berufsgruppen, auch die Beamten. Die Vertreter der Privatkassen vermuten dahinter pure Ideologie und sehen einen Angriff auf ihre Existenz. Nun kann man zwischen den Zeilen des Gesetzentwurfs einen ersten Schritt in die Richtung sehen, den Beamten einen Wechsel in die gesetzliche Krankenkasse schmackhaft zu machen. Die generelle Einführung einer Bürgerversicherung obliegt zwar dem Bundesgesetzgeber, die Beihilfe-Regel indes ist Landessache – auch wenn sie als Signal an den Bund interpretiert werden kann. Aber ist das überhaupt der richtige Weg? Oder ist das viel zu teuer für das Land?
Joachim Schwind vom Landkreistag als Sprecher der Kommunalverbände nimmt eine zurückhaltende Position ein. Man sehe die Pläne von Rot-Grün schon deshalb als kritisch an, da das System auch für die Kommunalbeamten gelten soll. Eine Schätzung der möglichen Mehrkosten für Kreise, Städte und Gemeinden allerdings liege bisher nicht vor. Allerdings hätten die Kommunen durchaus Verständnis für die Forderung. Es gebe „eine kleine Zahl von Beamten“, die nach den geltenden Regeln Schwierigkeiten habe, zu angemessenen Bedingungen eine private Krankenversicherung mit Vollkosten-Erstattung abzuschließen. Das gelte etwa für Kollegen mit Vorerkrankungen oder gesundheitlichen Beeinträchtigungen.
Probleme hätten auch kommunale Wahlbeamte, die zuvor in der gesetzlichen Krankenversicherung waren und nun in eine private wechseln müssten, um die Beihilfe beanspruchen zu können. Sind sie schon im fortgeschrittenen Alter, werde es für sie schwer. „Die finden dann oft keine Versicherung mehr.“ Der Ruf nach einer Wahlmöglichkeit für Beamte mit pauschaler Beihilfe sei also berechtigt. Auf der anderen Seite aber müsse man einräumen, dass der Leistungsumfang der Beamten-Beihilfe in den vergangenen Jahren ausgeweitet worden sei und faktisch dem der gesetzlichen Krankenversicherung entspreche. Wenn nun gerade junge Beamte zum Start ihres Berufslebens sich entscheiden müssen, ob sie die Option der gesetzlichen Krankenversicherung annehmen, dann sei das eine sehr schwere, nicht mehr umkehrbare und über Jahrzehnte bindende Entscheidung – und das verlange den Betroffenen viel ab.
Alexander Zimbehl vom Niedersächsischen Beamtenbund (NBB) sieht den Entwurf ebenfalls kritisch. Die bisherige Regel, eine Kombination aus Beihilfe und privater Krankenversicherung, folge aus der Fürsorgepflicht des Staates für seine Beamten und trage damit erheblich zur Attraktivität des Beamten-Berufes bei. Da es aber richtig sei, die Beamten mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu unterstützen, die derzeit nur schwer in einer privaten Krankenversicherung mit breitem Leistungskorridor Aufnahme finden, müsse die Beihilfe „dringend reformiert“ werden. Der NBB räumt ein, dass es durchaus sinnvoll ist, in dem Gesetz die Chancen eines mehrmaligen Wechsels zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung auszuschließen. Somit solle ein „Beihilfe-Hopping“ vermieden werden.
Wie die Kommunalverbände befürchtet auch der NBB, dass junge Beamte mit der für Jahrzehnte bindenden Entscheidung für ein System überfordert sein könnten. Daher solle – anders als bisher im Entwurf vorgesehen - für die Betroffenen schon die Chance einer individuellen Umorientierung eingeräumt werden. Positive und negative Aspekte einer gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung seien ja meist erst erkennbar, wenn man eine Familie gegründet oder seine Lebenssituation verändert hat. Ungeklärt sei in dem Entwurf auch die Frage, wie es um Beamte steht, die nach der überstandenen Dienstunfähigkeit wieder in ein Beamtenverhältnis zurückkehren wollen.
Der NBB geht nun von Mehrkosten für Land und Kommunen von 16,5 Millionen Euro im ersten Jahr aus, die Tendenz sei steigend. Dieses Argument ist für Florian Reuther vom Verband der Privaten Krankenversicherung ein wesentlicher Punkt, den rot-grünen Gesetzentwurf in Bausch und Bogen abzulehnen. Neben dieser Kostenschätzung kämen noch weitere Lasten auf den Staat zu – nämlich in den Fällen, in denen Beamte oder Pensionäre Pflegefälle werden. Wenn dann die pauschale Beihilfe nicht ausreiche, sei der Staat wegen seiner Fürsorgepflicht gezwungen, ergänzende Unterstützung zu leisten. Das sei jüngst in einem Gutachten der Landesregierung von Baden-Württemberg erläutert worden. Dieser Effekt trete schon ein, wenn die Erstattung der Gesetzlichen Krankenkasse für ein nötiges Hörgerät nicht zur vollen Deckung der Kosten reiche. Auch der hannoversche Rechtsprofessor Hermann Butzer sieht hier ein Problem: Die im Grundgesetz verbriefte Fürsorgepflicht für die Beamten könne bedeuten, dass Betroffene Ansprüche stellen können, die über die bisher in der „pauschalen Beihilfe“ bereitgestellten Zahlungen des Dienstherrn hinausgehen.
Zu den Befürwortern der Reform zählt der DGB. Deren Sprecherin Tina Kolbeck spricht von einem notwendigen Schritt. Wenn Beamte bisher in die Gesetzliche Krankenversicherung wechseln, müssten sie die Beiträge vollständig selbst entrichten. Insofern sei der geplante pauschale Zuschuss von 50 Prozent gut und richtig – mehrere andere Länder hätten sich schon auf diesen Weg begeben. Einen Anreiz biete die Wahlmöglichkeit vor allem für Beamte in niedrigen Besoldungsgruppen und in Teilzeit. Für sie seien die einkommensunabhängigen Beiträge der Privaten Krankenversicherung besonders hoch – der Wechsel zur gesetzlichen Krankenkasse könne also ein Vorteil sein. Auch Quereinsteigern in den Landesdienst werde so der Weg zum Staat als Arbeitgeber erleichtert.
Der Landesleiter der Techniker-Krankenkasse, Dirk Engelmann, ist ebenfalls ein Anhänger der Reform – zumal er als einer der Erfinder dabei war, als diese 2018 erstmals in Hamburg eingeführt wurde. Inzwischen würden 13 Prozent aller neuen Beamten, die in Hamburg tätig werden, die Option mit der pauschalen Beihilfe nutzen – darunter 25 Prozent aller neuen Lehrer. Mehr seien es deshalb noch nicht, da bisher nicht alle Bundesländer diese neue Variante festgelegt hätten und viele Beamte daher recht vorsichtig seien.
Engelmann sieht in dem von Rot-Grün geplanten Modell langfristig einen Kostenvorteil für den Staat, auch wenn die Einführung zunächst in den Anfangsjahren einiges kosten würde. Die bisherige Beamten-Beihilfe werde mit den Jahren immer höhere Ausgaben erfordern – je mehr ältere Beamte und Pensionäre es gibt, die eine Krankenbehandlung brauchen. Bei den Pensionären leiste der Staat in der bisherigen Beihilfe sogar einen Zuschuss von 70 Prozent. Die pauschale Beihilfe jedoch sei an das Einkommen gekoppelt, ein erheblicher Anstieg sei also weniger zu erwarten – und es bleibe auch bei den Pensionären bei 50 Prozent.
In der Anhörung bleibt diese Kostenschätzung unwidersprochen im Raum stehen. Aber TK-Landesleiter Engelmann und Prof. Butzer sind sich in einem Punkt einig: „Es gibt in dieser Sache ganz viele Zahlen und Schätzungen – aber da es um lange Zeiträume und viele mögliche Einflüsse geht, sind Prognosen überaus schwierig.“
