„Wir brauchen ein Huckepack-Verfahren für die Behörden in Niedersachsen“
Birgit Honé, die neue Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten und Regionale Entwicklung, wirbt im Interview mit dem Politikjournal Rundblick für eine vorsorgende Personalpolitik des Landes. Sie ist aufgeschlossen gegenüber weitgehenden Verwaltungsreformen.
Rundblick: Frau Honé, als Ministerin für Regionalentwicklung müssen Sie die Veränderungen im öffentlichen Dienst besonders im Blick haben. Was ist hier aus Ihrer Sicht besonders wichtig?
Honé: Ich sehe zwei große Herausforderungen für die nächsten Jahre: Die Digitalisierung, die unseren Lebens- und Arbeitsalltag stark beeinflussen wird, und die demographische Entwicklung. Heute schon spüren viele Fachverwaltungen, dass es an geeignetem Nachwuchs fehlt. Das wird sich noch verschärfen: Nach aktuellen Berechnungen werden bis 2021 rund elf Prozent des Stammpersonals der Landesverwaltung die Regelaltersgrenze erreichen, bis 2026 werden es schon 26 Prozent sein. Es droht ein riesiger Wissensverlust. Es wird deshalb noch wichtiger als in der Vergangenheit sein, den Wissensschatz der älteren Kollegen für ihre Nachfolger zu sichern. Diese Personalentwicklung wird schon seit Jahren vom Innenministerium gut geleistet. Unter Federführung von Innenminister Boris Pistorius dürfte sie in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen.
Rundblick: Sie nennen das „Demographie-Pool“…
Honé: Diesen Begriff hat das Innenministerium gefunden. Er beschreibt ein Huckepack-Verfahren: Der langjährige Mitarbeiter ist noch nicht pensioniert, der neue wird ihm zur Seite gestellt und begleitet schon den erfahrenen Kollegen im Arbeitsalltag. So wird ein fließender Übergang organisiert. Dabei geht es um die wichtige Aufgabe, Kenntnisse, die auf langjährigen Erfahrungen beruhen, weiterzugeben.
Rundblick: Dabei wird es doch immer schwerer, überhaupt noch Interessenten für den öffentlichen Dienst zu finden, oder?
Honé: Der Öffentliche Dienst konkurriert mit vielen anderen Arbeitgebern um die Fachkräfte von morgen, das ist so. Dabei bietet der Öffentliche Dienst jetzt schon sehr attraktive Arbeitsfelder. Das klassische Bild eines Verwaltungsbeamten, der sein ganzes Berufsleben lang in einem Amt tätig ist, entspricht ja nicht mehr der Realität in den Behörden. Wir sollten uns aber noch mehr Gedanken machen, die Entwicklungsmöglichkeiten und damit die Attraktivität zu verbessern. Das entspricht auch den Wünschen und Erwartungen der jungen Leute. Mein Haus unterhält beispielsweise Dienststellen in Berlin und Brüssel. Ich kann mir vorstellen, dass das anziehend auf junge Leute wirken kann. Wir sind zukünftig auf junge Nachwuchskräfte angewiesen, die bereit sind, sich als Verwaltungsbedienstete breiter aufzustellen, die öfter mal andere Bereiche kennenlernen und dabei neue Perspektiven gewinnen wollen.
Rundblick: Das ist doch eine Frage der richtigen Vorbereitung, oder?
Honé: Das Land tut schon eine Menge. Die Assessoren beispielsweise, die nach dem Jurastudium zu uns kommen, schicken wir erst einmal drei Jahre über das Land und sorgen somit dafür, dass sie die Vielfalt der Berufswelt kennenlernen. Das ist im Übrigen auch das Besondere, was die vier Ämter für regionale Landesentwicklung auszeichnet: Dort ist auf engem Raum eine erhebliche Bandbreite der Landesverwaltung gegeben. Diese Interdisziplinarität macht den Reiz der Tätigkeit aus – und ist sicher auch ein Grund dafür, dass die Mitarbeiter in diesen Ämtern sich in einer Untersuchung ganz überwiegend zufrieden geäußert haben.
Rundblick: Die Digitalisierung haben Sie angesprochen. Es wird doch sicher künftig verstärkt auch darum gehen, den öffentlichen Dienst schlanker und einfacher zu gestalten, damit wir mit weniger Mitarbeitern auskommen können…
Honé: Das ist leicht gesagt. Die Herausforderung besteht darin, die Möglichkeiten der Digitalisierung intelligent einzusetzen, so dass es nicht dazu kommt, dass viele Mitarbeiter über eine wachsende Arbeitsverdichtung klagen. Es sind ja schon in den vergangenen Jahren viele Stellen weggekürzt worden. Die Organisation der Verwaltung muss entsprechend angepasst werden. Gleichwohl muss es Aufgabe der Regierung sein, die Aufgaben der Landesverwaltung stetig zu überprüfen und die Strukturen zu optimieren. Welche Arbeitsschritte sind vielleicht überholt? Welche Aufgabe kann gegebenenfalls wegfallen? Welche Aufgaben können vielleicht die Kommunen besser erledigen? Wie können Abläufe einfacher werden? Wir werden das in verschiedenen Modellkommunen erproben – auch die Frage, inwieweit Behördenabläufe weitgehend ins Netz übertragen und papierlos gestaltet werden können. Die Digitalisierung eröffnet neue Möglichkeiten. Immer mehr Dinge werden in Zukunft auch online erledigt werden können. Wir können allerdings nicht erwarten, dass alle Bürger in der Lage sind, ihre Verwaltungsgänge über das Internet zu erledigen. Es wird immer noch viele Menschen geben, die eine persönliche Beratung im Bürgerbüro benötigen. Ich denke da vor allem an ältere Mitmenschen. Unter ihnen sind viele, die mit den modernen technischen Gegebenheiten nicht vertraut sind. Mir ist es als Regionalministerin sehr wichtig, dass das Land und seine Behörden auch in der Fläche noch präsent sind. Ich bin deshalb dafür, diese modellhafte Erprobung der neuen Verwaltungswege vorurteilsfrei anzugehen. Eine Regierungskommission unter Leitung von Staatskanzleichef Jörg Mielke wird sich intensiv mit den Veränderungen in der Verwaltung befassen. Nach zweieinhalb Jahren sollen Vorschläge auf dem Tisch liegen, damit die Koalition in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode an die Umsetzung gehen kann.
Rundblick: Sie bilden ein völlig neues Ministerium. Wie viele neue Stellen gibt es im neuen Ministerium?
Honé: Zunächst einmal muss man festhalten, dass der weitaus überwiegende Teil der Mitarbeiter des neuen Ministeriums aus ehemaligen Abteilungen der Staatskanzlei stammt. Daneben werden einige Stellen neu geschaffen, die ein Ministerium braucht, um als Haus überhaupt funktionieren zu können. Das reicht von der klassischen Hausverwaltung über die Personalverwaltung, das Justiziariat und das Haushaltsreferat bis hin zur Pressestelle. Alles in allem reden wir hier von einer mittleren zweistelligen Zahl. Inklusive der Mitarbeiter, die jetzt bereits mit in das neue Haus gewechselt sind, werden wir etwa 120 Personen in Hannover sein. Dazu kommen die bereits vorhandenen Kollegen in den Landesvertretungen Berlin und Brüssel und aus den Ämtern für regionale Landesentwicklung – das sind zusammen nochmal rund 120.
Rundblick: Ist das nicht schlecht für Niedersachsen, dass künftig nicht mehr dauerhaft ein Staatssekretär als Lobbyist und Ansprechpartner in der Berliner Landesvertretung sitzt?
Honé: Nein. Das sehe ich anders. Dadurch, dass Niedersachsen nun eine Ministerin als Bevollmächtigte beim Bund hat und diese Aufgabe in einem eigenen Ministerium liegt, hat das Land auf der Berliner Bühne eine Aufwertung erfahren. Das ist bundesweit einmalig. Alle übrigen Länder haben Staatssekretäre als Bevollmächtigte benannt, die übrigens in Teilen auch nicht dauerhaft in Berlin sind, sondern durchaus auch andere Aufgabenbereiche in ihrem Bundesland wahrnehmen. Nur Hessen hat ebenfalls eine Ministerin. Die Kollegin sitzt allerdings in der Staatskanzlei. Das verleiht Niedersachsen schon eine besondere Stellung. Darüber hinaus bin ich mindestens zwei Tage in der Woche in Berlin. Manchmal sogar häufiger. Ich kann nicht erkennen, dass Niedersachsen dadurch unter Wert vertreten ist. Außerdem – und dann sind wir wieder beim Thema Digitalisierung – bieten die modernen Mittel der Kommunikation heutzutage ganz andere Möglichkeiten als in der Vergangenheit. Videokonferenzen kannte man früher nur aus Filmen. Heute sind sie übliches Geschäft.Dieser Artikel erschien in Ausgabe #226.