21. Mai 2017 · Parteien

Wie die Linksextremen bei der Linken gebändigt werden

Es war wieder einmal ein politisches Kunststück, das beim Landesparteitag der Linken am vergangenen Wochenende in Braunschweig erforderlich und dann auch erfolgreich war: Wie lenkt man eine prinzipiell auf Krawall gebürstete Delegiertenmehrheit auf den Kurs der Vernunft? Im Saal die erfahrenen alten Kämpfer, die diese Partei gern fit machen wollen für eine potenziell mögliche rot-rot-grüne Regierungsmehrheit im Landtag – darunter die Bundestagsabgeordneten Diether Dehm (Hannover), Herbert Behrens (Osterholz) und Pia Zimmermann (Wolfsburg), außerdem der Rechtsanwalt Hans-Henning Adler (Oldenburg). Daneben ein Parteitag, bei dem sich mehrere linksextreme Wortführer auffallend oft zu Wort melden – darunter viele Jüngere von der „antikapitalistischen Linken“ (AKL). Die AKL versteht sich als Bindeglied zu allen linksaußen stehenden Kräften, und zwar ohne Ausnahme. Für sie ist die Vorstellung einer Regierungsbeteiligung der Partei ein Graus, weil das ein Pakt mit dem verhassten kapitalistischen System wäre. https://twitter.com/die_linke_nds/status/866031481524768768 Die Mehrheiten unter den rund 140 Delegierten im Saal sind schwer berechenbar, und so gilt es für die Realpolitiker, den Linksradikalen für ihr Selbstbewusstsein wenigstens ein paar Siege zu gönnen – allerdings nicht den entscheidenden, den bei der Festlegung einer Koalitionsaussage. So geschieht es dann auch. Zunächst wird lang und breit über das Wahlprogramm beraten, und an manchen Punkten unterliegt die AKL – etwa bei ihrem Ruf nach Verstaatlichung der Schlüsselindustrien, den Behrens mit klaren Einwänden abwenden kann. Wenig später steht eine AKL-Forderung zur Abstimmung, die SPD, CDU, FDP und Grüne eine „neoliberale und rassistische“ Politik bescheinigt, diese Aussage wird dann im Laufe der Debatte noch verschärft durch den Begriff „sozialdarwinistisch“. Diese Unterstellung gehe zu weit, wendet Landesgeschäftsführer Michael Braedt (Hannover) ein – doch eine Mehrheit für die AKL-Forderung findet sich dann doch. Ein kleiner Sieg für die Linksextremen. Ob das generelle Nein zu Abschiebungen für alle „Geflüchteten“ gelten soll oder nur für „Schutzbedürftige“, ist dann der nächste Streit – auch hier siegt der linke Flügel, die „Geflüchteten“ werden beschlossen. Uneinheitlich ist das Ergebnis bei den Aussagen zur Nato. Die „langfristige Auflösung“ steht im Programm, radikalere Forderungen nach sofortiger Abschaffung der Bundeswehr finden keine Mehrheit. Aber immerhin: Die Linke will den Truppenübungsplatz in Bergen, den Fliegerhorst in Wunstorf und die Militäreinrichtungen in Munster und Nordhorn schließen. „Denn hier fängt der Krieg an“, heißt es im Programm. [caption id="attachment_17444" align="aligncenter" width="780"] Hände nach oben: Die Abstimmung zum Wahlprogramm auf dem Parteitag in Braunschweig[/caption] So enthält der Forderungskatalog durchaus vieles, was linksextreme Herzen höher schlagen lässt. Nur beim Kernpunkt kommt es zur Kraftprobe. Edgar Schu (Göttingen) von der AKL schlägt vor: „Die Linke ist nicht bereit, SPD und Grünen durch Koalitionsbildung oder Tolerierungsvertrag einen Blankoscheck auszustellen. Der außerparlamentarische Druck ist und bleibt entscheidend.“ Dagegen engagiert sich Arne Brix (Oldenburg), Mitglied im Bundesvorstand der Linken, einst Vertreter der „Kommunistischen Plattform“, die früher einmal den äußersten linken Rand der PDS markierte. Sein Antrag sieht vor, Regierungsbeteiligung nicht grundsätzlich auszuschließen, von SPD und Grünen aber eine Abkehr „vom Geist der Agenda 2010“ zu verlangen. Damit auch Anhänger der AKL das mittragen können, ergänzt Brix kurzfristig seinen Antrag und beschreibt die Linke als „gesellschaftliche Opposition“. Jetzt kommt Dehms Einsatz, der an den Theoretiker Gramsci und seine Dialektik erinnert – es gehe darum, aus der Opposition heraus zu regieren und aus der Regierung heraus zu opponieren. Das Wortspiel beflügelt die Debatte. Adler warnt noch, dass man doch diejenigen nicht verschrecken dürfe, die immer noch auf Rot-Rot-Grün setzten. Dies überzeugt am Ende, die große Mehrheit folgt dem Brix-Antrag, die AKL unterliegt. Damit hält sich die Linke den Weg in eine Regierungsbeteiligung nach der Landtagswahl offen. Die nächsten Machtfragen folgen, als es um die Listenkandidaten geht. Wieder wird alles so organisiert, dass die Parteitagsbasis meinen kann, einen Sieg errungen zu haben. Zunächst war für Platz eins ein Mann vorgesehen, auf Position zwei und drei sollten Frauen folgen. Die Mehrheit beschließt dann, die Reihenfolge umzukehren. So wird dann die Landesvorsitzende Anja Stoeck (Winsen) Spitzenkandidatin, eine 51-jährige Physiotherapeutin, die sich bisher vor allem in der Friedensbewegung und Bildungspolitik engagiert hat. Auf Position zwei setzt sich der 67-jährige Rechtsanwalt Hans-Henning Adler (Oldenburg) durch, bis 2008 Chef der Landtagsfraktion und ein klarer Befürworter einer Regierungsbeteiligung. Doch seine Wahl wird zur Zitterpartie, denn er bekommt mit dem 39-jährigen Lars Leopold (Alfeld) einen unerwartet starken Gegenkandidaten. Leopold war früher bei der AKL und schimpft in seiner Vorstellung auf die „hässliche Fratze des Kapitalismus“. Das kommt an. Da zunächst noch der aussichtslose Rüdiger Hergt (Wunstorf) antritt, müssen Adler und Leopold in die Stichwahl – und die entscheidet Adler mit zehn Stimmen Vorsprung für sich. Das Ergebnis wird von allen Rot-Rot-Grün-Anhängern wie eine große Erleichterung aufgenommen. Das von den Strategen vorher entworfene Tableau setzt sich durch. [caption id="attachment_17441" align="aligncenter" width="585"] Die Spitzenkandidatin der niedersächsischen Linken, Anja Stoeck - Foto: KW[/caption] Auf den ersten sechs Listenplätzen dominieren die Anhänger der pragmatischen Politik. Auf Stoeck und Adler folgen die Gewerkschafterin Ursula Weisser-Roelle (Braunschweig), einst Parlamentarische Geschäftsführerin der Landtagsfraktion, und Herbert Behrens, bisher Bundestagsabgeordneter. Auf Rang fünf setzt sich die Kurdin Behiye Uca aus Celle durch, auf Position sechs dann Lars Leopold aus Alfeld. Nur einer hatte bei dem Delegiertentreffen offen rebelliert. Rüdiger Hergt, der spontan für Platz zwei seinen Hut in den Ring geworfen hatte, protestiert in seiner Vorstellung gegen so vieles, was ihn bei den Linken stört – die Dominanz früherer Landtagsabgeordneter, der Einfluss der Bundestagsabgeordneten, die Vorabsprachen für die Wahlen in den Kreisvorständen. Aber das Aufbegehren des 66-Jährigen gegen das Establishment verhallt im Saal fast ungehört. Für Hergt sprechen sich gerade mal 13 der 140 Delegierten aus. (kw)
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #95.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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