Nachfragen bei Straßenausbaubeiträgen, Klimaschutz und Pflegekammer
Überall war der Andrang sehr groß, in manchen engen Gängen besonders. Als Ministerpräsident Stephan Weil am Morgen zur Fragerunde in den SPD-Fraktionssaal einlud, ging es wieder wohlbekannte emotional aufgeladene Dauerbrenner. Warum schafft das Land die Straßenausbaubeiträge nicht ab? Weil sagt, das solle – wie bisher – in der Hand der jeweiligen Kommune liegen, dieses Thema zu regeln. Warum geht es mit dem Klimaschutz nicht weiter? Weil sagt, der Bund müsse die Förderung der erneuerbaren Energien verstärken. Warum wird die umstrittene Pflegekammer nicht aufgelöst? Weil sagt, diese Einrichtung habe einen Fehlstart hingelegt, nun aber müsse es im gemeinsamen Interesse um bessere Bedingungen für die Pflegekräfte gehen, dafür sei die Kammer wichtig. https://www.youtube.com/watch?v=JvUpafI9Hes&t=3s Auch Pistorius, seit diesem Tag nun der Niedersachsen-Kandidat für den SPD-Parteivorsitz, präsentiert sich vor Publikum im SPD-Fraktionssaal. Wie er den bevorstehenden Stress der SPD-Kandidatenkür (es gibt 23 Regionalkonferenzen der Partei!) bewältigen könne, wird der Innenminister gefragt. „Wenig Alkohol, viel Bewegung, vernünftiges Essen und Dankbarkeit für die Gabe, gut schlafen zu können.“ Auffällig ist, dass sowohl Weil, der Ministerpräsident, als auch Pistorius, der aufstrebende Minister, regelrecht ins Schwärmen geraten, wenn sie über ihre Zeit als Oberbürgermeister (in Hannover, beziehungsweise Osnabrück) sprechen. Dass sie gern daran zurückdenken, dort bestimmte Projekte geschaffen zu haben, die man heute noch sehen kann. Ist das eine Sehnsucht zurück in die guten alten Zeiten, als auch die SPD viel stärker und stabiler war als heute?Wutbürger“ blieben die Ausnahme
Immerhin bleibt nach dem Besuchertag im Landtag vermutlich in allen Lagern ein positives Gefühl. Ob SPD und CDU, Grünen und FDP – alle erlebten ein starkes Interesse, überall wurde politisch diskutiert. Dass einzelne „Wutbürger“ ausfällig wurden und schimpften, blieb die große Ausnahme. Auch das Mega-Thema der drei vergangenen „Tage der offenen Tür“ 2014, 2009 und 2007, der notwendige Umbau des alten Plenarsaals, war jetzt kein Thema mehr. Das Projekt ist abgeschlossen, der schöne neue Bau ist fertig – niemand nimmt Anstoß daran. Eher ist es das schon für manche Teilnehmer, auch für die der konkurrierenden Parteien, ein großes Ärgernis, dass sich gerade die AfD bei diesem Besuchertag an einer zentralen Stelle präsentieren konnte, direkt in Eingangsnähe. Dort wurden einige Kaffeetassen mit anstößigen Sprüchen verteilt, und vor dem Gebäude wollte die Partei ein Transparent enthüllen, was die Polizei verhinderte. Doch die große Provokation, die den Protest der anderen heraufbeschworen und das große Gesprächsthema geliefert hätte, ist der AfD an diesem Tag nicht gelungen.
So ein ‚Tag der offenen Tür‘ fordert schon sehr starke Nerven.
Mehrere Entwicklungen werden sichtbar bei diesem „Tag der offenen Tür“ im höchsten Haus der Demokratie in Niedersachsen: Erstens haben sehr viele Menschen ein Bedürfnis, die Politiker zu erleben und die Räume, in denen sie wirken. Zweitens sind es kommunale Themen wie die Verkehrsplanung und emotionale Themen wie der Wolf, die Pflegekammer und das Weltklima, die immer wieder von den Bürgern vorgetragen werden. Und drittens brauchen die Politiker eine stark ausgeprägte Geduld, wenn sie auf alle Vorschläge und Hinweise stets ruhig und sachlich reagieren wollen. So ein „Tag der offenen Tür“ fordert schon sehr starke Nerven.
Man sieht es auch bei Ministerpräsident Weil selbst. Als der Regierungschef an diesem Tag vor die Journalisten tritt, um die Nominierung von Pistorius zu verkünden und überschwänglich zu loben, wird er von einem beharrlichen Kollegen mehrfach gefragt, warum er nicht viel früher für seinen Innenminister aktiv wurde. Warum habe Weil denn so lange an seiner Variante festgehalten, für sich selbst eine Bewerbung zum Parteichef nicht auszuschließen? Weil wirkt, was selten passiert, von den Nachfragen ziemlich genervt, will sogar beinah die Antwort verweigern. Dass Politik eben ein sehr anstrengendes Geschäft sein kann, merkt man an Tagen wie diesen besonders gut. (kw)