Wer sammelt Punkte bei den CDU-Delegierten?
An einer Stelle glaubt Armin Laschet, seinen Kontrahenten Friedrich Merz entlarvt zu haben. Die Moderatorin Silke Leinweber hat gerade eine ihrer berüchtigten Spontanfragen gestellt, und die drei Bewerber für den CDU-Bundesvorsitz sollten darauf auf besondere Weise reagieren – sie sollten ein Symbol in die Höhe halten. „Wie stehen Sie zur Ära Merkel?“ will Leinweber wissen. Laschet und Norbert Röttgen halten ein Schild mit einem lächelnden Gesicht in die Höhe. Und Merz? Er tut das gleiche, zeigt ebenfalls ein freundliches Zeichen in die Kamera. Daraufhin prustet Laschet los: „Mensch Friedrich, das hätte ich Dir gar nicht zugetraut.“ Alle lachen, aber wirklich locker wirken sie in diesem Moment nicht. Dabei hat sich jetzt, etwa in Minute 76 der 100 Minuten langen Veranstaltung, vielleicht eine Schlüsselszene ereignet: Ist Merz, der Kandidat des rechten CDU-Flügels, kein Merkel-Gegner mehr?
Die Niedersachsen-CDU hatte die drei Bewerber für den CDU-Vorsitz, die sich am 15. und 16. Januar den 1001 Delegierten des CDU-Bundesparteitags stellen sollen, zu einer virtuellen Konferenz eingeladen. Eigentlich hätten die drei in Hannover erscheinen und vor den 140 niedersächsischen Delegierten des Parteitages Auskunft geben sollen. Doch wenige Tage vor dem Ereignis, in Anbetracht der hochschnellenden Corona-Zahlen, entschied sich der Landesverband dann doch anders. Laschet, Merz und Röttgen wurden jetzt nur per Video zugeschaltet, die Parteitagsdelegierten wurden an ein Übertragungssystem angeschlossen und konnten direkt ihre Fragen stellen, alle CDU-Mitglieder und Interessierte konnten die Veranstaltung im Netz verfolgen.
CDU-Landeschef Bernd Althusmann assistierte der Moderatorin Leinweber, er las einige Fragen vor, die von außen an die drei herangetragen wurden. Und auf einem großen Bildschirm, der in der CDU-Landesgeschäftsstelle aufgebaut war, beobachtete die engere Parteispitze in Niedersachsen das Ereignis. Die spannendste Frage war dabei: Hat sich die Rolle der drei Bewerber verändert? Gibt es inzwischen einen Favoriten?
Dass Merz, der ewige Kritiker der Kanzlerin, die Ära Merkel nun auf einmal positiv bewertet, kann zweierlei bedeuten – entweder ist er über die vielen Monate des CDU-internen Parteienwettstreits milde geworden, oder aber er hat vor der Veranstaltung in Hannover Kreide gefressen und unterdrückt seine wahre Position. Wie auch immer, vor den niedersächsischen Delegierten wirkt Merz weniger bissig und forsch als sonst, eher ein wenig erschöpft. An mehreren Stellen sagt er, in den Detailfragen der Wirtschafts- oder Verteidigungspolitik seinen beiden Mitbewerbern im Wesentlichen zuzustimmen. Womöglich hätten viele gerade von Merz anderes erwartet.
Röttgen hingegen, der anfängliche Außenseiter, sticht gegenüber seinen beiden älteren Mitbewerbern wenigstens äußerlich hervor. Er hat sich vor einer Werbetafel mit eigenem Spruch „Jetzt voran!“ platziert, trägt kein Jackett und keine Krawatte wie die anderen beiden. Laschet sitzt immerhin vor einer Wand mit CDU-Emblem, bei Merz ist der Hintergrund einheitlich grau. Röttgen lächelt meist freundlich, Laschet kaut manchmal auf seinen schwarz-gelben Stift und blickt zuweilen überaus skeptisch, Merz fläzt sich vor der Kamera in seinem Stuhl und grinst.
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Würden die Kandidaten bei anfänglichen Fangfragen aufs Glatteis gehen? Der These, dass Niedersachsen das schönste Bundesland sei, stimmen Laschet und Merz mit einem besonderen Emoji zu – einem Lächeln mit Sonnenbrille. Röttgen, der als überzeugter Rheinländer keine Zustimmung gegeben hat, nennt die anderen „Ihr Verräter“. Immerhin: Alle wissen hier noch, dass die Antwort nicht allzu ernst gemeint gewesen sein kann. Später, als es um den Vergleich von Karneval und Schützenfest geht, sind alle drei so klug, ihre Verankerung in NRW nicht zu stark zu leugnen. Karneval hat bei ihnen Vorrang.
Die erste inhaltliche Bewährungsprobe kommt kurze Zeit später. Da machen die drei mit unterschiedlichen Positionen Punkte – oder auch nicht. Laschet trägt, als er das wichtigste Thema für Niedersachsen nennen soll, umständlich dozierend drei Details mit Erläuterungen vor – Corona-Krise, Wirtschaftskrise und Stadt-Land-Gefälle. Röttgen und Merz, die nach ihm an der Reihe sind, wiederholen den Fehler nicht und kommen jeweils mit einem Begriff auf den Punkt, „digitales Niedersachsen“ bei Röttgen und „Technologie“ bei Merz.
Eine Probeabstimmung verkneift sich die CDU
Bei den Mitgliedern der Niedersachsen-CDU indes, das sagt Leinweber kurz darauf, ist ein andere Thema ganz vorn – die Landwirtschaft. Jetzt geschieht, was passieren kann, wenn die Vorbereitung nicht perfekt läuft. Merz spricht über die Düngeverordnung und den Unmut darüber, den er bei einem Besuch in Cloppenburg und Vechta gespürt habe. Immerhin, er kann einen Teil des Themas berühren. Röttgen holt zu einem Grundsatzvortrag über das Verhältnis von Landwirtschaft, Kulturlandschaft und Digitalisierung aus, er steht an der Schwelle zur Schwafelei.
Einzig Laschet, der als dritter an die Reihe kommt und damit etwas mehr Zeit zum Überlegen hatte, geht mehr in die Tiefe, spricht von EU-Vorgaben, von einer Häufung von Vorschriften und davon, dass viele Bauern ihm, dem Ministerpräsidenten, ihr Leid geklagt hätten: „Die wollen keine Subventionen, die wollen, dass wir sie von ständig neuen Auflagen verschonen.“ Auch beim zweiten Thema, der Wirtschaft, macht sich Laschets Heimvorteil als Landespolitiker bezahlt – er spricht von der Bedeutung der Autoindustrie, von umweltfreundlichen Diesel-Fahrzeugen und davon, die Stahlproduktion in Salzgitter zu stützen.
Röttgen kann wenig später seine Stärke beweisen, als es um die Modernisierung der Partei geht und er ein flammendes Plädoyer für eine Veränderung der CDU hält. Sie müsse „weiblicher, jünger und digitaler“ werden, ruft er, und klingt ganz so, das auch mit großem Ernst anpacken zu wollen. Merz ist derweil bemüht, in seine Antworten noch ein paar Schlüsselworte unterzubringen. So erwähnt er den JU-Bundesvorsitzenden Tilman Kuban, der heute im Europaparlament säße, wenn der EU-Wahlkampf anders gelaufen wäre – und später nennt er die Vize-Bundesvorsitzende Silvia Breher aus Südoldenburg, die zu seinem Team gehören werde, falls er nächster CDU-Chef würde.
Auf eine Frage zur Abschiebung von Gefährdern nach Syrien schafft es Merz dann auch noch, in einem Halbsatz die Arbeit der Kanzlerin anzuprangern – „besser wäre es gewesen, die Gefährder aus Syrien wären gar nicht erst zu uns gekommen. Diese Flüchtlingspolitik von Angela Merkel darf sich nicht wiederholen“. Aber das wirkt eher pflichtschuldig als kämpferisch, Merz vermeidet es, diese These weiter auszuführen oder zu vertiefen.
So sammelt Laschet noch Punkte
Interessant ist, wie sich Merz und Laschet an diesem Tag zueinander verhalten: Mehrfach nickt Merz zustimmend, wenn Laschet etwas ausführt. Laschet hingegen amüsiert sich köstlich, als Merz in einer Antwort den Namen Kuban eingeflochten und damit eine direkte Ansprache an die Mitglieder der Jungen Union untergebracht hat.
Dann schafft es Laschet noch, besser als seine beiden Kontrahenten, in diesen 100 Minuten ein paar Kernsätze zu platzieren: Ausdrücklich erwähnt er die CDU als Partei verschiedener Traditionen – die Wirtschaftsliberalen wie Ernst Albrecht, die Konservativen wie Wilfried Hasselmann und die Christsozialen wie Werner Remmers, dem „Vordenker“. Im nächsten Bundeskabinett, betont Laschet dann noch, müssten „die Hälfte der Ministerposten an Frauen“ gehen. Auch damit sammelt er Punkte, denn ähnlich konkret werden Röttgen und Merz hier nicht. Dass er „im Team mit Jens Spahn“ antritt, vergisst Laschet auch nicht zu betonen. Zu den Kanzlerambitionen wird nicht noch einmal nachgehakt.
Eine Probeabstimmung verkneift sich die Niedersachsen-CDU am Ende der Veranstaltung zwar, allerdings auch nicht konsequent. Die rund 100 Parteitagsdelegierten, die teilgenommen haben, müssen hinterher zwei Fragen beantworten. Die erste lautet, mit wem sie am liebsten gemeinsam feiern würden – dort liegen Laschet und Merz Kopf an Kopf, Röttgen ist abgeschlagen. Die zweite Frage heißt, wer von den Kandidaten am besten einen kränkelnden Bundesligaverein in Schwung bringen könnte. Hier erreicht Merz 43 Prozent, Röttgen 21 und Laschet nur zwölf. Mit anderen Worten: Das Rennen bleibt offen. (kw)