
Gefahr steigender Politikmüdigkeit
Aber ist das überall und jederzeit so? In den wenigsten Städten und Kreisen sind in den vergangenen Jahren wirklich schwierige Entscheidungen gegen Proteste gefällt worden. Die Finanzen waren fast überall geordnet, die Steuerquellen sprudelten, Sparprogramme waren oft nicht nötig. Da fiel nicht weiter ins Gewicht, wie zersplittert die politische Landschaft vielerorts ist. Zu nennen wären hier jetzt vier größere Städte, in denen jeweils zehn Gruppierungen im Rat sitzen: Neben Hameln sind es Celle, Delmenhorst und Oldenburg. Dirk-Ulrich Mende, ehemaliger Celler Oberbürgermeister und jetzt Geschäftsführer des Städtetages, sieht in diesen Verhältnissen die Gefahr einer steigenden Politikmüdigkeit: Man könne sich immer nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner verständigen, außerdem neigten viele kleine Gruppierungen dazu, einmal entschiedene Fragen immer wieder erneut auf die politische Tagesordnung zu stellen. Das koste Zeit und Nerven.Ich stoße schon an meine Grenzen.
Als „ungerecht“ empfindet Mende diese Situation deshalb, weil das Auszählsystem nach Hare/Niemeyer die kleinen Parteien unangemessen begünstige. Die Freien Wähler in Delmenhorst hätten nur 931 Stimmen für einen Sitz im Rat benötigt, die CDU für ein Mandat aber 1870 Stimmen. In Oldenburg habe die SPD für jedes ihrer Mandate 4250 Stimmen gebraucht, die Piraten aber nur 2450 Stimmen. Mende befürchtet, die Tücken dieses Systems könnten sich „herumsprechen“: Als Einzelbewerber könne man es unter Umständen viel einfacher haben als auf der Liste einer größeren Partei, das sei geradezu eine Einladung an Menschen, außerhalb gängiger Strukturen ihren Erfolg zu suchen. Weil jede aus mindestens zwei Mitgliedern bestehende Fraktion auch Anspruch auf ein Mandat im Haupt- oder Verwaltungsausschuss hat, drohen diese Ausschüsse zudem viel zu groß zu werden – und damit als Steuerungsinstrument für die politischen Entscheidungen entwertet zu werden.

Eine Prozenthürde bei Kommunalwahlen kann dazu führen, dass wir Entscheidungen wieder schneller treffen können und der politische Prozess nicht stagniert.
In vielen Kommunen ist allerdings zu beobachten, dass sich die Akteure – ähnlich wie in Hameln – mit den Verhältnissen arrangieren. Deniz Kurku, der für die SPD im Rat von Delmenhorst arbeitet, sieht zwar die Mühseligkeit der Mehrheitsbildung, erkennt aber „eine erstaunliche Geschlossenheit im Rat immer dann, wenn es um wirklich wichtige Dinge geht“. Bei der Ausweisung neuer Baugebiete sei das so gewesen, auch beim Abriss des umstrittenen „Wollepark“. Hier zahle sich die gute Moderatorenleistung des Oberbürgermeisters aus.
Aus Oldenburg hört man ähnliche Berichte. Ulf Prange, SPD-Fraktionschef im Rat, sieht sich in einer komfortablen Situation: Bei der Schließung der Förderschule oder bei den Plänen für ein neues Baugebiet auf dem alten Fliegerhorst war man sich rasch mit den Grünen einig, in vielen Haushaltsfragen dann eher mit der CDU. Es werde viel offen diskutiert, damit steige bei sehr vielen Menschen das Bewusstsein für die Bedeutung der Inhalte. Esther Niewerth-Baumann, die für die CDU im Rat sitzt, zeigt sich auch „erstaunt, wie gut das alles trotz der chaotischen Mehrheitsverhältnisse klappt“.