Darum geht es: Soll auf dem Bückeberg bei Hameln, wo die NSDAP bis 1937 gewaltige Propagandafeiern abgehalten hat, eine Gedenkstätte errichtet werden? Am morgigen Dienstag entscheidet der Kreistag von Hameln-Pyrmont. Ein Kommentar von Klaus Wallbaum.

Die Generation derjenigen, die als Kinder oder Jugendliche die NS-Zeit noch miterlebt haben, wird immer kleiner, immer älter. Zeitzeugen, die aus den dreißiger und vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts berichten können, sterben allmählich aus. Noch vor 20, 30 oder 40 Jahren gab es in jeder Familie solche Menschen, und es hing dann von der Offenheit der Beteiligten ab, ob zwischen Söhnen, Töchtern, Enkeln und ihren Eltern und Großeltern ein Gespräch über die früheren Geschehnisse in Gang kam. Auf jeden Fall war die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ein Thema, das irgendwie alle berührte – vielleicht besonders auch dort, wo die Alten einer solchen Auseinandersetzung aus dem Weg gegangen waren und die Jungen unablässig versuchten, von ihnen Erklärungen einzufordern.

„Eigentlich ist es ein Skandal, dass es bis heute auf dem Bückeberg keine Hinweise gibt auf das, was früher dort geschah“ – Foto: Thomas Fietzek

Es wird nicht mehr lange dauern, dann ist diese Form der gelebten Geschichte nicht mehr möglich, weil mit den Menschen, die es am eigenen Leib erfahren haben, auch die Erinnerungen weg sein werden. Bücher, Videodokumente oder Fotos können leibhaftige Erzählungen nicht ersetzen. Tatsächlich ist es ein glücklicher Umstand, dass noch viele Zeitzeugen in Deutschland leben, die eine andere Diktatur mit ihren Mechanismen erlebt haben, nämlich die Herrschaft der SED in der DDR, die erst vor knapp 30 Jahren endete. Mit welchen Mitteln und Methoden es ein totalitärer Staat schafft, sich die Zustimmung seiner Untertanen zu sichern, können auch Menschen aus der früheren DDR berichten. Sie haben das Doppeldeutige der Propaganda erlebt: Wie mit Fahnen, Uniformen und Parolen eine Kulisse inszeniert wurde, die auf die Teilnehmer beeindruckend wirkte – oder auch, je nach Geschick der lokalen Regisseure, übertrieben und deplatziert.

Aber die DDR und das NS-System sind natürlich nicht gleichzusetzen – auch nicht in Bezug auf Art und Wirkung der großen öffentlichen Versammlungen, auf die Außendarstellung. Deshalb spielt es in Zukunft eine immer größere Rolle, mit Museen, Gedenkstätten und medialer Vermittlung auf die Ereignisse von früher hinzuweisen, dafür das Interesse zu wecken. Das muss möglichst so geschehen, dass die jungen Leute ein Gefühl dafür bekommen, wie es damals gewesen sein könnte. Keine Plätze sind dafür besser geeignet als jene Orte, an denen Geschichte konkret wurde. Dazu gehören die Konzentrationslager wie Bergen-Belsen, die Aufmarschplätze wie das Nürnberger Reichsparteitagsgelände und natürlich auch der Bückeberg bei Hameln, wo fünf Jahre lang die „Reichserntedankfeste“ gefeiert wurden – riesige Veranstaltungen mit tausenden von Menschen, die in die Provinz gebracht wurden, „den Führer“ hören und sehen konnten. Diese Form der Verknüpfung von politischen Machthabern und Regierten ist die eine Seite, die integrative Funktion der Diktatur. Die Ausgrenzung von Gruppen, die von Nazis zum Feind erklärt wurden und etwa in Bergen-Belsen geschunden und getötet wurden, markiert die andere Seite, die Schattenseite. Darauf hat Jens-Christian Wagner von der Stiftung niedersächsischer Gedenkstätten zu Recht hingewiesen.

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Eigentlich ist es ein Skandal, dass es bis heute auf dem Bückeberg keine Hinweise gibt auf das, was früher dort geschah. Eigentlich hätten die Kommunal- und Landespolitiker schon vor vielen Jahren an einer Erinnerungs- und Gedenkstätte arbeiten müssen, zu einer Zeit, als sie noch viele Zeitzeugen der damaligen „Reichserntedankfeste“ hätten einbeziehen können. Wenn nun in Hameln darüber gestritten wird, dass beispielsweise der für seine hemdsärmelige Art bekannte Landrat Tjark Bartels zu ruppig, zu entschlossen und zu wenig dialogorientiert den Bau der Gedenkstätte vorantreibt, dann mag das der falsche Weg des Landkreises sein, die Anwohner einzubinden und mitzunehmen. Es drückt aber auch die Sorge aus, dass womöglich viele Menschen in der Gegend die Pläne nur deshalb ablehnen, weil sie am liebsten gar keine Erinnerung haben und das Geschehene ausblenden möchten. Das allerdings darf nicht Maßstab des politischen Handelns sein.

Deshalb ist dem Landkreis Hameln-Pyrmont zu wünschen, dass er sich morgen mit großer Mehrheit für eine Gedenkstätte auf dem Bückeberg ausspricht. Das Anliegen ist wichtig und bedeutend, es darf nicht im kommunalpolitischen Klein-Klein zerredet werden.