28. Juni 2018 · 
Landwirtschaft

„Wir müssen uns den Wert von Lebensmitteln wieder stärker bewusst machen“

Ob Gülleproblem, die Sorgen der Milchbauern, EU-Agrarförderung oder Tierschutzplan – Niedersachsens Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) ist in ganz vielen politischen Debatten stark gefordert. Im Interview mit Martin Brüning beschreibt sie, wie sich ihr Leben seit Übernahme des Ministeramtes geändert hat. Rundblick: Sie und Ihr Mann bewirtschaften noch einen Milchviehbetrieb im Weserbergland. Im Vergleich dazu muss der Politikbetrieb doch einen wahren Kulturschock auslösen, oder? Otte-Kinast: Es ist ein völlig anderes Leben, wenn man morgens mit dem Dienstwagen abgeholt wird. Vieles bleibt aber auch wie gewohnt, ich stehe um 5 Uhr auf und sehe den schönen Sonnenaufgang, den man im Weserbergland viel besser genießen kann als in Hannover. Dann besprechen wir zuhause den Tag und ich starte Richtung Hannover… https://soundcloud.com/user-59368422/barbara-otte-kinast-ich-bin-in-ein-vollig-anderes-leben-eingetaucht Rundblick: …und dort warten die Probleme. Zum Beispiel die „afrikanische Schweinepest“ (ASP)… Otte-Kinast: Ja, schon seit Monaten beschäftigt uns das sehr intensiv. Immer dann, wenn Reisewellen bevorstehen wie vor Ostern oder auch jetzt, müssen wir die Menschen bitten: Keine Wurstwaren wegwerfen, denn diese könnten von Wildschweinen verzehrt werden, womit der Virus verbreitet werden könnte. Die Gefahr breitet in den osteuropäischen Staaten immer weiter aus. In Polen ist im Mai erstmals ein Fall bei Hausschweinen festgestellt worden. Vorsicht ist geboten, die Einschläge kommen näher.

"Urteil hat mich nicht überrascht"

Rundblick: Ein anderes Thema ist die Gülle. Kürzlich hat der EU-Gerichtshof Deutschland verklagt, weil das Land zu wenig gegen Nitrat im Grundwasser unternommen habe. Otte-Kinast: Das Urteil hat mich nicht überrascht. Grundlage war der Nährstoffbericht Deutschlands aus dem Jahr 2016, der aber die Situation zwischen 2012 und 2014 beleuchtet hat. Nur: Seit 2015 gibt es eine neue Düngeverordnung, im vergangenen Jahr wurde sie verschärft. Wenn Ende Juni nun die Düngeperiode endet und wir die die Werte analysieren, werden wir hoffentlich schon Veränderungen feststellen. Definitiv kommt zu viel Nitrat und Phosphor in unser Grundwasser – und wir haben in Niedersachsen einen Plan, wie wir darauf reagieren, etwa mit besonderen Kontrollen. Rundblick: Es geht auch um die sogenannten Güllelager, für die das Land im Haushalt für das nächste Jahr nun zehn Millionen Euro bereitstellt. Was ist da geplant? Otte-Kinast: Die Düngeverordnung macht den Landwirten strengere Auflagen. Im Herbst darf nur noch so viel Gülle auf die Felder kommen, wie die Pflanzen an Nährstoffen aufnehmen können. Vieles, was bisher verteilt wurde, muss also gelagert werden. Mir geht es nun zum einen darum, dass die Ackerbaubetriebe im Osten des Landes die viele Gülle aus den intensiven Gebieten der Tierhaltung weiter aufnehmen und nutzen, anstatt auf Mineraldünger auszuweichen. Zum anderen muss den Bauern geholfen werden, die nun neue Lagerstätten brauchen – Behälter für die Gülle oder befestigte Flächen, auf denen Mist abgelegt werden kann.

"Maßnahme soll möglichst große Wirkung entfalten"

Rundblick: Wofür reichen die 10 Millionen Euro? Wie wird das Geld verteilt? Otte-Kinast: Probleme dürften die Betriebe haben, die vor einigen Jahren gebaut haben und noch nicht genügend Behältnisse haben. Wir wollen eine  Vielzahl an Betrieben unterstützen, aber gleichzeitig auch einen attraktiven Förderbetrag anbieten, damit die Maßnahme eine möglichst große Wirkung entfaltet. Derzeit arbeitet mein Ministerium daran, wie die Kriterien genau aussehen können. Rundblick: Wird das Gülle-Thema den Strukturwandel der Landwirtschaft beschleunigen? Otte-Kinast: Das ist nicht auszuschließen. Die wachsenden Probleme, die Rückstände der Tiere los zu werden, können auch dazu führen, dass Bauern ihre Ställe verkleinern und beispielsweise weniger Schweine halten. Die höheren Anforderungen an den Tierschutz wirken sich womöglich in der gleichen Richtung aus. In diesen Prozessen geht es uns darum, die Bauern so gut wie möglich zu begleiten, zu beraten und zu unterstützen.

"Bratwurst ist mehr wert als 99 Cent"

Rundblick: Das führt zu den Themen Tierwohl und Wert der Lebensmittel. Sie wollen hier neue Schwerpunkte setzen, haben Sie angekündigt… Otte-Kinast: Lebensmittel sind Mittel zum Leben – und die haben ihren Preis. Die Bratwurst, die im Supermarkt für 99 Cent angeboten wird, hat tatsächlich einen höheren Wert, und das möchte ich bewusster machen. Und wir brauchen mehr Respekt vor den Lebewesen, im Übrigen nicht nur den Nutztieren. Die Ringelschwanzprämie beispielsweise zahlen wir zunächst weiter, weil sie einen Anreiz darstellt, sich in die Richtung von mehr Tierschutz zu bewegen. Tatsache ist aber auch, dass schon heute das Kürzen der Schwänze von Schweinen gesetzlich verboten ist. Eigentlich muss man ein Verhalten, das ohnehin gesetzlich geboten ist, nicht noch fördern. Deshalb wird diese Prämie nicht ewig gezahlt werden.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #122.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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