Es gibt eine Grafik, die Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) im vergangenen Jahr gleich mehrfach gezeigt hat, um den Ernst der Lage zu verdeutlichen. Mit dem Projektor an die Wand geworfen, erinnert das Schaubild an einen großen, neumodischen Wandteppich. Gewoben ist das abstrakte Motiv aus hunderten Fäden in verschiedensten Blau- und Rottönen. Je weiter rechts die Fäden sind, desto intensiver und dunkler wird das Rot. Die blaue Fäden mogeln sich immer seltener dazwischen, doch wenn es welche gibt, sind sie gleich sehr blau und ebenfalls intensiv. Insgesamt ergibt sich ein Farbverlauf vom zarten Himmelblau zu einem kräftigen Purpur.

Was die Grafik aufzeigt, ist das Verhältnis von feuchten und trockenen Jahren, die Zunahme der Trockenperioden und Dürrejahre. Die Tendenz lässt sich angesichts dieses eindeutigen Farbverlaufs nicht leugnen: Es wird immer heißer, immer trockener, immer extremer. Das Jahr 2017 war in Niedersachsen eindeutig zu nass, die vergangenen drei Jahre waren hingegen eindeutig zu trocken. Die Grundwasserreserven werden Sommer für Sommer geplündert, in der kühlen Jahreszeit werden sie kaum neu aufgefüllt.
Der Umweltminister warnt nun: „Verfehlen wir die Klimaziele nur knapp, wird künftig nicht mehr jedes zweite Jahr ein Dürrejahr, sondern in acht von zehn Jahren würde es zu trocken.“ Ginge das so weiter, drohten Verteilungskämpfe, denn neben Bürgern und Bauern braucht auch die Industrie viel Wasser. Wie muss das Land also in Zukunft die Wasserreserven besser verteilen? Was muss getan werden, um wieder mehr Wasser im Land zu halten?
Verfehlen wir die Klimaziele nur knapp, wird künftig nicht mehr jedes zweite Jahr ein Dürrejahr, sondern in acht von zehn Jahren würde es zu trocken.
Mit einer neuen Generation von Umweltmodellen wollen Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung nun Auskunft darüber geben, wie sich die Wasserversorger auf die neuen klimatischen Bedingungen einrichten sollten. Bei einer Diskussionsveranstaltung mit Niedersachsens größtem Trinkwasserversorger, den Harzwasserwerken, erklärte Prof. Dietrich Borchardt gestern, wie das gelingen soll. Die Wissenschaftler erarbeiten derzeit sowohl Echtzeit-Statistiken über Niederschläge und Bodenfeuchtigkeit, als auch Wettervorhersagen für die kommenden ein bis drei Monate.
Die Skala dieser Vorhersagen wollen sie herunterbrechen vom globalen Maßstab bis hin zu einer lokalen Ansicht. Hinzu kommen Langzeitberechnungen, die auch Zukunftsszenarien für die kommenden Jahre aufzeigen: Was passiert mit Niedersachsens Boden, wenn das nächste Jahr wieder zu trocken wird? Möglich wird all das durch drei Faktoren: eine rasch voranschreitende Digitalisierung etwa durch Satellitentechnik, ein rasanter Ausbau der Messtechnik am und im Boden sowie eine enorm gesteigerte Rechenleistung.
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So will Niedersachsen das Wasser besser verteilen
Anhand der aktuellen Berechnungen und Modellierungen kann Prof. Borchardt sagen: Auch dieses Jahr wird für bestimmte Regionen des Landes wieder viel zu trocken. Besonders der Harz sei davon betroffen, aber auch die Region um Uelzen und der Osten des Landes. Zuerst sei nur der Oberboden betroffen gewesen, danach die tieferen Regionen. Inzwischen sei seit 2020 der gesamte Boden von der Trockenheit erfasst, erklärte Prof. Borchardt. Mit den Modellen für die kommenden Monate möchten die Experten den Entscheidern die Möglichkeit geben, frühzeitig mit einem nachhaltigen Wasser-Management zu beginnen.
Wasser war gefühlt immer in ausreichender Menge da, das ist nun nicht mehr so. Man wird über Prioritäten reden müssen.
Doch wie genau kann nun auf die bevorstehende Knappheit reagiert werden? Umweltminister Lies sieht die Verteilungskämpfe schon aufziehen, wenngleich noch nicht so existenziell. „Wir haben die vergangenen drei Jahre in einer Art diskutiert, wie wir das früher nicht getan hätten. Wasser war gefühlt immer in ausreichender Menge da, das ist nun nicht mehr so“, erklärte der Minister in der Diskussion der Harzwasserwerke. „Man wird über Prioritäten reden müssen“, deutete er noch wage an.
Doch wie die Prioritäten aussehen, verdeutlicht sich schon jetzt: „Die Trinkwasserversorgung kommt immer als erstes.“ Die Beregnung landwirtschaftlicher Flächen sei hingegen schon an einem Punkt angekommen, ab dem eine Ausweitung nicht mehr möglich sein werde. Auch das Bewässern von privaten Gärten wird im Zweifelsfall wieder einzuschränken sein – im vergangenen Jahr hat es das im Sommer in manchen Regionen schon gegeben. Die Modellberechnung des Helmholtz-Zentrums könnten womöglich in Zukunft dafür herangezogen werden, solche Einschnitte noch früher festzuschreiben.

Doch bevor es zu weiteren Verboten kommt, setzt der Umweltminister auf zweierlei andere Strategien: auf technischen Fortschritt sowie auf eine Rückkehr zur Natur. Industrie und Landwirtschaft sollten, seinen Aussagen zufolge, technische Vorrichtungen so einsetzen, dass eine Verschwendung von Wasser künftig vermieden wird. „Wir können uns die Verschwendung von Grundwasser nicht mehr leisten, wir müssen Wasser im Kreislauf halten.“ Zugleich müsse wieder Raum geschaffen werden, um Wasser länger im Land zu halten. Die Flüsse seien so umgestaltet worden, dass das Wasser möglichst schnell aus dem Land transportiert wird. Ein Umbau der Flüsse, der auch mehr Raum für Wasserrückhalt und Hochwasserschutz bedeuten würde, stehe aber im Konflikt beispielsweise mit Wohnbebauung. Mittelfristig tut sich hierbei eine Aufgabe auf, die Niedersachsens Landschaftsbild nachhaltig verändern könnte.
Prof. Borchardt knüpfte noch einen weiteren Gedanken an, der deutlich machte, dass eine Anpassung an die Klimafolgen nicht nur den ländlichen Raum betreffen wird. Er mahnte, dass Großstädte besser auf Hitzewellen vorbereitet werden müssten. Um die Städte zu kühlen, brauche man das Wasser. Noch seien die meisten Städte aber darauf ausgelegt, das Wasser möglichst schnell verschwinden zu lassen. In Zukunft wird das Wasser aber auch in der Stadt mehr Platz haben müssen, um die Gesundheit ihrer Bewohner zu schützen.
Wenn schon über solche große Schritte gesprochen wird, die Stadt und Land verändern – wäre dann auch der Bau neuer Stauseen denkbar, um neue Wasserreservoire zu schaffen? Im vergangenen Jahr noch zeigte sich Umweltminister Lies zurückhaltend gegenüber der Idee, neue Talsperren zu errichten – der Eingriff in die Natur sei zu massiv. Jetzt sagte er immerhin: „Wir können dankbar sein, dass zwei Generationen vor uns die Talsperren gebaut wurden.“ Umweltverbände pochen stattdessen schon seit längerem auf die Wunderwirkung der Moore, von denen es in Niedersachsen eigentlich eine ganze Menge gibt. Würde man diese wieder ordentlich in Schuss bringen, wäre das als Reaktion auf den Klimawandel gleich in doppelter Hinsicht ein Gewinn, sagen die Befürworter dieser Strategie.

Zum einen wirken die Moore, wenn sie fit sind, wie ein Schwamm: Sie saugen sich voll mit Wasser, wenn es viel davon gibt, und geben es wieder ab, wenn es trocken ist. Gleichzeitig ist ein Moore im nassen Zustand eine CO2-Senke. Die Böden speichern große Mengen der Treibhausgase, werden sie aber zunehmend trockengelegt, wie es in Niedersachsen in den vergangenen einhundert Jahren allzu häufig passiert ist, geben sie auch viel Kohlenstoffdioxid in die Atmosphäre ab. Entwässert hat man die Moore einst für die landwirtschaftliche Nutzung. Derzeit forscht man in Niedersachsen, wie man die Moore feucht halten und trotzdem bewirtschaften kann. Das mag aufwendiger sein als der Bau einer neuen Talsperre – aber es ist das Gegenteil von diesem massiven Eingriff in die Umwelt. Es wäre vielmehr eine Rückkehr zu einem Erfolgsmodell des Wassermanagements, das sich die Natur selbst ausgedacht hat.
Von Niklas Kleinwächter