Wie sich die Zielgruppe der Ideen-Expo in den vergangenen 15 Jahren verändert hat
Die Ideen-Expo ist ein niedersächsisches Erfolgsmodell. Alle zwei Jahre kommt die Jugend des Landes auf das hannöversche Messegelände, um sich für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik begeistern zu lassen. Vor inzwischen 15 Jahren wurde diese Idee geboren – als entscheidendes Instrument gegen den Fachkräftemangel im MINT-Bereich. Was hat sich seitdem getan? Die Rundblick-Redaktion wirft einen ganzheitlichen Blick auf die Ideen-Expo. Heute: Die Jugend damals und heute.
Die Ideen-Expo ist jetzt so alt wie ihre eigentliche Zielgruppe. Was bedeutet das für dieses Messe-Format? Wer mit 15 Jahren über die erste Ideen-Expo gelaufen ist, war etwa neun Jahre alt, als im September 2001 die Flugzeuge in die Twin-Towers geflogen wurden. Ein Ereignis, das alle geprägt hat, die es schon bewusst miterleben konnten – vergleichbar mit vorherigen Großereignissen wie dem Mauerfall, der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl oder dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Wer heute über die Ideen-Expo läuft, war 2001 noch nicht mal geplant, ist dafür aber sehr wahrscheinlich mit Greta und Luisa freitags demonstrieren gewesen (oder bewusst auch nicht) und hat prägende Schuljahre im Schutz vor einer Corona-Infektion zuerst zuhause und dann mit Maske vorm Mund im Klassenraum verbracht. Klima, Corona und jetzt Krieg haben die Jugend von heute beim Erwachsenwerden begleitet.
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Wie hat sich die Jugend verändert? Welche Ereignisse prägen ihre Einstellungen und bestimmen, wie sie in die Zukunft blicken? Und wie schauen sie auf mögliche Arbeitgeber und die berufliche Zukunft? Die Einstellungen, Problem- und Gefühlslagen der Deutschen werden regelmäßig ermittelt und kartografiert. So auch die der deutschen Jugend. Für diesen Artikel werfen wir einen Blick in die Shell-Jugendstudie von 2006 und jene von 2019 sowie ergänzend in die Sinus-Jugendstudien von 2007 und von 2020, um uns den beiden Generationen anzunähern und ihre Unterschiede herauszuarbeiten.
2007: Pragmatische Jugend gerät unter Druck
Die Jugend-Kohorte, die im Jahr 2007 bei der Geburt der Ideen-Expo mit dabei gewesen ist, hat ihre Kindheit in den wohlbehüteten 1990er Jahren verlebt. Aus heutiger Perspektive kann dieses Jahrzehnt wohl als kurze Phase des Glücks betrachtet werden. Francis Fukuyama hat das „Ende der Geschichte“ ausgerufen, was die Kinder dieser Zeit wohl weder gelesen noch verstanden aber sicherlich unterbewusst gespürt haben werden. Der Kalte Krieg war vorüber, der freie Westen hat obsiegt, alles schien möglich und eine enorme Liberalisierung war verbunden mit dem Höhepunkt des neoliberalen Zeitgeistes, der in diesen Jahren sogar die Sozialdemokratie tief durchdrungen zu haben schien. Doch diese Euphorie der 1990er-Jahre endete im September 2001. Mit dem Anschlag auf das World Trade Center erlebte die damalige Jugend die Verwundbarkeit des Westens – und sie erlebte Krieg, wenn auch nicht persönlich, so doch ziemlich direkt durch Bilder in den Abendnachrichten. Dies ist ein Ereignis, das der Kohorte deutlich machte, dass die leichten Zeiten nicht von Dauer sein würden.
Die Jugendforscher der Shell-Jugendstudie überschrieben ihre Ergebnisse aus dem Jahr 2006 mit den Worten: „Eine pragmatische Generation unter Druck“. Sie beschreiben die Jugendlichen dieser Zeit als eine junge Generation, die „sich mit einem ausgesprochen pragmatischen Zugang den Herausforderungen in unserer Gesellschaft“ stellt. Prägend seien „Leistungsbereitschaft, Engagement und eine Orientierung an den konkreten und naheliegenden Problemen“. Auf Unsicherheit besonders im beruflichen Kontext reagiert diese Kohorte mit Anpassung und einer Rückbesinnung auf die Familie. Die Jugend von damals schaut mit gemischten Gefühlen in die Zukunft: Während sie „spürbare Ängste vor allem in Bezug auf die Chancen am Arbeitsmarkt“ haben, überwiegt im Persönlichen eine positive Sicht auf die Zukunft. 69 Prozent der Jugendlichen fürchten, ihren Arbeitsplatz verlieren oder keine passende Beschäftigung finden zu können. Zur Erinnerung: Im Vorjahr hatte die Arbeitslosigkeit in Deutschland einen Rekordwert von 11,7 Prozent oder 4,9 Millionen Menschen erreicht. Die rot-grüne Bundesregierung hatte als letzten Ausweg aus einer vertrackten Situation die Agenda-Politik in die Bahn gesetzt. Es war keine rosige Zeit für Arbeitnehmer. So überrascht es wenig, dass inzwischen 53 Prozent der Jugendlichen dieser Zeit die Zukunft der Gesellschaft als eher düster bezeichnen – 2002 waren es noch 45 Prozent. Dass die Gesellschaft immer älter wird, ist in den Augen der Jugend durchaus ein Problem. 70 Prozent der jungen Menschen bewerten das im Jahr 2006 so. Das Verhältnis zwischen den Generationen sei „angespannt“, heißt es in der Shell-Jugendstudie. Der Druck, dem sich die Jugend von damals ausgesetzt sieht, lässt sie meinen, dass Unbekümmertheit und Unbeschwertheit für sie wenig zu spüren seien.
Die Sorgen von damals wurden von klaren Erwartungen abgelöst
Diese Unbeschwertheit kommt laut Jugendforschern auch in den folgenden Jahren nicht mehr zurück (falls es sie je in der Form gegeben hat). Allerdings ändern sich die Problemfelder. Bis 2010 waren es die wirtschaftliche Lage, die steigende Armut und Angst vor Arbeitslosigkeit, die die Jugend umtrieben. So schreiben es die Autoren der 18. Shell-Jugendstudie aus dem Jahr 2019. In den Jahren danach nahm dann aber der Anteil jener Jugendlichen zu, die die Umweltverschmutzung als zentrales Problem bewerteten. Drei Viertel der jungen Menschen nannten dies im Jahr vor der Corona-Pandemie das Hauptproblem ihrer Zeit. Nah beieinander liegen dann die Ängste vor Terroranschlägen (66 Prozent) und vor dem Klimawandel (65 Prozent). Auf Platz vier landet mit 56 Prozent die Angst vor einer wachsenden Feindlichkeit zwischen Menschen mit unterschiedlichen Ansichten. Abgebildet wird hier die „Generation Greta“, wie sie populärwissenschaftlich gerne in Bezug auf die Klimaaktivistin Greta Thunberg bezeichnet wird. Die Sinus-Jugendstudie von 2020 beschreibt diese Kohorte als ernster, ernsthafter und besorgter.
Doch obwohl diese Generation den Klimakollaps vor Augen hat, blickt sie recht zuversichtlich nach vorn. 58 Prozent der Jugendlichen blicken optimistisch in die eigene Zukunft. 37 Prozent schwanken, aber nur 5 Prozent sehen die Zukunft düster. Der Optimismus lag 2019 zumindest noch ziemlich hoch, deutlich höher als 2006 – doch niedriger als in den Jahren direkt davor. Politischer oder engagierter ist diese Gruppe derweil übrigens nicht. Der Anteil derjenigen, die sich nach eigenen Angaben für andere einsetzen, schwankt seit Jahren zwischen 33 und 40 Prozent. Auch die „Generation Greta“ ist also nicht durchweg häufiger auf der Straße unterwegs. In der persönlichen Wertevorstellung erkennt man diese Prägung allerdings wieder deutlich: Umweltschutz ist ihnen mit 71 Prozent wichtiger als der eigene Lebensstandard (63 Prozent). Beruflich strebt diese Kohorte beständig nach Sicherheit. 93 Prozent bewerten dies als wichtig oder sehr wichtig. Ein Umzug für den Job kommt für fast die Hälfte der Jugendlichen zwar in Frage, doch für fast alle jungen Menschen ist klar, dass neben der Arbeit genug Zeit für Familie und Kinder bleiben muss. Aus den beruflichen Sorgen der Jugend von damals sind inzwischen also klare Ansprüche der Jugend von heute geworden.
Ein Makel haftet dieser Betrachtung nun gewiss noch an: Die Forschung zu den Auswirkungen der Pandemie ist noch im Werden. Es gibt zwar Untersuchungen dazu, wie die Jugend die Pandemie-Jahre erlebt hat, doch die neusten Jugendstudien, die die bisherigen Forschungsreihen ergänzen, stehen noch aus. Festzuhalten bleibt jedoch, dass sich die Jugend in den vergangenen 15 Jahren stark verändert hat – wie auch die Welt, in der sie leben.
Dieser Artikel erschien am 09.06.2022 in der Ausgabe #107.
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