20. Feb. 2017 · 
Wirtschaft

Wo man einstige Größe noch erahnen kann

Der Harz ist in der Krise. Der Kreis Goslar und der Altkreis Osterode leiden massiv unter Überalterung und Bevölkerungsverlust. Die Landschaft ist wunderschön, aber der Tourismus kommt vielerorts nicht richtig in Gang. Wir blicken heute nach Hahnenklee, einen Kurort bei Goslar, der seine Boom-Zeit schon hinter sich hat und nun eine neue Rolle sucht. Die siebziger Jahre in Hahnenklee, man kann sie hier noch spüren. Da stehen große, klotzig wirkende Hotels – die ein wenig an den Massentourismus auf Mallorca erinnern. Viel Leben ist in diesen Burgen, die man vereinzelt im Ort sieht, nicht mehr. Manches wirkt heruntergekommen, der Putz bröckelt ab. In anderen Bereichen sieht man hinter den Fenstern keine Gardinen mehr, manchmal wieder ist eine Wohnung hübsch hergerichtet. In manchen Straßenwinkeln merkt man, dass hier früher mal viel mehr los gewesen sein musste. Unsere Harz-Serie - Teil 1:   Früher, das waren die goldenen Siebziger. 1977 überstieg Hahnenklee-Bockswiese als erster Kurort im West-Harz die Marke von einer Million Übernachtungen jährlich. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr waren es 332.000 Übernachtungen – also nur noch etwa ein Drittel davon. Was ist geschehen? Damals sind die Leute gern nach Hahnenklee gekommen, blieben gern auch länger – zum Wandern, im Winter zum Skifahren und Rodeln. Der Ort, am Fuße des Bocksbergs gelegen, ist umgeben von intakten Wäldern und vielen schönen Teichen. Lange Wanderwege versprechen den ungetrübten Naturgenuss. Eine Gegend zum Ausspannen und Erholen – das ist Hahnenklee damals wie heute. Nur war der Ruf früher eindeutig besser. Die Stadt Goslar sieht, rückblickend, zwei Gründe für den Wandel des Tourismus. Die Gesundheitsreform der achtziger Jahre habe dazu geführt, dass die Krankenkassen nicht mehr so viele Menschen hierher zur Kur geschickt hätten. Dann habe die Grenzöffnung von 1989 ihre Wirkung gehabt. Anfangs seien die Hotels in Hahnenklee noch voll gewesen, doch dann seien im Ostharz viele neue Touristeneinrichtungen entstanden, moderne Hotels auch, mit denen die alten Anlagen im Westen nicht recht hätten mithalten können. Heute erholt sich Hahnenklee wieder, wenn auch nur langsam. Die Übernachtungszahlen steigen. Die Seilbahn, die seit den siebziger Jahren den Ort mit dem Gipfel des Bocksbergs verbindet, lockt wieder mehr Leute an. Oben auf dem Gipfel ist eine Sommerrodelbahn entstanden. Das Angebot für Mountainbiker wurde auch ausgeweitet. Und der Liebesbankweg, bekanntester der Rund-Wanderwege, ist mit mehreren kunstvoll gestalteten Bänken ausgestattet worden – sie bieten schöne Fotomotive. Trotzdem sind es heutzutage mehr die Tagesgäste, die morgens an- und abends wieder abreisen. Es ist schwieriger als vor 30 oder 40 Jahren, die Leute für längere Zeit an den Ort zu binden. Das wieder hat eben Rückwirkungen auf die Infrastruktur: Leerstehende, teilweise verfallende Hotels und Pensionen und zunehmend grauer werdende Fassaden. Eigentlich müsste die Gastronomie auf Zack sein, mit Ideenreichtum und Harzer Originalität überzeugen. Doch die Angebote überzeugen häufig nicht. Der Auerhahn beispielsweise, früher ein bevorzugtes Gasthaus auf einer Anhöhe kurz vor Hahnenklee, steht seit Jahren leer. Dabei ist der Parkplatz voll, denn von hier aus starten viele schöne Wanderrouten. Manchmal scheint es, als habe die Krise die Menschen demoralisiert. Goslars Oberbürgermeister Oliver Junk sagt: „Wir brauchen private Investitionen, aber die Menschen investieren nur, wenn sie an die Zukunft glauben. Und das wiederum tun sie nur, wenn auch die öffentliche Hand investiert.“ Junk sieht Hahnenklee immerhin „auf einem guten Weg“. Wichtige Aufgabe der Stadt sei es, den Menschen „zu neuem Mut zu verhelfen“. Eine Arbeitsgruppe brütet über Vorschläge, das Kurmittelhaus und den Kurpark neu zu beleben. Ein Freizeitangebot unter dem Motto „Märchen und Mythen des Harzes“ solle entwickelt werden – mit lukrativen Angeboten für den Fall, dass es regnet und die Leute lieber drinnen etwas erleben möchten. Die Konkurrenz etwa in Bad Harzburg sieht der Goslarer Oberbürgermeister schon, und er mahnt: „Wir müssen mit beiden Füßen auf dem Gaspedal bleiben, wenn wir nicht abgehängt werden wollen.“ Aber nicht immer ziehen alle Menschen sofort mit, wenn mutig Zeichen gesetzt werden sollen. Zunächst war geplant, eine „Erlebniswelt“ zu bauen. Doch daraus wurde nichts. Nun gibt es eine neue Idee: Direkt am Kurmittelhaus soll eine 17 Meter hohe hölzerne Hexe namens „Walpurga“ entstehen, daneben ein Indoorspielplatz und eine Draisinenbahn. Eine Hexe, mit Beleuchtung, als neues Wahrzeichen des Ortes (neben der Stabkirche)? Das hat in Hahnenklee eine heftige Debatte ausgelöst. Die einen finden das prima, sehen darin ein Symbol für den Neuanfang. Die anderen befürchten, eine riesige böse Hexe könne dem Ruf des Unesco-Weltkulturerbes schaden. Der Ausgang der Diskussion ist offen. (kw)
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #34.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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