Wie das Land Salzgitter auf die Beine helfen will
Viele Städte in Niedersachsen haben Probleme, eine aber besonders. In Salzgitter will die Landesregierung kräftig investieren – 50 Millionen Euro. Das Geld soll helfen, das soziale Konfliktpotenzial in der Kommune zu verringern. Es geht um marode Wohnungen, einige sprechen von „Schrott-Immobilien“, die bereits jetzt mancherorts unerwünschte Mieter angezogen und zu Verwahrlosungen geführt haben. Was aber soll man dagegen tun? Die Antwort auf diese Frage ist nicht unumstritten. Kommenden Montag soll ein Konzept vorgestellt werden.
Außenstehende, die Salzgitter vor allem von den Autobahnschildern her kennen, sprechen gern vom „Ruhrgebiet des Nordens“. Das sei eine Stadt, in der die Schornsteine rauchen, mächtige Industriebauten die Kulisse prägen und die sonst vermutlich nicht viel zu bieten hat. Aber Salzgitter ist vielfältig, eine ganz besondere Stadt. Einst unter dem NS-Politiker Hermann Göring als Standort eines riesigen Stahlwerkes auserkoren, erstreckt sich Salzgitter heute über 224 Quadratkilometer. Das ist so groß wie die Fläche der Landeshauptstadt Hannover – nur, dass in Salzgitter gerade mal ein Fünftel der Einwohner Hannovers leben.
Obwohl eine kreisfreie Großstadt, besteht Salzgitter eigentlich aus 31 Dörfern, davon vier größeren. Dazwischen liegen fünf große Industriebetriebe, teilweise mit weltweitem Ruf und Einfluss: Bosch und das Salzgitter-Stahlwerk, Alstom und MAN, sowie Volkswagen. Vielleicht wird hier, direkt am Mittellandkanal, mit guter Bahnanbindung und an mehreren Autobahnen gelegen, irgendwann eine Modellstadt für moderne Elektro- und Wasserstoffantriebstechnik entstehen, die Wiege der nächsten industriellen Revolution in Deutschland? Ein großes gemeinsames Industriegebiet mit Braunschweig, das zunächst geplant war, scheiterte Mitte 2018 mit knapper Mehrheit im Rat der Stadt Salzgitter – die meisten SPD- und Grünen-Politiker votierten dagegen, viele hatten Bedenken wegen der Lärmbelästigung für die Bewohner angrenzender Siedlungen. Das war ein Rückschlag für die Entwicklung der Stadt.
Migrantenquote bei fast 40 Prozent
Frank Klingebiel (CDU), der Oberbürgermeister, ist gegenüber Visionen zwar nicht abgeneigt. Aber er spricht, ganz Pragmatiker, lieber über die aktuellen Herausforderungen. Salzgitter hat mit 8,5 Prozent eine erhöhte Arbeitslosenquote, die Gewerbesteuer schwankt stark, die Einnahmen aus der Einkommensteuer sind eher bescheiden, weil viele gut situierte Bürger außerhalb wohnen. Vor allem aber gibt es das Problem mit den Zuwanderern, die Migrantenquote liegt nahe 40 Prozent.
Weil viele Flüchtlinge aus Syrien, die nach der Anerkennung keine Arbeit fanden und günstige Unterkünfte brauchten, in die alten und heruntergekommenen Werkswohnungen zogen, entstanden dort mit der Zeit „Parallelgesellschaften“. Betroffen sind fünf ohnehin schon sozial schwierige Wohnviertel. In einigen Kindergärten und Schulen wurde dort nicht mehr deutsch gesprochen, es gibt immer wieder Reibereien mit Nachbarn.
Im Oktober 2017 entschloss sich die Landesregierung auf Drängen der Stadt, eine Zuzugssperre zu verhängen. Seither dürfen anerkannte Flüchtlinge hier nicht mehr heimisch werden. Doch die bis dahin zugezogenen Menschen leben hier noch immer, die günstigen Wohnungen gibt es auch noch, und in jüngster Zeit sind sie begehrt vor allem unter osteuropäischen Neu-Bürgern, knapp 2000 von ihnen sind in den vergangenen vier Jahren gekommen. 6000 ehemalige Flüchtlinge, überwiegend Empfänger staatlicher Leistungen, und knapp 2000 zugezogene Ost-Europäer – „das gibt sozialen Sprengstoff“, berichtet der Oberbürgermeister.
Der Kern des Problems, die früheren Werkswohnungen für das Stahlwerk, wurden in den 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts errichtet. Nachdem die Preussag 1998 das Stahlwerk an das Land Niedersachsen verkaufte und der damalige Ministerpräsident Gerhard Schröder das als Musterbeispiel seiner wirtschaftspolitischen Kompetenz hatte feiern lassen, stieß die Preussag auch viele der alten Werkswohnungen ab. Die Käufer waren Hedge-Fonds, die ihre Aufgabe darin sahen, mit Aufkäufen und lukrativen Wiederverkäufen ihren Kapitalgebern hohe Renditen zu garantieren.
So stehen nun in Salzgitter-Bad, Steterburg und Lebenstedt teilweise denkmalgeschützte Werkssiedlungen, die in ihrer geschlossenen Struktur äußerlich harmonisch und heimelig wirken. Beim näheren Hinsehen dann nicht mehr. Insgesamt 3000 dieser Wohnungen stehen leer, viele der übrigen vergammeln und verfallen, denn die Eigentümer investieren nicht. Klingebiel hat als OB oft mit Vertretern der Eigentümer aus Schottland, Dänemark und anderen Ländern zusammengesessen. Er sprach über den Vorschlag, Teile der Gebäude zu Studentenwohnungen umzubauen. Doch das Interesse der Investoren hielt sich in Grenzen. „Oft war es so, dass dann nach ein paar Wochen die Nachricht kam, die Fonds hätten die Wohnungen schon wieder an neue Eigentümer weitergegeben.“
Andere Kommunen sind neidisch auf Salzgitter
Die ersten Überlegungen von Klingebiel, vorgetragen im Herbst vergangenen Jahres, sahen so aus: Die Stadt muss die leerstehenden 3000 Wohnungen kaufen, das kostet etwa 80 Millionen Euro. Noch einmal diese Summe sei nötig, um die Integration der Flüchtlingen in den betroffenen Stadtteilen langfristig zu organisieren – über Kindergärten, Schulen, Sprachförderung und Betreuung. Da die Stadt selbst kein Geld hat, sei man auf die besondere Hilfe und Unterstützung des Landes angewiesen. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) lässt seit Monaten keine Gelegenheit aus, sein eigenes Engagement für die Stadt zu betonen. So wird es auch kommenden Montag sein, wenn er vor Ort in Salzgitter auftritt und das Förderprogramm verkündet.
Wie aber soll dies aussehen? Die Frage hat in den vergangenen Monaten intern zu einigen Debatten geführt. Nicht nur manche Kommunalvertreter schauten neidisch auf Salzgitter, auch in der Landespolitik gab es lange unterschiedliche Vorstellungen und Wünsche. Für Klingebiel ist wichtig, dass die Stadt zunächst einige der leerstehenden Häuser erwirbt, dort investiert (etwa die Zusammenlegung zweier kleiner zu einer großen Wohnung oder der Anbau von Balkons) und neue, attraktive Wohnangebote schafft – notfalls aber auch unbewohnbare Unterkünfte abreißt. Auf diese Weise könne der Bildung von Slums vorgebeugt werden. Auch Investitionen in zwingend notwendige Angebote für Kinderbetreuung, Sprachförderung und Schulplätze, die gerade in Gebieten mit hohem Ausländeranteil umso nötiger sind, sollten hinzukommen.
Für Klingebiel ist klar, dass seine Stadt, die Wiege der niedersächsischen Industrie, auch Platz benötigt für neues Gewerbe, für neue Firmen und Fabriken. Manches geschieht hier schon, es vollzieht sich fast unbemerkt. Die Ortschaft Watenstedt, bis 1951 sogar Namensgeber der 1942 geschaffenen Stadt Watenstedt-Salzgitter war, zählt noch 418 Einwohner. Sie ist von mehreren Seiten heute schon umgeben von Industriegebieten, Wohnen wird dort seit 30 Jahren nur noch geduldet. Ein langfristiger Plan der Stadt sieht vor, die Einwohner Schritt für Schritt umzusiedeln. Dann wäre dort zunächst schon mal Platz für neues Gewerbe. (kw)