Zu wenig Frauen in Führungspositionen: Initiative fordert mehr gesetzliche Vorgaben
Die meisten Führungspositionen in der niedersächsischen Wirtschaft sind nach wie vor in Männerhand. Das zeigt eine Studie der Initiative „Frauen in die Aufsichtsräte“ (FidAR), die gestern in der Wolfsburger Autostadt vorgestellt wurde. Sowohl in Aufsichtsräten (26,7 Prozent Frauenanteil) als auch in Top-Managementorganen (18,6 Prozent) sind Managerinnen demnach stark unterrepräsentiert. „Bei der Gleichberechtigung zeigt sich immer wieder: Wo explizite gesetzliche Vorgaben fehlen, hinkt der Frauenanteil hinterher“, kommentiert FidAR-Gründungspräsidentin Monika Schulz-Strelow das Ergebnis. In Niedersachsen würden zwar nur wenige Unternehmen unter die Quotenregelungen und die Zielgrößenpflicht fallen. „Aber fehlender Druck des Gesetzgebers ist keine Ausrede für mangelndes Engagement“, ärgert sich Schulz-Strelow. Und auch Sozial- und Gleichstellungsministerin Daniela Behrens (SPD) ist unzufrieden. „Wir wollen bei den Beteiligungen des Landes und der Kommunen wie auch in der Privatwirtschaft Fortschritte sehen. Denn wir haben hier in Niedersachsen genügend bestens qualifizierte Frauen, die bereit sind, Führungsverantwortung zu übernehmen“, sagt Behrens.
Die Studie hat den Frauenanteil in den Aufsichtsgremien und den Geschäftsleitungen von 103 öffentlichen und privaten Unternehmen in Niedersachsen untersucht. Ganz oben im Ranking stehen die Tourismus Marketing Niedersachsen (TMN), der hannoversche Verkehrsbetrieb Üstra, das Institut für pharmazeutische und angewandte Analytik (InphA) sowie die Wirtschaftsförderungsgesellschaft „Hannoverimpuls“. Bei allen vier Unternehmen mit öffentlicher Beteiligung ist die Geschäftsleitung ausschließlich mit Frauen besetzt. Die erste privatwirtschaftliche Firma im Ranking ist die Avacon AG auf Platz 19. Das Energieunternehmen aus Helmstedt hat einen Frauenanteil von 40 Prozent im Aufsichtsrat und 33,3 Prozent im Top-Managementorgan. Unter den Top-25 rangieren auch der Fotodienstleister Cewe aus Oldenburg, die Continental AG, der Saatguthersteller KWS aus Einbeck und die Versicherungsgruppe Hannover Rück. Ansonsten sind im oberen Teil des Rankings ausschließlich Unternehmen in Hand des Landes oder der Kommunen vertreten. Den letzten Platz teilt sich die kommunale Technologie- und Gründerzentrum Oldenburg GmbH mit sieben Unternehmen aus der Privatwirtschaft: Hellmann Worldwide Logistics, Kone GmbH, Krone Gruppe, Lenze SE, Niedersächsische Wach- und Schließgesellschaft, Piepenbrock Service, Verlagsgesellschaft Madsack und Vereinigte Hannoversche Versicherung. In diesen sieben Unternehmen ist weder im Aufsichtsrat, noch im Topmanagement eine Frau zu finden.
„Wir brauchen mehr Frauen in Führungspositionen, um nachhaltig erfolgreich zu sein.“
Gunnar Kilian
Von den untersuchten Unternehmen sind 46 börsennotiert oder mitbestimmt und unterliegen damit der Pflicht, Zielgrößen zu veröffentlichen. Allerdings werden laut Studie nur von 27 Unternehmen (58,7 Prozent) solche Zielgrößen tatsächlich definiert. „Da die freiwilligen Maßnahmen nicht greifen, sollten klare Ziele zur gleichberechtigten Teilhabe bei den Beteiligungen des Landes Niedersachsen und der Kommunen verankert werden“, fordert FidAR-Vizepräsidentin Prof. Anja Seng. Die gebürtige Hannoveranerin und Vize-Direktorin des Instituts für Public Management (ifpm) drängt außerdem darauf, die Aufsichtsratsquote für viel mehr Unternehmen zur Pflicht zu machen. „Das ist der effektivste Hebel, um Veränderungen auf allen Führungsebenen zu erreichen“, meint Seng. Und auch Volkswagen-Personalvorstand Gunnar Kilian sagt: „Wir brauchen mehr Frauen in Führungspositionen, um nachhaltig erfolgreich zu sein. Auf diesem Weg sind Instrumente wie die Frauenquote unverzichtbar.“ Im Ranking liegt Volkswagen zwar nur auf Platz 38 mit einem Frauenanteil von 35 Prozent im Aufsichtsrat. Da sich die Studie allerdings auf den Stand vom 1. Januar 2022 bezieht, dürfte VW noch etwas nach oben rutschen. Mit Hauke Stars, Hildegard Wortmann und Imelda Labbé hat der Wolfsburger Autobauer seitdem drei neue Topmanagerinnen verpflichtet. „Unser Ziel ist es, dass irgendwann Diversität auf allen Managementebenen der Normalfall sein wird“, sagt der Volkswagen-Personalvorstand.
Studie attestiert Niedersachsen viel Nachholbedarf
„In der Gesamtschau lässt sich für Niedersachsen in Bezug auf die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in den wichtigen Schaltstellen der Unternehmenssteuerung viel Nachholbedarf konstatieren“, lautet das Fazit der Studie. Zudem liege der Frauenanteil in den Aufsichtsgremien der privatwirtschaftlichen sowie in den Landesbeteiligungen deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. Die niedersächsischen Werte seien zwar nicht so schlecht wie die von Sachsen oder Bayern. Von einer gleichberechtigten Teilhabe in den Aufsichtsratsgremien sei man aber „noch meilenweit entfernt“. Der Vorschlag an die Landesregierung lautet daher auch, den Druck zu erhöhen. „Für die Landesunternehmen empfiehlt es sich, Regelungen einzuführen, die eine paritätische Besetzung für die vom Land zu besetzenden Sitze im Aufsichtsgremium zwingend vorsehen“, heißt es. Weiterhin werden ein Public Corporate Governance Kodex, ein gezieltes Empowerment von Frauen, eine spezifischere Rekrutierung von Frauen sowie mehr Transparenz gefordert.
„Ich möchte diesen Index jedes Jahr vorlegen, um die Entwicklung aufzuzeigen und Motivation zu versprühen. Gesetze sind ganz wichtig, aber wir brauchen auch die Mitwirkung der Unternehmen“, sagt Behrens und ergänzt: „Die großen Unternehmen, die wir hier in den Blick nehmen, sind nicht die Mehrheit. Aber es sind die Flaggschiffe, an denen sich die kleinen und mittelständischen Unternehmen orientieren.“
Dieser Artikel erschien am 11.05.2022 in der Ausgabe #088.
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