8. Okt. 2025 · 
InterviewWissenschaft

„Wenn Deutschland sich behaupten will, muss es technologisch unabhängiger werden“

Gemeinsam mit Bundesforschungsministerin Dorothee Bär (CSU) treibt Niedersachsens Wissenschaftsminister Falko Mohrs (SPD) die „Hightech-Agenda“ voran. Worum geht es dabei?

Foto: Lada

Rundblick: Herr Minister, als Sie im Mai den Vorsitz der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern übernommen haben, erklärten Sie die „Hightech-Agenda“ zu einem der großen Themen Ihrer Amtszeit. Worum geht es da eigentlich?

Mohrs: Die „Hightech-Agenda“ entspringt dem schwarz-roten Koalitionsvertrag auf Bundesebene, den ich seinerzeit mitverhandelt habe. Wir wollen damit bestimmen, in welchen Technologiebereichen wir eine dringende Notwendigkeit sehen, dass Deutschland hier mehr investiert. Damit soll Deutschland technologisch eigenständiger, zukunftsfähiger und auch wettbewerbsfähiger werden. Neben der Förderung von Spitzenforschung geht es deshalb auch darum, in die Anwendung zu kommen, also den Transfer weiter zu verbessern. Die Künstliche Intelligenz spielt dabei als Megathema natürlich eine herausgehobene Rolle. An Themen wie der klimaneutralen Energieerzeugung oder der Zukunft der Mobilität sieht man zum Beispiel auch mit Blick auf Niedersachsen, welche Relevanz das für uns im Land hat. Wenn wir im Vergleich zu anderen Nationen aufholen wollen, müssen wir massiv investieren.

Rundblick: Die Agenda soll Deutschland unabhängiger machen. Warum ist das nötig?

Mohrs: In der Vergangenheit haben große Teile Deutschlands darauf vertraut, dass wir billige Energie aus Russland, billige Waren aus China und billige Sicherheit aus den USA bekommen. Nun sehen wir, dass all das ins Wanken gekommen ist. Russland ist schon lange kein Partner mehr, sondern inzwischen ein Gegner unseres Wertesystems. Auch bei China wissen wir nie, wie verlässlich sie am Ende sind. Und selbst der Verbündete, die USA, wird immer fragwürdiger unter einem Präsidenten Trump. Wenn wir uns als Deutschland und im Verbund mit den europäischen Partnern behaupten wollen, müssen wir in den zentralen Technologiebereichen vorankommen.

Foto: Lada

Rundblick: Die Agenda weist sieben Schlüsseltechnologien und fünf strategische Forschungsfelder aus. Was steuert denn Niedersachsen jetzt schon zu dieser Forschungsagenda bei?

Mohrs: Da gibt es mehrere Anknüpfungspunkte. So sind wir etwa beim Quanten-Computing zentraler Akteur in Deutschland. Wenn man herunterbricht, worum es bei der sehr komplexen Quantenphysik geht, sprechen wir darüber, sehr schnell sehr leistungsfähige Rechenoperationen durchführen zu können. Das greift beispielsweise auch in den Sicherheitsbereich hinein, weil ich damit beispielsweise in der Lage bin, Passwörter und andere Verschlüsselungen zu knacken. Wir sind aber auch in der Raumfahrt bemerkenswert dabei. Wir haben den großen Forschungsflughafen in Braunschweig, wo es eher um die Luftfahrt geht. Beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Trauen bei Munster geht es um Satelliten. Neben dem Sicherheitsbereich spielen in Niedersachsen auch die Mobilität, die Batterieforschung, die Energieerzeugung durch Sonne- und Windkraft sowie die Medizin eine große Rolle.

Rundblick: Mit der „Hightech-Agenda“ gibt die Politik schon sehr deutlich vor, in welche Richtung die Wissenschaft forschen soll, weil der Staat an der Anwendung ein Interesse hat. Sehen Sie darin einen Widerspruch zur Wissenschaftsfreiheit?

Mohrs: Nein, den sehe ich so nicht. Die Freiheit der Wissenschaft ist im Grundgesetz garantiert und bezieht sich richtigerweise darauf, dass wir als Politik nicht sagen, was ganz konkret erforscht werden muss oder auch nicht erforscht werden darf. Und wir sagen als Politik vor allem auch nicht, was dabei herauskommen muss. Aber dennoch hat Deutschland und die demokratisch legitimierten Organe wie der Bundestag und die Regierung das Recht zu sagen, wo sie einen Bedarf sehen, intensiver zu forschen. So gibt es etwa das politische Ziel nach klimaneutraler Mobilität – und gleichzeitig das legitime Interesse, die starke Automobilindustrie auch in zehn Jahren noch im Land zu haben. Deshalb wollen wir, dass in diesem Bereich die Forschung intensiviert wird, und setzen dafür entsprechende Anreize durch Forschungsprogramme. Die Hochschulen haben aber auch ihre Grundbudgets, bei denen die Politik nicht vorgibt, wofür genau sie verwendet werden. Es geht also beides, das ist kein Problem.

Foto: Lada

Rundblick: Im Herbst will die Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern und anderen Akteuren den weiteren Fahrplan für die „Hightech-Agenda“ festlegen. Wie kann der aussehen und welche Rolle spielen Sie dabei?

Mohrs: Es reicht nicht aus, dass die Politik ein Ziel definiert, ohne auch die Schritte dahin zu beschreiben. Deshalb finde ich es gut, dass Bundesforschungsministerin Dorothee Bär jetzt gemeinsam mit den Ländern eine Steuerungsgruppe aufbauen wird. Darin werde ich, weil ich die SPD-Wissenschaftsminister koordiniere, sehr sicher eine Rolle spielen. Es wird dann erforderlich sein, zu all den spezifischen Themen der Agenda herauszuarbeiten, wie dort im Konkreten mehr Souveränität gewonnen werden kann. Und letztlich wird es dann darum gehen, wie viel Geld in den einzelnen Themenbereichen zur Verfügung gestellt wird. Darüber entscheidet am Ende natürlich der Haushaltsgesetzgeber, in diesem Fall der des Bundes.

Rundblick: Sie haben kürzlich die Schwerpunkte Ihres Etatansatzes für 2026 im zuständigen Ausschuss des Landtags vorgestellt. Wo werden Sie Schwerpunkte in Niedersachsen setzen?

Mohrs: Zahlenmäßig liegen die ganz großen Schwerpunkte im Baubereich – und deshalb findet man die gar nicht alle in meinem eigenen Etat. Das sind vor allem die nächsten Bauabschnitte bei der Medizinischen Hochschule Hannover und der Universitätsmedizin Göttingen, mit denen wir in der Krankenversorgung, aber auch im Bereich Forschung und Lehre für weitere und dringende Entlastung durch Ersatzneubauten sorgen. Der Sanierungsbedarf ist riesig. Wir haben in dieser Legislaturperiode bislang richtigerweise viel Energie darauf verwendet, schneller zu werden, und haben auch schon ordentlich Zeit eingespart. In Hannover sind wir etwa ein Jahr schneller als geplant und in Göttingen liegen wir mitunter sogar fünf Jahre vor dem Zeitplan. 500 Millionen Euro wollen wir zudem in den allgemeinen Hochschulbau geben, weil wir sehen, dass auch dort der Sanierungsbedarf seit vielen Jahren enorm ist. Deshalb nutzen wir für diese dringend benötigten Investitionen die Möglichkeiten, die sich aus der Änderung des Grundgesetzes und mit dem Sondervermögen des Bundes ergeben. Die Schuldenaufnahme finde ich deshalb in Ordnung, weil es Investitionen in die Bildung und die Zukunftsfähigkeit des Landes sind. Darüber hinaus werden wir in Niedersachsen endlich einen Pflegestudiengang aufbauen, wir wollen in den Kulturbereich investieren und nicht zuletzt die Landeszentrale für politische Bildung stärken.

Rundblick: Zuletzt gab es in Niedersachsen mehrere Irritationen rund um Hochschulpräsidenten – an der Uni Göttingen, der Uni Vechta und an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Sehen Sie ein Strukturproblem, das angegangen werden muss?

Mohrs: Die drei besagten Fälle waren alle sehr unterschiedlich und überall befinden wir uns zum Glück inzwischen wieder auf einem guten Weg. Wir haben dort in durchaus schmerzhaften Diskussionen gute Lösungen gefunden. Dennoch müssen sich auch Hochschulen in Zukunft verändern. Gerade für sehr große Hochschulen ist die Frage einer strategischen Neuaufstellung nicht einfach zu bearbeiten. Unser Anliegen ist es, genau diese Strategiefähigkeit der Hochschulen zu stärken. Deshalb wollen wir im niedersächsischen Hochschulgesetz verankern, dass die Hochschulpräsidentin beziehungsweise der Hochschulpräsident in strategischen Fragen sehr viel deutlicher eine Linie vorgeben kann. Zudem überprüfen wir zurzeit die Regeln für die Abwahl von Hochschulpräsidentinnen und -präsidenten und suchen nach einer verfassungskonformen Alternative zum jetzigen Modell. Nach meiner Auffassung ist das etwas, wo eine Veränderung ganz gut sein kann.

Dieser Artikel erschien am 9.10.2025 in Ausgabe #177.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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