Kommt mit dem neuen Umweltminister ein Kurswechsel in der Wolfspolitik?
In vielen niedersächsischen Tageszeitungen war es gestern nur eine Randnotiz: Der Wolf des Friedeburger Rudels in Ostfriesland darf nun doch nicht geschossen werden. Wie das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Lüneburg mitteilte, hat der zuständige Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) seine Beschwerde gegen ein entsprechendes Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg zurückgezogen.
Was verwaltungstechnisch daherkommt, ist allerdings deutlich mehr, nämlich das erste sichtbare Abrücken des neuen niedersächsischen Umweltministers Christian Meyer (Grüne) von der Wolfspolitik seines Vorgängers, des heutigen Wirtschaftsministers Olaf Lies (SPD). Noch unter dessen Führung wurde die Abschussgenehmigung seitens des NLWKN für den Problemwolf aus dem Friedeburger Rudel, das in den Landkreisen Wittmund und Friesland unterwegs ist, erteilt. Dem Tier wurden insgesamt sieben gerissene Rinder zugeschrieben.
Nachdem Ende Oktober einem Widerspruch gegen die Ausnahmegenehmigung stattgegeben worden war, hatte der damals noch zuständige Umweltminister Lies eine Beschwerde beim OVG angekündigt und seinen Kurs weiterhin wortreich verteidigt. Keinen Monat später will man diesen Weg aber nicht weitergehen. Begründet wird dies mit einem schon längst laufenden Pilotverfahren der EU gegen Deutschland wegen der Wolfsabschüsse und dem neuen Dialog, den das Umweltministerium zum Wolf anstoßen möchte. Diesen möchte man nun nicht mit einem langwierigen Rechtsstreit belasten.
Wie der neue Kurs des Umweltministers aussieht, steht also noch nicht fest. Offensichtlich soll er aber anders aussehen als der seines Vorgängers. Als Olaf Lies noch Umweltminister in Niedersachsen war, verfolgte er eine recht restriktive Wolfspolitik – auch wenn sie manch einem Nutztierhalter noch nicht weit genug gegangen sein dürfte. Insgesamt sechs Tiere wurden nach dieser Marschrichtung in den vergangenen Jahren „letal entnommen“, wie es im Verwaltungsjargon heißt – also fachmännisch getötet.
Lies hat seine Argumentation immer feiner ausbuchstabiert, die Grundausrichtung war folgende: Der Wolf werde in Niedersachsen zwar geduldet und man freue sich über dessen Rückkehr. Der Artenschutz funktioniere aber nur, wenn er auch auf ausreichend Akzeptanz in der Bevölkerung stößt. Für diese ausgewogene Haltung fand der damalige Umweltminister Bestätigung in einer Umfrage, die das „Aktionsbündnis Aktives Wolfsmanagement“ beauftragt hatte, wonach die Niedersachsen den Wolf gutheißen, ihm aber auch Grenzen aufzeigen wollen. Diese Grenzen sollten derweil nicht nur in Form von Zäunen verstanden werden.
„Der Wolf ist nicht nur in Niedersachsen in seinem Bestand nicht mehr bedroht.“
Olaf Lies im Oktober 2022
Dass einzelne Problemwölfe, die zuvor aufgefallen waren, weil sie trotz entsprechender Schutzmaßnahmen wiederholt Nutztiere gerissen haben, geschossen werden, hat Lies stets verteidigt. Denn seine Argumentation geht weiter: „Der Wolf ist nicht nur in Niedersachsen in seinem Bestand nicht mehr bedroht“, sagte Lies noch Ende Oktober und verwies auf die Anzahl von mindestens 44 Rudeln mit etwa 400 Tieren in Niedersachsen. Ein Einbruch der Population sei also auch dann nicht zu erwarten, wenn einzelne Tiere geschossen werden. Artenschutz solle nicht mit dem Schutz jedes einzelnen Individuums verwechselt werden, sagte Lies wiederholt. Auch für diese Position konnte sich der SPD-Politiker auf eine entsprechende Populationsstudie stützen, die er selbst in Auftrag gegeben hatte.
Ferner war der frühere Umweltminister ein Verfechter einer großzügigen Auslegung des Bundesnaturschutzgesetzes, die es erlaubt, auch nacheinander einzelne Tiere eines Rudels zu schießen – und zwar solange, bis die Nutztierrisse in der entsprechenden Region aufhören. Diese Regelung ist in Paragraph 45a des Bundesnaturschutzgesetzes festgeschrieben und gilt dann, wenn der Verursacher nicht eindeutig identifiziert werden kann. Allerdings muss dann ein „enger räumlicher und zeitlicher Zusammenhang“ zum Rissereignis gelten.
Größter Kritiker dieser Wolfspolitik war in der zurückliegenden Legislaturperiode nun ausgerechnet Christian Meyer, der jetzt neue Umweltminister. Aber wie sieht die Wolfspolitik der rot-grünen Landesregierung aus? Vor Erscheinen dieses Artikels hatte der Minister keine Zeit mehr für ein Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick, deshalb müssen zunächst andere Quellen herangezogen werden, um sich dem möglichen neuen Kurs anzunähern. Im rot-grünen Koalitionsvertrag fällt der Passus zur Wolfspolitik recht schwammig aus. Das Wolfsmonitoring soll fortgeführt werden, außerdem möchte man einen „institutionalisierten Dialog“ zu Wolfsmanagement, Herdenschutz und Weidetierhaltung, der dann schließlich in einen „Aktionsplan Weidetierhaltung und Wolf“ münden soll.
Im Übrigen bekennt sich die Koalition zu einem „europarechtskonformen, regional differenzierten Bestandsmanagement“, wie es bereits die Ampel-Koalition im Bund versprochen hatte. Die Ankündigung, sich hier einzubringen, kann als Erbe des früheren Umweltministers Lies verstanden werden, der sich für diesen Passus bereits bei den Verhandlungen in Berlin eingesetzt und anschließend vehement auf die Umsetzung gedrungen hatte, die bis heute aber vom Bundesumweltministerium – geführt von einer Grünen-Politikerin – ausgesessen wird.
Konkrete Vorstellung von Meyers künftiger Wolfspolitik findet man vielleicht im Wahlprogramm der Grünen. Dort kann man zunächst lesen, dass die Rückkehr des Wolfes als Erfolg des Artenschutzes gesehen werde, der aber auch zu Konflikten führe. Gelobt wird der Beitrag des Wolfes zum Schutz der Wälder, weil die Prädatoren die Reh- und Rotwildbestände regulieren – besser als es die herkömmliche Jagd vermöge. Die Grünen setzen auf Entschädigungen, Unterstützung beim Herdenschutz (auch durch Herdenschutztiere) und Herdenschutzteams, die bei Rissereignissen zeitnah helfen sollen. Dass Problemwölfe getötet werden, schließen selbst die Grünen nicht aus. Allerdings haben sie in ihrem Wahlprogramm eine Überarbeitung der noch recht neuen Wolfsverordnung angekündigt, um „willkürliche Abschüsse“ auszuschließen. Auch soll es mit ihnen keine Obergrenzen für den Wolfsbestand geben, wie SPD und CDU sich das vorstellten.
„Der Nabu wertet die Aussagen als eine stärkere Versachlichung der Wolfspolitik, die dringend notwendig ist, damit die Nutztierhaltenden und der Herdenschutz entsprechend ernst genommen werden.“
Holger Buschmann, Landesvorsitzender des Nabu
Die aktuelle Rücknahme der Beschwerde beim OVG kann nun vielleicht als erstes Zeichen gewertet werden, wohin die Reise gehen soll. Aber ist es auch eine Kursänderung? So weit möchte Holger Buschmann, der Landesvorsitzende des Naturschutzverbands Nabu, noch nicht gehen. „Der Nabu wertet die Aussagen als eine stärkere Versachlichung der Wolfspolitik, die dringend notwendig ist, damit die Nutztierhaltenden und der Herdenschutz entsprechend ernst genommen werden“, erklärte er gegenüber dem Politikjournal Rundblick. „Eine Kursänderung sehen wir noch nicht, sondern einen vernünftigen Schritt. Das Revisionsverfahren hätte nach Einschätzung des Nabu eine Bestätigung des bisherigen Richterspruches gebracht.“
Bei der CDU-Landtagsfraktion erzeugt der Rückzug der Beschwerde allerdings Unmut. „Es braucht jetzt aus dem Umweltministerium keine weiteren Gesprächsrunden mit den betroffenen Verbänden, sondern endlich Entscheidungen und Druck auf die Berliner Ampel“, erklärte Frank Schmädeke am Donnerstag für seine Fraktion. Thordies Hanisch, umweltpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, verteidigt im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick hingegen das Dialogformat, auch wenn sie ebenfalls der Auffassung ist, dass dadurch das Grundproblem nicht gelöst werde. Dazu bedürfe es Änderungen auf Bundes- und Europaebene, wie etwa das regional differenzierte Bestandsmanagement. Jörn Ehlers, Landvolk-Vizepräsident und Sprecher des „Aktionsbündnisses Aktives Wolfsmanagement“, drückte im Rundblick-Gespräch unterdessen seine Sorge aus, dass sich in der Wolfspolitik wenig bewegen werde, wenn es zu einem Ping-Pong zwischen Brüssel und Berlin kommt.
Während in Niedersachsen die Zügel im Umgang mit dem Wolf nun wohl gelockert werden sollen, scheint sich in Brüssel derweil etwas in die andere Richtung zu bewegen. Mit einem Entschließungsantrag zum Schutz der Nutztierhaltung und der Großraubtiere in Europa, den das EU-Parlament gestern angenommen hat, wird die EU-Kommission aufgefordert, den Schutzstatus des Wolfes in der Habitat-Richtlinie zu überprüfen.
„Das ist längst überfällig und muss den Richtungswechsel im Umgang mit dem Wolf einleiten“, erklärte dazu gestern der niedersächsische Europaabgeordnete Jan-Christoph Oetjen (FDP) per Mitteilung. Wenn der Schutzstatus des Wolfes im EU-Recht fällt, könnte das schließlich auch spürbare Auswirkungen auf die Wolfspolitik in Niedersachsen haben. Dass Umweltminister Meyer von den neuen Möglichkeiten dann auch Gebrauch machen würde, ist allerdings eher unwahrscheinlich.
Dieser Artikel erschien am 25.11.2022 in der Ausgabe #210.
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