Was Niedersachsens Agrarpolitiker auf einer Reise nach Brüssel noch lernen konnten
Der Zeitpunkt war gut gewählt. Als der Agrarausschuss des niedersächsischen Landtags in der vergangenen Woche nach Brüssel reiste, waren die Eindrücke vom Trubel rund um die gescheiterte Verordnung zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln noch frisch. Zudem berieten die EU-Mitgliedstaaten und das Parlament just in der ersten Nacht des Aufenthalts der Abgeordneten in der „Hauptstadt Europas“ über die sogenannte Industrieemissions-Richtlinie, die überraschenderweise auch Auswirkungen auf die Landwirtschaft haben wird.
An Themen sollte es also nicht mangeln, über die die 14 Mitglieder des Agrarausschusses mit Mitarbeitern der EU-Kommission sowie Abgeordneten des Europaparlaments ins Gespräch kommen konnten. Ob Wolf oder Moorschutz, Pestizideinsatz oder Krabbenfischerei – so vieles, was Niedersachsens Landwirte betrifft, wird nicht zuerst in Hannover, sondern in den verschiedenen Institutionen der Europäischen Union verhandelt.
„Entweder stirbt das Dossier einen langsamen Tod der Nichtbearbeitung, oder die Kommission zieht es zurück.“
Einen ersten Eindruck davon konnten die Parlamentarier am Dienstagnachmittag im Gespräch mit Tiemo Wölken, dem SPD-Europaabgeordneten aus Osnabrück, gewinnen. Dieser berichtete in den Räumen der niedersächsischen Landesvertretung, weshalb er den Ausgang der Verhandlungen über die „Sustainable Use Regulation“ (kurz: SUR), also die Verordnung zur Verminderung von Pflanzenschutzmitteln, bedauerlich findet. Erst in der Woche vor der Ausschussreise war die Grünen-Europaabgeordnete Sarah Wiener im EU-Parlament mit ihrem Antrag zur SUR gescheitert. Trotz vorheriger Beratung im Fachausschuss stand die Mehrheit der Abgeordneten im Plenum nicht hinter ihrer Position. Im Plenarsaal in Straßburg, wo das Parlament seinen offiziellen Sitz hat, waren die Reihen nicht so geschlossen, wie man angenommen hatte.
In der CDU hatte das Scheitern des Antrags für Jubel gesorgt, bei den Grünen für Kritik. Wölken bezeichnet das Anliegen nun als „politisch faktisch erledigt“. „Entweder stirbt das Dossier einen langsamen Tod der Nichtbearbeitung, oder die Kommission zieht es zurück.“ Der SPD-Politiker hätte sich statt dieses totalen Endes für den Verordnungsvorschlag eine Rücküberweisung an den Umweltausschuss gewünscht. „Ein Totalverbot ist schlicht der falsche Weg. Dass es nun jedem Mitgliedstaat frei überlassen bleibt, alles oder nichts zu machen, halte ich aber auch für falsch“, erklärte Wölken. Auf diese Weise droht nun nämlich ein Wettbewerbsnachteil für die Landwirte in Niedersachsen, da hierzulande über den „niedersächsischen Weg“ bereits Reduktionsziele von Landwirtschaft und Umweltverbänden gemeinsam vereinbart worden sind. Wölken sieht diesen partnerschaftlichen Ansatz aus Niedersachsen als Modell, das sich auch europaweit hätte durchsetzen können. Den niedersächsischen Reduktionszielen, meint er, hätte man in einer weiteren Beratung näherkommen können. Nun passiert dort jedoch erst einmal: nichts.
Bei der EU-Gesetzgebung sitzen immer drei Parteien am Verhandlungstisch
Einen Schritt weiter war Tiemo Wölken derweil am darauffolgenden Morgen. Noch nach dem Gespräch mit den Abgeordneten aus Niedersachsen ging es für die Sozialdemokraten nämlich zu einem Verhandlungsformat, welches die Pflanzenschutzverordnung gar nicht mehr erreicht hat: zum Trilog. Das Gesetzgebungsverfahren der Europäischen Union unterscheidet sich deutlich von dem auf nationaler Ebene oder in den Bundesländern. Initiativen können nur von der EU-Kommission kommen – jener Behörde, die über die Einhaltung der EU-Verträge zu wachen hat und an dessen Spitze derzeit die Niedersächsin Ursula von der Leyen (CDU) steht. Über die Vorschläge der Kommission beraten dann zunächst die beiden Gesetzgebungsorgane der EU separat: das Parlament und der Rat. In letzterem sind die Mitgliedstaaten über ihre Ständigen Vertreter sowie deren Attachés organisiert und beraten mit Weisung aus der jeweiligen Hauptstadt parallel zum Parlament über alle Initiativen. Erst wenn beide Seiten ihre eigenen Positionen gefunden haben, treten sie in Verhandlungen miteinander. Dieses Verfahren, an dem dann Kommission, Rat und Parlament beteiligt sind und das gut und gerne zwei Jahre dauern kann, ist der Trilog.
In einer solchen Trilog-Runde saß also auch Tiemo Wölken, als es um das „Carbon Removal Framework“ ging, ein Vorhaben zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen. Im selben Format wurde auch die Industrieemissions-Richtlinie verhandelt. Als am Mittwochmorgen die Ergebnisse dieser nächtlichen Einigung die Runde machten, war die Aufregung seitens der CDU-Agrarpolitiker aus Niedersachsen groß. Die Richtlinie, mit der die EU die Schadstoffemissionen aus Industrieanlagen wirksamer begrenzen möchte, betrifft dann ab einer bestimmten Größe auch landwirtschaftliche Betriebe. Zwar haben sich die EU-Mitgliedstaaten und das EU-Parlament darauf verständigt, die Rinderhaltung komplett auszuklammern. Für Schweinehalter fürchtet man nun allerdings härtere Regeln. Grund dafür wären dann nicht nur die Grenzwerte – für Geflügelbetriebe sollen diese bei 300 Großvieheinheiten für Legehennen und 280 für Broiler liegen, in der Schweinehaltung liegt der Grenzwert bei 350 Großvieheinheiten bei Mastschweinen. Allein dadurch bedeuteten die Regeln bereits eine Verschärfung der Bemessungsgrenze im Vergleich zum Bundesimmissionsschutzgesetz. Härter träfe die Schweinehalter aber womöglich, dass sich die Festlegung einer Großvieheinheit unterscheiden könnte. Aus Sicht der Betriebe steht zu befürchten, dass auf dieser Grundlage bereits Anlagen mit 1050 Plätzen unter die strengeren Restriktionen fallen würden. An dieser Stelle herrscht noch Durcheinander: Wie viele Schweine als sogenannte Großvieheinheit gelten, wird in Deutschland anders berechnet als in Spanien – und in der EU-Kommission wiederum ganz anders.
Emissions-Richtlinie der EU verunsichert die Schweinehalter in Niedersachsen
Was kann da nun helfen, damit es keine uneinheitlichen Auslegungen gibt? Eine erste Antwort darauf lieferte Lena Düpont, CDU-Europaabgeordnete aus Gifhorn. Zum einen müssen Rat und Parlament der Einigung jetzt noch zustimmen. Was dann den Berechnungsschlüssel betrifft, müsse zum anderen die nationale Umsetzung in den Blick genommen werden. Hier könnte ein „delegated act“ für eine Vereinheitlichung sorgen, erläuterte sei. Zu Deutsch ist das so viel wie eine Verwaltungsvorschrift, die EU-weit zu einer einheitlichen Auslegung der Brüsseler Regelungen führt. Düpont konnte den Abgeordneten unterdessen noch aus einer anderen Verhandlungsrunde berichten. Dabei ging es um das „Nature Restoration Law“, also das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur. Ziel dieser EU-Vorgabe soll es sein, 20 Prozent der Land- und 20 Prozent der Meeresfläche eines jeden Mitgliedstaates wieder in seinen ursprünglichen Zustand zu versetzen – oder ihn zumindest nicht weiter zu verschlechtern.
Düpont erklärte den Abgeordneten nun, dass es innerhalb der parlamentarischen Beratung gelungen sei, die Berücksichtigung des Faktors Ernährungssicherheit in das Gesetz hineinzuverhandeln. So soll sichergestellt werden, dass auch künftig noch auf den betroffenen Natura-2000-Flächen eine landwirtschaftliche Nutzung möglich bleibt, was andernfalls womöglich auf 50 Prozent der Fläche Niedersachsens verboten gewesen wäre. Insgesamt habe man „die Mechanismen vom Kopf auf die Füße gestellt“, erzählte Düpont. Auch über das Referenzjahr hat man verhandelt, denn die Abgeordneten warfen die Frage auf, warum ausgerechnet das Jahr 1950 den Zeitpunkt markieren soll, an dem die Natur in besonders schützenswerter Verfassung gewesen sein soll. Die Trilogverhandlungen sind hier nun abgeschlossen, jetzt müssen Parlament und Rat jeweils noch zustimmen, vermutlich im Februar.
Die andiskutierten Themen zeigen: Wenn die Nachricht über eine Einigung in Brüssel erst einmal Niedersachsen erreicht hat, dann ist es in der Regel schon zu spät, um daran noch etwas ändern zu können. Deshalb kann es nicht schaden, wenn nicht zuletzt in der Agrarpolitik das Verständnis über die Entscheidungsprozesse der Europäischen Union und die Kenntnis über die verhandelten Themen ein besseres werden. Wie dieser Austausch über das, was in Brüssel passiert, intensiviert werden kann, bleibt die unbeantwortete Frage. Schaffen das die EU-Abgeordneten, die 42 Sitzungswochen im Jahr haben, oder ist das vielleicht die Aufgabe der Landesvertretung? Vielleicht müssen aber auch die Medien noch genauer hinschauen, welche Entscheidungen sich fernab von Hannover anbahnen.
Dieser Artikel erschien am 07.12.2023 in der Ausgabe #214.
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