Der Ruf der Kuh scheint ganz schön ramponiert: Die Gülle verschmutzt die Umwelt, das Methan erhitzt die Atmosphäre und dann fressen die Wiederkäuer dem Menschen auch noch sein gesundes Essen weg. Prof. Wilhelm Windisch von der Technischen Universität München kennt all diese Kritikpunkte und bezeichnet sie lieber als „Narrative“. Beim Grünlandtag der Landwirtschaftskammer Niedersachsen hat er kürzlich versucht, diesen Globalerzählungen zur Kuh ein paar Fakten entgegenzusetzen, die den Nutztierhaltern hierzulande gut gefallen haben dürften.

Mit Blick auf den Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung im Bund habe er sich schon gefragt, ob die Nutztierhaltung in Deutschland überhaupt noch eine Zukunft habe. „Müssen wir jetzt alle Veganer werden?“, fragt er mit leichter Ironie. Seine Antwort ist dabei schon klar: „Natürlich brauchen wir die Nutztierhaltung noch.“ Und dennoch fühle sich die Branche „mit dem Rücken an der Wand“. „Wiederkäuer erscheinen auf den ersten Blick ineffizient und umweltschädlich. Sie sind jedoch die Basis einer nutzbringenden Kreislaufwirtschaft“, sagt Prof. Windisch. Wie meint er das? Man müsse zunächst begreifen, dass die Landwirtschaft an sich keine Lebensmittel erzeugt, sondern Biomasse. Und wie aus Biomasse schließlich Nahrung wird, das sei die spannende Frage.
Zunächst beschreibt der Forscher die Herausforderung, vor der die Landwirtschaft aber auch die gesamte Gesellschaft derzeit steht: Die landwirtschaftliche Nutzfläche wird bedrohlich knapp. Waren es 1970 noch 3800 Quadratmeter, die weltweit pro Kopf für die Landwirtschaft zur Verfügung gestanden haben, seien es derzeit nur noch 2400 Quadratmeter. Perspektivisch werde diese Fläche immer weiter schrumpfen, bald sollen es nur noch 1500 Quadratmeter sein.
Die Frage ist also, wie man diese Flächen optimal nutzt, damit möglichst viel Nahrung für möglichst viele Menschen dabei erzeugt werden kann. Die einen mögen nun dafür plädieren, die Flächen für die Produktion von veganen Lebensmitteln zu verwenden. Denn jedes Tier, das Fleisch, Eier oder Milch produziert, muss schließlich gefüttert und getränkt werden. Weltweit werden über drei Viertel der Soja- und ein Drittel der Getreide- und Mais-Ernte verfüttert. Da bekennt sogar Prof. Windisch: „Es ist schon so, dass Nutztiere den Menschen das Essen wegfressen.“
Allerdings relativiert er diese pauschale Behauptung: „Was von dem, was auf einer landwirtschaftlichen Fläche wächst, ist denn essbar?“ Der Forscher lädt dazu ein, genau hinzusehen, dann würde man ja feststellen, dass viele Bestandteile nicht essbar seien – zumindest nicht für den Menschen. Für jedes Kilo veganem Nahrungsmittel entstünden vier Kilo nicht-essbare Biomasse, rechnet der Wissenschaftler vor. Diese Biomasse, die auf den Feldern heranwächst, müsste nun sinnvoll wieder in den landwirtschaftlichen Kreislauf eingebunden werden, meint Prof. Windisch und zeigt drei Wege auf, wie dies passieren könne.
Man könnte die Biomasse-Reste einfach direkt aufs Feld aufbringen, was allerdings zu großen Verlusten führen würde. Prof. Windisch nennt dies die vegane Variante. Oder man könnte die Biomasse zu Biogas vergären – „aber Biogas kann man nicht essen“. Oder aber, und dafür macht sich der Professor stark: Man könnte die Biomasse auch an Nutztiere verfüttern – die klassische Veredelung, aus Gras wird Fleisch. Nicht-essbare Biomasse sollte lieber an Nutztiere verfüttert werden, als sie verrotten zu lassen, denn dadurch würden dieselben Emissionen verursacht – nur ohne die Produktion von Lebensmitteln.
„Nutztiere fördern die Pflanzenproduktion und erzeugen zusätzliche Lebensmittel.“
Dass Kühe den Menschen das Essen wegfressen, stimme also doch nicht, denn der Mensch kann kein Gras essen und die Grünlandflächen lassen sich nicht allesamt zu Ackerflächen umwidmen. Prof. Windisch meint, die Kuh sei prädestiniert dafür, nicht-essbare Biomasse zu verwerten. „Nutztiere fördern die Pflanzenproduktion und erzeugen zusätzliche Lebensmittel“, argumentiert Prof. Windisch. Bei der Produktion veganer Lebensmittel entstünden große Mengen an Tierfutter – nicht-essbare Biomasse, die verfüttert werden kann und sollte. Durch eine derartige Kaskadennutzung werde aus derselben Menge Biomasse das Maximum an Nahrung rausgeholt. „Vegane Produkte sind keine Alternative, sondern synergistische Partner von Nutztieren“, sagt er. Die ohnehin vorhandene Biomasse an Nutztiere zu verfüttern sei zudem klimaneutral.

Aber wie ist es denn um die Klimabilanz der Wiederkäuer bestellt. Dabei plädiert Prof. Windisch für eine genaue Einordnung. „Methan ist hochwirksames Treibhausgas“, stellt er zunächst klar. Allerdings mache Methan nur 6,7 Prozent der Treibhausgas-Belastung in der Atmosphäre aus, 3,2 Prozent stammten von Nutztieren. Zudem sei Methan deutlich kurzlebiger als etwa Kohlenstoffdioxid. „Ein Kuh-Rülpser ist nach 12 Jahren abgebaut“, sagt er und meint, dass dies aufgrund der Betrachtung der jährlichen Emissionen dazu führe, dass der kumulative Bedeutungszuwachs von CO2 unterschätzt und der von Methan überschätzt werde.
Aber was ist mit den schon genannten Mengen von Soja, Getreide und Mais, die an die Wiederkäuer verfüttert werden? Prof. Windisch erklärt, dass Wiederkäuer erst bei hoher Leistung in Nahrungskonkurrenz zum Menschen geraten. Sein Modell einer landwirtschaftlichen Kreislaufwirtschaft bedeutete eine Tierproduktion ohne Nahrungskonkurrenz. Windisch setzt sich für einen Paradigmenwechsel ein: Produktion dürfe nicht mehr linear gedacht werden. Wiederkäuer seien dabei ein elementarer Bestandteil der Kreislaufwirtschaft aus Landwirtschaft, Lebensmittelindustrie und Handel.
Das künftige Ziel müsse es sein, eine Standort-angepasste Kreislaufwirtschaft im regionalen Verbund zu etablieren, meint er. Perspektivisch spricht er sich deshalb dafür aus, kein Futter zu verschwenden, sondern vielmehr darauf zu achten, optimiert zu füttern: kein Überschuss, aber auch kein Mangel an Nährstoffen. Ein Zufüttern von Kraftfutter hält Windisch auch künftig für notwendig, um eine optimale Verwertung der nicht-essbaren Biomasse sicherstellen zu können.

Ein Herunterfahren der Nutztierhalten ginge zwar, ganz auf sie zu verzichten, hält er aber für falsch. Nutztiere nur noch mit nicht-essbarer Biomasse zu füttern, würde zu enormen Wohlstandseinbußen führen: Eier gibt es dann für den Durchschnittsbürger nur noch ein paar Mal im Jahr und den Gockel isst nur noch der reiche Fürst – wie früher. Das sollte also nicht das Ziel sein, meint Prof. Windisch. Die Frage, die unbeantwortet im Raum stehen bleibt, ist bloß diese: Wo ist das richtige Gleichgewicht? Wie viele Nutztiere werden benötigt, wann sind es zu viel und wann zu wenig? Die Antwort kann nach Windischs Kreislauf-Modell wohl nur kleinräumig beantwortet werden.