9. Jan. 2024 · 
Umwelt

Was nötig wäre, damit eine Verkehrswende gelingen kann

Nicht erst seit dem Aus für die Bundesförderung der Elektromobilität steht fest: Die Verkehrswende darf nicht nur eine Antriebswende sein. Dieser Satz ist in gewissen Kreisen inzwischen so etabliert wie einst der Ausruf „Atomkraft? Nein Danke!“. Auch Susanne Gerstner, Landesvorsitzende des BUND Niedersachsen, verwendet diesen Satz häufiger. Was steckt dahinter?

Der Umstieg auf Bus und Bahn könnte die Treibhausemissionen im Verkehrssektor erheblich verringern. | Foto: GettyImages/Mikis Fotowelt

Zunächst das Offensichtliche: Selbst dann, wenn künftig alle Fahrzeuge mit Elektromotor fahren würden, so die Argumentation der Umweltschützer, bräuchte man so viel mehr Windräder und Solaranlagen für die Erzeugung von grünem Strom, dass es auf diese Weise kaum wird klappen können mit der Mobilität der Zukunft. Diese muss also anders aussehen, aber wie? Beim „Umwelt-Talk“ des BUND Niedersachsen versuchte man vor einigen Wochen, die Chancen für die Verkehrswende auszuloten.

„Die Verkehrswende wird nicht leicht, denn sie berührt viele Bereiche unseres Lebens“, sagte Mobilitätsforscher Thorsten Koska vom Wuppertal-Institut. „Unser Verkehrssystem, wie es ist, ist nicht nachhaltig.“ Festmachen ließe sich dies an vielen Punkten, vor allem aber an der globalen Klimakrise. „Die Emissionen des Verkehrssektors stagnieren auf einem sehr hohen Niveau. Die einzigen Gewinne, die wir seit 1990 gemacht haben, sind erst seit der Corona-Pandemie passiert, als wir den Verkehr stark reduziert haben“, erläuterte der Forscher.

Luftverschmutzung, Verkehrslärm, Verkehrsunfälle und Flächenbedarf – vieles spräche für eine entschiedene Abkehr von diesem Kurs, doch die Beharrungskräfte sind ausgeprägt. Der eingeschlagene Pfad, der immer mehr Autoverkehr vorsieht und dazu führte, dass man in Niedersachsen auf 1000 Einwohner inzwischen 612 Kraftfahrzeuge zählt, wird nur schwer zu verlassen sein. Es sei aber nicht nur eine moralische Frage, die Treibhausgas-Emissionen zu verringern, sondern auch eine Frage der Transformation für die Industrie. „Denn nur wenn Deutschland Vorreiter ist, kann es Standards setzen, Schrittgeber und Taktgeber sein.“

Entscheidend für ein Gelingen sei nun, an alle Menschengruppen zu denken, sagte Koska. Was aber soll das heißen? Zunächst müsse man sich ein Bild von dem sozialen Gefüge der Verkehrsteilnehmer machen: So kämen Autos eher in wohlhabenden Familien vor, während ärmere Menschen stärker auf den ÖPNV angewiesen seien. Mobilität sei zudem vielfach auf Erwerbsökonomie ausgerichtet. Mobilität – ob mit dem Auto, dem Fahrrad oder dem ÖPNV – sei weniger praktisch für Frauen mit Kindern. Der Mobilitätsforscher leitet daraus ab, dass bei der Bepreisung der einzelnen Fortbewegungsformen dies alles berücksichtigt werden sollte. Ebenso müsse der ländliche Raum mitbedacht werden, der für gewöhnlich sehr viel schlechter am öffentlichen Personenverkehr teilnehmen kann.

Wo kann nun angesetzt werden? Der Forscher Koska skizziert verschiedene Ansätze:

Thorstan Koska | Foto: Wuppertal Institut

Zuhause bleiben

Das Verkehrsaufkommen insgesamt verringern zu wollen, sei „ein unheimlich dickes Brett“, sagt Koska. Schließlich gehe es hierbei durch Straßenbau, Zersiedlung und die internationalen Wertschöpfungsketten um einen etablierten Wachstumstreiber. Die Corona-Zeit habe jedoch gezeigt, dass da etwas möglich ist. Wie kann es also gelingen? Durch virtuelle Mobilität könne das Verkehrsaufkommen auf den Straßen stark verringert werden.

In der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, was alles möglich ist: Homeoffice und Online-Konferenzen statt Dienstreise, digitale Ämter und Lieferservices. „Aktuelle Studien zeigen, dass das Verkehrsaufkommen auch 2023 deutlich unter dem Vor-Corona-Niveau liegt.“ Auch diesen Ansatz könne man rechtlich untermauern, etwa durch ein Recht auf mobiles Arbeiten, sowie durch eine Förderung für Co-Working-Räume, die es attraktiv machten, anderswo zu arbeiten. Zudem könnte der Rebound-Effekt verhindert werden, indem die Pendlerpauschale abgeschafft oder gesenkt wird.

Wege verkürzen

Ein weiterer Aspekt, den der Wissenschaftler vorstellt, betrifft die Stadtplanung: die Stadt der kurzen Wege. „Paris macht es vor: Durch eine Verkehrserzeugungsabgabe wird dafür gesorgt, dass die Wege kürzer werden. Man hat die gleiche Mobilitätserfahrung, wenn der Supermarkt in fünf Minuten zu Fuß und nicht in 15 Minuten mit dem Auto zu erreichen ist.“ Zudem brauche es eine Reduzierung des Straßenneubaus und ein Moratorium für den Fernstraßenbau, meint Koska. „Wir brauchen die Fachkräfte sowieso an anderer Stelle, nämlich für den Schienennetzausbau.“

Mehr Bus und Bahn

75 Prozent der Verkehrsleistung wird mit dem Auto erbracht und über 90 Prozent der Treibhausgasemissionen des Mobilitätssektors kommen aus dem Personenkraftfahrzeug – „das geht viel effizienter mit Bus und Bahn“, sagt Koska. „Das bedeutet aber auch, dass wir Bus und Bahn massiv ausbauen müssen, und zwar nicht nur in den Kommunen, sondern auch in der Fläche.“ Streckenneubau, Ausweichgleise, Digitalisierung des Schienennetzes und ein europäisches Nachtschienennetz seien dafür nötig. Ebenso eine Planungsbeschleunigung und massive Erhöhung der Bundesmittel mit Priorisierung des Ausbaus, auch durch Personalpools auf Landesebene, listet Koska auf.

Der Umstieg auf Bus und Bahn könnte die Treibhausemissionen im Verkehrssektor erheblich verringern. | Foto: GettyImages/Mikis Fotowelt

„Wien zeigt, wie es funktionieren kann, Frankreich und Japan auch.“ In der Bundesrepublik habe das Deutschlandticket erste Wirkung gezeigt: Der Anteil von Bus und Bahn am Mobilitätsaufkommen sei um 2,5 Prozent gestiegen. Nun müsse nicht nur die Finanzierung für die Zukunft gesichert werden, sondern: „Günstige Tickets sind auch im Fernverkehr sinnvoll. Auch da muss es sich lohnen, wenn man allein unterwegs ist oder auch mit der ganzen Familie, nicht ins Auto zu steigen, sondern in den Zug.“

Sichere Radwege

Zum Verkehr der anderen Art gehört dann noch der Bereich der Nahmobilität, also der Fuß- und Radverkehr. „Das Netz muss so sicher sein, dass man da als Achtjähriger gut fahren kann. Es braucht sichere Kreuzungen, Vorfahrt an Ampeln, grüne Welle für den Radverkehr“, sagt der Wissenschaftler. „Wir brauchen sichere Radwege, die zum Teil auch baulich getrennt sind, und dafür brauchen wir rechtliche Regelungen, die es einfacher machen: Tempo 30 innerorts ist eine Möglichkeit, um vor allen Dingen den Radverkehr sicherer zu machen.“

Mobilität als Dienstleistung

Der Ausbau des Öffentlichen Personenverkehrs bringt allerdings nichts, wenn die Menschen aus Bequemlichkeit doch nicht umsteigen. „Man muss, ohne zum Autoschlüssel zu greifen, trotzdem von Tür zu Tür ein durchgeplantes Mobilitätsangebot vorfinden“, schlussfolgert Koska. Auf der ersten und der letzten Meile müsse deshalb der öffentliche Verkehr ergänzt werden durch eine Kombination aus Bus und Taxi, ein On-Demand-Verkehr, der die Lücken zum regulären Bus- und Schienennetz schließt.

Unterschiedliche Bevölkerungsgruppen nutzen unterschiedliche Verkehrsmittel. Das muss bei der Bepreisung bedacht werden. | Foto: GettyImages/Gremlin

„Das wichtige und sozial spaltende Argument, wir können nicht, weil wir im ländlichen Raum sind, und Verkehrspolitik wird ja für Städter gemacht, könnte dadurch entkräftet werden.“ An Bahnhöfen müsse es Mobilitätsstationen geben, an denen leicht vom einen zum anderen Fahrzeug gewechselt werden könne, bundesweit einsetzbare Apps sollten zudem die Nutzung etwa verschiedener Sharing-Angebote erleichtern.

Privilegien abschaffen

Koska zeichnet aber keine rosa-rote Welt, in der morgen alle mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren, weil es so schön ist. Er bekennt auch klar: „Das Ganze funktioniert nur, wenn wir nicht nur den Umweltverbund attraktiver, sondern zeitgleich den Autoverkehr weniger attraktiv machen – also: Privilegien abbauen.“ Es geht ihm um Privilegien im Straßenraum, beim Tempo, bei den Preisen für Parkraum. „Dadurch schafft man Lebensräume, wie in Barcelona mit den Superblocks oder eben in Paris, die zeigen: Das mag zwar eine Zusatzbelastung sein, wenn ich ein Auto habe, aber es ist zeitgleich ein Zuwachs an Lebensqualität vor Ort, sodass es von der Bevölkerung akzeptiert wird.“ Gesehen habe man das etwa auch in Stockholm, wo die City-Maut nach der Probezeit eine hohe Akzeptanz erfahren habe, nachdem die Leute gesehen hätten, dass die Autostaus zurückgingen.


Dieser Artikel erschien am 10.1.2024 in Ausgabe #3.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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