Wie der alte Paul von Hindenburg auf einmal zum großen Thema der Landespolitik wird
Er ist seit mehr als 80 Jahren tot, aber in sehr vielen Städten werden noch Straßen und Plätze nach ihm benannt. Ist das richtig so? Über Paul von Hindenburg, den ehemaligen Generalfeldmarschall, obersten Befehlshaber im Ersten Weltkrieg und späteren Reichspräsidenten der Weimarer Republik, wird gegenwärtig in Niedersachsen heftig gestritten. Gestern Abend kamen in Hannover hunderte Zuhörer zusammen, um eifrig und aufgewühlt zu diskutieren. Soll die Straße in der Oststadt der Landeshauptstadt, die nach Hindenburg benannt ist, einen neuen Namen erhalten? Patrick Döring (FDP) hatte Mühe, als Moderator die Gemüter zu beruhigen.
Da spielt viel Symbolik rein – und es wird das in diesen Wochen besonders ausgeprägte Bedürfnis vieler Gruppen deutlich, intensiver über die deutsche Geschichte zu streiten. Kein Wunder, steht doch in Kürze ein wichtiger Jahrestag bevor. Am 9. November, also in drei Wochen, jährt sich die deutsche Novemberrevolution zum 100. Mal. Der Tag gilt auch als Geburtsstunde der ersten, der Weimarer Republik – und diese endete bitter, als eben dieser Paul von Hindenburg als Reichspräsident am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum neuen Reichskanzler ernannte. War Hindenburg also der Wegbereiter der Nazis? Ist das nicht ein Grund, den 100. Geburtstag der Revolution zum Anlass für eine Umbenennung der Straße in Hannover zu nehmen? SPD, Grüne und Linke im zuständigen Bezirksrat haben das so entschieden, CDU und FDP stemmen sich dagegen. Auch der CDU-Landesverband verteidigt den alten Namen, er hat seine Landesgeschäftsstelle in eben dieser Straße.
Die Debatte um Hindenburg wird heute noch von vielen Missverständnissen begleitet. Mehrere Beispiele belegen das:
Erstens: Die zwielichtige Rolle von Hindenburg. Im hannoverschen Bezirksrat raffte sich ein SPD-Vertreter auf und bezeichnete den früheren Reichspräsidenten offen als „Verbrecher“. Darf man Hindenburg auf eine Stufe mit Hitler stellen? Dafür spricht, dass seit einigen Jahren die historische Forschung den alten Reichspräsidenten deutlich kritischer beurteilt als im vergangenen Jahrhundert. Damals meinte man, der greise Generalfeldmarschall a.D. sei überfordert gewesen und habe nicht mehr realisieren können, was er tat. Heute scheint klar, dass Hindenburg zum einen ganz bewusst kein Demokrat war, die „Dolchstoßlegende“ verbreitete und damit wesentlichen Anteil an der nachhaltigen Schwächung der Weimarer Republik hatte. Er hatte zuvor im Ersten Weltkrieg eine unrühmliche Rolle, weil er den Krieg verlängerte. Sein größter Fehler war, dass er 1933 den Widerstand gegen Hitler aufgab und ihn zum Reichkanzler ernannte – im Glauben, Hitler so bändigen zu können. Reicht diese folgenschwere Fehleinschätzung aus, Hindenburg vom Straßenschild zu verbannen? Wohl kaum, denn erstens war Hindenburg zeitweise auch eine Hoffnungsfigur der demokratischen Kräfte gegen Hitler. Zweitens ist er zweifellos eine - wenn auch sehr tragische und widersprüchliche - Figur der Geschichte.
Zweitens: Die Instrumentalisierung der Geschichte. Dass gerade in der Oststadt von Hannover eine Straße nach Hindenburg benannt ist, hat einen konkreten Grund: Hier wohnte Hindenburg nach seiner Pensionierung 1918 und vor seiner Wahl zum Reichspräsidenten 1925. Nirgendwo gibt es einen besseren Ort, anschaulich an seine Rolle zu erinnern – umso mehr, als er eben gerade kein Vorbild für Demokraten sein kann. Das schreit geradezu nach Hinweisschildern und historischer Aufklärung. Umgekehrt: Wer den Namen von den Schildern entfernt, lädt auch nicht mehr zur Auseinandersetzung mit der historischen Figur ein. Dagegen sind die Motive in der aktuellen Debatte derzeit auch nicht immer ehrlich. Bei manchen, die jetzt vehement für die Umbenennung kämpfen, mag die Hoffnung mitschwingen, die Befürworter des alten Namens würden Hindenburgs Rolle verharmlosen und ihn verteidigen – und sich so als Anti-Demokraten outen. Das ist bisher jedoch nicht geschehen, gestern Abend in der Bürgerdiskussion auch nicht.
Drittens: Nichts ist schlimmer für den Gegner, als wenn man ihn einen Hindenburg-Anhänger nennt. Jüngst hat Stefan Wenzel (Grüne) dem Wissenschaftsminister Björn Thümler (CDU) vorgeworfen, er sehe nicht bei Hindenburg die eigentliche Schuld am Untergang der Weimarer Republik, sondern bei den Revolutionären von 1918. Der Grund war, dass Thümler zuvor in einem Grußwort erwähnt hatte, die revolutionären Umtriebe von 1918 hätten den Keim des späteren Niedergangs der Republik in sich getragen. Thümler sah sich gezwungen, das später zu erläutern: Die Kämpfe und die Radikalisierung in den ersten Jahren nach 1918 hätten die junge Republik geschwächt – und natürlich liege eine ganz wesentliche Verantwortung für das Ende der Demokratie auch bei Hindenburg. Das gehört für demokratische Politiker heute schon zwangsläufig dazu, dass sie meinen, sich deutlich von Hindenburg distanzieren zu müssen – um nicht in den Verdacht der Verteidigung ausgesetzt zu sein. Der Disput zwischen Thümler und Wenzel zeigt aber noch einen unterschiedlichen Politikansatz. Der CDU-Mann sieht die revolutionären Umtriebe von 1918 kritisch und destabilisierend, der Grünen-Politiker sieht darin eine demokratische Ausdrucksform. Nur: Keiner von beiden neigt der autoritären, im Grunde antirepublikanischen Haltung Hindenburgs zu.
Was wird nun aus der Hindenburgstraße in Hannover? Die Diskussion gestern in der hannoverschen Friedenskirche zeigte, wie konträr die Meinungen auseinandergehen. Ist er es würdig, dass man an ihn erinnert – oder soll man ihn aus der Stadtgeschichte verbannen? Eine empörte Frau meinte, man solle am besten von „Tiergartenstraße“ reden: „Bitte keine Politikernamen mehr, das bringt früher oder später immer Ärger.“
Auch 100 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs vermag Paul von Hindenburg noch die Geister zu teilen. (kw)