6. Dez. 2018 · 
Inneres

Wieder ein Vergabeproblem: Polizei muss bis Mai auf schusssichere Helme warten

Niedersachses Polizisten müssen mindestens bis Mai kommenden Jahres auf die ersten schusssicheren Helme warten, obwohl die Große Koalition nochmal zwei Millionen Euro in die Helme investieren will. Das haben zwei Vertreter des Innenministeriums gestern dem Innenausschuss mitgeteilt. Grund für die Verzögerung bei der Beschaffung der sogenannten „First Response“-Helme ist ein andauernder Streit mit einer Herstellerfirma, die immer wieder Beschwerde bei der niedersächsischen Vergabekammer gegen die Ausschreibung eingelegt hat, um weiterhin im Auswahlverfahren berücksichtigt zu werden. Denn die Helme dieser Firma entsprechen aus Sicht des Ministeriums nicht einem wichtigen Kriterium: Sie sind aus Sicht der Polizisten zu schwer. In einem Workshop und nach einer Probephase habe sich keiner der beteiligten Polizisten für den Helm jener Firma ausgesprochen. Da sich durch die aktuelle Bedrohungslage durch Terrorismus schusssichere Helme europaweit zu einem lukrativen Markt entwickelt haben, will die Firma das Votum aus der Praxis jedoch nicht akzeptieren und kämpft aggressiv und trickreich um den Auftrag. Die Polizeiführung hatte nach der Erprobungsphase das Logistikzentrum Niedersachsen im April dieses Jahres mit der Beschaffung von 3000 schusssicheren Helmen beauftragt und dabei einige Kriterien aufgestellt. Die Helme sollten eine austauschbare Innenpolsterung haben, weil sich zunächst mehrere Polizisten einen Helm teilen sollen. Auch müssten sie eine Universalgröße haben, die mit Riemen individuell an die Kopfform des Trägers anpassbar ist. Sie dürften ohne Visier nicht mehr als 1700 Gramm wiegen. „Dass das Helmgewicht ein entscheidender Punkt bei der Vergabe sein würde, stand von vornherein fest“, sagt Alfred Soetbeer, Referatsleiter für Technik und Finanzen der Polizei im Innenministerium. Denn der Helm müsse von Beamten in Notfallsituationen getragen werden, die nicht an ihn gewöhnt sind. „In der Erprobungsphase hat sich gezeigt, dass viele von dem zwei Kilo schweren Helm besagter Firma Zerrungen und Schmerzen in Kopf und Nacken bekommen haben.“ Neben der Gefahr von Verletzungen beeinträchtige das Gewicht aber auch die Wendigkeit der Beamten, die gerade in solchen Einsätzen gefordert sei. Im schlimmsten Fall könne ein zu schwerer Helm dem Beamten das Genick brechen, wenn er sich zum Schutz von Beschuss auf den Boden wirft. „Man muss also bei der Sicherheit Abstriche machen, um die Flexibilität nicht zu stark einzuschränken“, sagt Soetbeer.
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Nach diesen Erfahrungen entschied sich das Ministerium für das Maximalgewicht von 1700 Gramm und die damit verbundene Schutzklasse VPAM 3 (eine Sicherheitsmaßeinheit der Vereinigung der Prüfstellen für angriffshemmende Materialien und Konstruktionen). Damit hält der Helm den direkten Beschuss aus kurzkalibrigen Waffen wie Revolvern und Pistolen bis zur Maschinenpistole MP5 ab. Besagte Herstellerfirma, bei der es sich nach Rundblick-Informationen um ein österreichisches Unternehmen handeln soll, stellt Helme der Schutzklasse VPAM 4 her, die geringfügig sicherer, aber 300 Gramm schwerer als in der Ausschreibung sein sollen. Schon mehrfach hatte das Unternehmen bei der Vergabekammer Beschwerde gegen die Leistungsanforderung in der Ausschreibung eingelegt und zweimal Recht bekommen. „Derzeit ist die dritte Ausschreibung geöffnet und die Leistungsbeschreibung ist nahezu völlig geöffnet worden“, sagt Thomas Prange vom Polizeipräsidium. Nach Angaben des Innenministeriums in der Ausschusssitzung soll das Unternehmen wieder mit Einspruch gedroht haben, sollte ihr Angebot nicht berücksichtigt werden. Die Firma gehe noch weiter. Aggressiv werbe sie bei Veranstaltungen der Polizei für ihr Produkt und behaupte immer wieder, die Polizeiführung würde die Sicherheit der Beamten zugunsten von Helmen aufs Spiel setzen, die weniger Schutz böten. Auch Innenminister Boris Pistorius und Staatssekretär Stephan Manke sind von der Firma schon direkt angeschrieben worden. Wie der Rundblick erfuhr, soll auch Berlin im Disput mit diesem Unternehmen liegen. Die Gerichte seien dort damit bereits beschäftigt.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #219.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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