Eine der wichtigsten Personalien der niedersächsischen Justiz könnte in den nächsten Wochen zu einem Politikum werden. Die Nachfolge des Braunschweiger Generalstaatsanwalts Norbert Wolf muss geregelt werden, und noch ist nicht absehbar, wer für diese Position ausgewählt wird. In Regierungskreisen heißt es, die Sache habe eine „hohe Priorität“ und bleibe nicht allein dem Justizministerium überlassen. Auch die Staatskanzlei werde einbezogen.
Der Generalstaatsanwalt in Braunschweig ist Dienstvorgesetzter von 120 Staatsanwälten in der Region. Diese haben auch über etliche Anzeigen von Bürgern gegen den VW-Vorstand zu entscheiden, die der Führung des Unternehmens Untreue, Betrug und Marktmanipulation vorwerfen. In diesem Kreis der Beschuldigten ist auch der frühere VW-Chef Martin Winterkorn. Mehr als 30 Personen sollen sich im Visier der Staatsanwälte befinden, die Ermittlungen ziehen sich jetzt aber schon längere Zeit hin. Mit Blick auf die Frage, ob und wenn ja in welcher Form am Ende Anklagen erhoben werden sollen, spielt die Person des Generalstaatsanwalts eine nicht unwesentliche Rolle. Das gilt auch für die Intensität der Ermittlungen der Justiz.
Wie es heißt, geht Amtsinhaber Wolf am 30. April in den Ruhestand. Die Nachfolge hätte in ähnlich terminierten Fällen eigentlich schon geklärt sein sollen. Es kursieren in der Landesregierung bisher nicht bestätigte Vermutungen, wonach unter den Bewerbern auch die frühere Justiz-Staatssekretärin Stefanie Otte sein soll. Das ist aus zwei Gründen ungewöhnlich. Erstens war gemutmaßt worden, der bisherige Leiter der Abteilung I im Justizministerium, Detlev Rust, könne als Wolf-Nachfolger in Betracht kommen. Dies gäbe der neuen Justizministerin Barbara Havliza (CDU) die Möglichkeit, die Position der wichtigen ersten Abteilung neu zu besetzen. Zweitens hatte Otte in den Personalspekulationen seit Monaten keine Rolle mehr gespielt, weil die alte rot-grüne Landesregierung in ihrer letzten Sitzung im November 2017 schon eine neue Verwendung für die Staatssekretärin beschlossen hatte. Sie soll die Nachfolge des Ende Juli 2017 in den Ruhestand getretenen Celler Oberlandesgerichtspräsidenten Peter Götz von Olenhusen antreten. Zwei Mitbewerber, die bei der Bewerbung leer ausgegangen waren, hatten inzwischen Konkurrentenklagen angestrengt – beide waren damit aber in der ersten Instanz gescheitert, die nächste Instanz steht an. Möglicherweise hatte Otte aber auch schon vor der Entscheidung über die OLG-Stelle ihre Bewerbung für Braunschweig abgegeben.
Diese verzwickte Ausgangslage löst nun regierungsintern jede Menge Diskussionen aus: Manches spricht dafür, dass sich die Entscheidung über die OLG-Präsidentenstelle in Celle noch hinzieht. Falls die beiden Konkurrenten von Otte – Hannovers Landgerichtspräsident Ralph Guise-Rübe und Celles Generalstaatsanwalt Frank Lüttig – auch in der zweiten Instanz vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg verlieren sollten, könnte sich zumindest Guise-Rübe nicht geschlagen geben. Über eine Verfassungsbeschwerde von ihm wird spekuliert. Auf der anderen Seite eilt aber die Personalentscheidung zu der Wolf-Nachfolge in Braunschweig. Wenn Otte dort tatsächlich im Spiel sein, aber nicht von der Landesregierung gewünscht sein sollte, könnte sie theoretisch jede Personalentscheidung ihrerseits mit einer eigenen Konkurrentenklage verzögern. Ein Sprecher des Justizministeriums erklärte auf Rundblick-Anfrage, dass es unklar sei, ob schon am 1. Mai ein Wolf-Nachfolger in Braunschweig tätig werden könne: „Ob das geschehen kann, hängt von der Bewerberlage und vom Auswahlverfahren ab.“
So befindet sich die niedersächsische Justiz gegenwärtig in einer merkwürdigen Situation der Selbstblockade an zwei wichtigen Positionen: Sowohl die Stelle des OLG-Präsidenten in Celle als auch möglicherweise die des Generalstaatsanwalts in Braunschweig kann nicht zügig besetzt werden, weil sich mehrere Bewerber gegenseitig im Wege stehen. Über Otte heißt es, dass sie im Zweifel eher die Präsidentenstelle in Celle annehmen würde – sie wohnt dort, außerdem vertraute sie angeblich auf politische Zusagen. Bevor die alte rot-grüne Regierung in ihrer letzten Sitzung die damalige Staatssekretärin für das Amt auswählte, soll die CDU als neuer Regierungspartner der SPD eingebunden worden sein und zugestimmt haben, heißt es. Trotzdem waren anschließend zwei Konkurrentenklagen von Lüttig und Guise-Rübe eingereicht worden.Dieser Artikel erschien in Ausgabe #53.