7. Dez. 2023 · 
Landwirtschaft

Wie das Landvolk nach einer neuen Rolle an der Seite des Naturschutzes sucht

Allmählich etabliert sich eine neue Tradition, die vor ein paar Jahren noch unvorstellbar schien: Dass die Vorsitzenden der beiden großen Umweltverbände, Susanne Gerstner vom BUND und Holger Buschmann vom Nabu, wie selbstverständlich als Ehrengäste an der Mitgliederversammlung des niedersächsischen Bauernverbands Landvolk teilnehmen, ist für einige noch immer eine Kuriosität. „Es ist eine nicht ganz alte, aber gute Tradition, dass wir uns gegenseitig zu unseren Versammlungen einladen“, sagte der wiedergewählte Landvolk-Präsident Holger Hennies am Donnerstag zur Begrüßung der Partner des „niedersächsischen Weges“, zu denen neben BUND und Nabu auch noch die Landwirtschaftskammer zählt.

Christian Meyer | Foto: Landvolk Niedersachsen/Sonja Markgraf

Dieser Kulturwandel zwischen den Organisationen, die sich vor gar nicht allzu langer Zeit noch spinnefeind gewesen sind, ist ein Pfund der Vorgängerregierung, mit dem nun auch die beiden zuvor unbeteiligten Grünen-Politiker, Agrarministerin Miriam Staudte und Umweltminister Christian Meyer, wuchern können. Dass beide Kabinettsmitglieder den Landesbauernverband gestern im Festsaal des Hotels Wienecke in Hannover mit Grußworten beehrten, ist ein weiterer Ausdruck dieses neuen Zusammenhalts eigentlich entgegengesetzter politischer Pole.

Miriam Staudte | Foto: Landvolk Niedersachsen/Sonja Markgraf

„Ich danke Ihnen für das vergangene Jahr, für die ausgesprochen gute Zusammenarbeit“, setzte Agrarministerin Staudte an und berichtete, dass sie zu Beginn ihrer Amtszeit gedacht habe, dass das für eine Ministerin von den Grünen bestimmt nicht leicht werde mit dem Landvolk. Umweltminister Meyer, der bei der vorigen rot-grünen Landesregierung noch als Agrarminister am Kabinettstisch gesessen hatte, erinnerte sich noch an ganz andere Zeiten und „interessante Kontroversen“, bezeichnete den Konsens nun aber als große Stärke: „Wenn sich beide Seiten nur anne Köppe kriegen, ist das auch nicht gut.“

„Wir brauchen Sie alle – für die Zukunft der Landwirtschaft, für die Zukunft des ländlichen Raumes. Wenn wir zusammenstehen, können wir auch etwas erreichen“, sagte Hennies in seiner Begrüßung, als er neben den Kommunalverbänden etwa auch den Wasserverbandstag willkommen hieß. Die Allianz soll maximal breit sein, denn die Herausforderungen sind es auch. Im Miteinander mag es gut laufen, doch die Stimmung unter den Landwirten ist schlecht. Hennies nutzte die Mitgliederversammlung deshalb auch, um auf der einen Seite Mut zu machen, auf der anderen aber auch Dampf abzulassen.

Neue Kampagne: Wir sind Zukunftsbauern | Foto: Kleinwächter

Mut machen möchte das Landvolk mit einer neuen Kampagne: Unter der Überschrift „Wir sind Zukunftsbauern“ präsentieren sich Landwirte aus dem ganzen Land mit Videobotschaften und berichten darüber, wie sie die Veränderungen in ihrer Branche aktiv anpacken. „Es reicht nicht, wenn man nur sendet, die anderen müssen auch zuhören wollen“, sagte Hennies zu den aufwendig aufbereiteten Filmchen. Die Kampagne soll dazu beitragen, dass nicht immer nur die Risiken und Kosten, sondern auch der Nutzen eines Lebens im ländlichen Raum deutlich hervorgehoben werden. „Wir sind die Architekten einer zukunftsfähigen Landwirtschaft.“

Die Botschaften, die man vermitteln will, sollen dabei ernsthaft sein und realistische Wege aufzeichnen, erklärte der Verbandspräsident, der auch für die kommenden drei Jahre die Geschicke des Landvolks bestimmen wird. An der Seite des Landwirts aus der Region Hannover steht dabei weiterhin Jörn Ehlers (Kreis Verden) sowie neuerdings Hubertus Berges (Kreis Cloppenburg) und Frank Kohlenberg (Kreis Holzminden).

Ab dem 1. Januar 2024 besteht das Landvolk-Präsidium aus Holger Hennies (von links), Hubertus Berges, Jörn Ehlers und Frank Kohlenberg. | Foto: Landvolk

Die Unsicherheit der Landwirte rührt derweil nicht von den wirtschaftlichen Bedingungen der jüngeren Vergangenheit. „Die Bäume wachsen zwar nicht in den Himmel. Die Ernten waren nicht überall gut, mancherorts sind die Kartoffeln noch in der Erde und werden wohl auch nicht mehr geerntet“, führte Hennies aus und schob nach: „Aber das sind wir gewohnt, damit kommen wir klar.“ Für die schlechte Stimmung macht er vielmehr die Politik verantwortlich, vorrangig außerhalb Niedersachsens. Da gibt es zum Beispiel die Vorschläge der sogenannten Borchert-Kommission zum Umbau der Nutztierhaltung, die auf Bundesebene aber nicht umgesetzt werden. „Es ist bedauerlich, dass wir ein Zukunftskonzept hatten, das einen echten Mehrwert geschaffen hätte. Aber ohne Geld gibt es auch damit keine Zukunft“, sagte Hennies. „Es läuft jetzt etwas an mit der Kennzeichnung und im Baurecht, aber der Schwung ist raus. Viele Betriebe halten deshalb Investitionen zurück.“

Dass sich immerhin Niedersachsens Landesregierung zur Tierhaltung bekannt habe, lobte der Landvolkpräsident ausdrücklich, hofft aber weiterhin auf eine geschlossene Flanke gegen die Bundesregierung in dieser Angelegenheit. Doch auch auf europäischer Ebene fühlt man sich verlassen. Dass sich im EU-Parlament beinahe eine Mehrheit für eine neue Pflanzenschutz-Verordnung gefunden hätte, die vielen Betrieben in Niedersachsen die Existenzgrundlage entreißen würde, hat Hennies sichtbar entsetzt. Und auch bei der anstehenden Industrieemissions-Richtlinie wähnt er böse Absichten: „Da wird ein normaler landwirtschaftlicher Betrieb zum Industriebetrieb gemacht und dann mit Dokumentationspflichten versehen – das ist schon ganz schön übel. Damit wird ein Gegner zur Unperson erklärt und dann mit richtigen Auflagen übersät.“

Und auch beim Moorschutz und dem „Nature Restoration Law“ der EU fürchtet Hennies um die Zukunft seiner Branche. „Die Menschen vor Ort wollen Planungssicherheit und ein Geschäftsmodell. Man muss dort leben und wirtschaften können. Es braucht eine Zukunft auch für die Menschen in den Moorregionen.“ Insgesamt beklagte der Bauernpräsident einen Gesetzgebungs- und Verordnungsdruck, der zuletzt stark zugenommen habe.



Doch nach dem Klartext folgte auch bei der Landvolk-Mitgliederversammlung wieder die ausgestreckte Hand. „Wir suchen den Kompromiss, auch wenn er schwerfällt. Eskalation hilft nichts“, sagte Hennies. Ein bemerkenswertes und wahrlich ungewöhnliches Symbol war es deshalb, den bundesdeutschen Nabu-Präsidenten Jörg-Andreas Krüger auf der Bauernversammlung sprechen zu lassen. Auch Krüger, der für viele Landwirte vermutlich noch immer eine Art Feindbild sein mag, betonte unterdessen die gemeinsamen Anliegen und warb um eine Kooperation. Dass auch persönlich zwischen ihm und Hennies längst eine Beziehung existiert, machte er sofort deutlich: Vieles, was er habe sagen wollen, habe Hennies bereits angesprochen, „weil wir viel miteinander reden in letzter Zeit“.

Beide arbeiten zusammen in der Zukunftskommission Landwirtschaft. So nahm er also Hennies Kritik an dem Verordnungsdruck auf und spielte den Ball weiter ins Spielfeld der Politik: „Der Gesetzgebungsdruck wird bleiben, wenn wir das Problem nicht gelöst kriegen. Es werden immer irgendwelche Ideen für Einzelgesetze kommen, wenn der große Pfad fehlt“, sagte Krüger und forderte einen Generationenvertrag für die Landwirtschaft: „Es ist der Auftrag der Politik, so einen Gesamtentwurf zu skizzieren. Das ist schwierig, aber es hilft ja nichts. Sonst werden wir immer wieder Einzeldiskussionen haben.“

Jörg-Andreas Krüger | Foto: Landvolk Niedersachsen/Sonja Markgraf

Krüger analysierte in seiner Rede die Gemeinsamkeiten und das Trennende der beiden Verbände und unterbreitete dem Landvolk schlussendlich drei Vorschläge, woran man gemeinsam arbeiten könnte. Zum einen sollte die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) kollegial angegangen werden, schließlich wollten beide Seiten die Fördergelder erhalten, Bürokratie abbauen und in gewissen Bereichen die Flexibilität erhöhen. Zweitens sollten Nabu und Landvolk das Beispiel der Niederlande übernehmen und gemeinsame regionale Umsetzungsprojekte angehen. Und zu guter Letzt lud Krüger den Bauernverband ein, in der Sache mit dem Nabu zu streiten. „Wir werden die fachlich tiefe Debatte brauchen, die haben wir aber noch nicht so“, erklärte der gebürtige Niedersachse. Der fachlich begründete Streit sei notwendig, um die Probleme lösen zu können, meint er. So entstünde eine gemeinsame Verantwortung für Lösungen, „damit wir rauskommen aus Radikaldebatten“.

„Auf den Streit mit Ihnen freue ich mich, denn der ist zielgerichtet“, sagte Krüger abschließend, bevor er sich der Debatte mit den Landvolk-Mitgliedern stellte. Dabei ging es dann schnell um ein Konfliktthema, das zuvor weitgehend umschifft wurde: den Wolf. Ob dieses ausgerechnet ein geeignetes Themenfeld ist, um darauf die neue Allianz zwischen Nabu und Landvolk zu begründen, scheint zunächst zweifelhaft. Aber wer weiß: Vor zehn Jahren hätte ein Nabu-Präsident vermutlich nicht einmal die Konferenzhalle betreten dürfen.

Dieser Artikel erschien am 8.12.2023 in Ausgabe #215.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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