8. Sept. 2022 · P und P

Warum ein CDU-Mann noch nicht in den Rechnungshof gewählt werden kann

Die Sache war längst „in trockenen Tüchern“, wie man zu sagen pflegt. Landesrechnungshof-Präsidentin Sandra von Klaeden hatte frühzeitig mit Staatskanzlei-Chef Jörg Mielke gesprochen, das Auswahlverfahren war nach einer Ausschreibung abgeschlossen worden, der Senat des Rechnungshofs war informiert – und die nötige B6-Stelle war vom Haushaltsausschuss des Landtags auch schon freigegeben worden. So schien am Montag dieser Woche alles klar zu sein für einen bevorstehenden Beschluss des Landtags, den bisherigen Wirtschafts-Staatssekretär Berend Lindner (CDU) zum neuen Senatsmitglied des Landesrechnungshofs (LRH) zu wählen. „Einstimmig“, heißt es, sprachen sich in einem Umlaufbeschluss die Minister bis Dienstagabend dafür aus. Dann aber folgte ein Eklat: Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) persönlich, der im Politikjournal Rundblick von der Personalie las, stoppte Mittwochmorgen eilig das Verfahren und pfiff seine eigene Staatskanzlei zurück. Plötzlich seien „beamtenrechtliche Probleme“ aufgetreten, hieß es aus der Regierungszentrale. Und die Regierungssprecherin erklärte, nach Weils Auffassung solle jetzt doch lieber erst der neugewählte Landtag in der kommenden Wahlperiode über den Vorschlag befinden.

Berend Lindner | Foto: MW

Beamtenrechtliche Probleme? Die Vorlage für den Kabinettsbeschluss, merkwürdigerweise geprüft und gebilligt von keiner anderen Behörde als der Staatskanzlei selbst, sah folgenden Beschlussvorschlag vor: „Ernennung des Staatssekretärs Dr. Lindner (Besoldungsgruppe B9 mit Amtszulage), Wirtschaftsministerium, zum Mitglied des Landesrechnungshofs – vorbehaltlich der Zustimmung des Landtags gemäß Artikel 70 Absatz 2 der Verfassung.“ Kolportiert wurde am Mittwoch und Donnerstag, man müsse dies wohl so verstehen, dass Lindner seine B9-Stelle mitnimmt in die neue Funktion als Mitglied des Rechnungshofs. Dann hätte er quasi eine Position inne, die drei Besoldungsstufen über der eigentlich dafür vorgesehenen liegt. Derlei Vermutungen gipfelten in einer Formulierung im „Weser-Kurier“: „Lindner wollte offenbar – und das mit dem Segen seines Chefs und Wirtschaftsministers Bernd Althusmann (CDU) – seine jetzige B9-Stufe auf den neuen Posten übertragen lassen.“ Drohte also tatsächlich die Gefahr einer Luxus-Beförderung in CDU-Kreisen, und das wenige Wochen vor der Wahl?

Foto: Niedersaechsische-Staatskanzlei/Holger Hollemann

Bei näherer Betrachtung zerplatzen diese Spekulationen allerdings wie Seifenblasen. Zwar wäre es durchaus möglich gewesen, Beamte in andere Verwendungen zu versetzen unter Mitnahme ihrer bisherigen Besoldungsstufe. Dass dies Staatssekretäre betrifft, die an der Spitze der Beamtenhierarchie stehen, kommt indes eher selten vor. In diesem Fall allerdings hätte es gar keine Basis für die Weiterbezahlung von Lindner nach B9 gegeben – und das aus mehreren Gründen. Zum einen hatte der Rechnungshof nach Rundblick-Informationen als Vorbedingung für Lindners Wechsel seinen vorzeitigen Ruhestand als Staatssekretär und dann die folgende Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit vorgeschlagen. Damit war aus Rechnungshof-Sicht klar, dass es nicht um eine Versetzung gehen konnte, die eine Fortdauer der B9-Bezüge ermöglicht hätte, sondern um sein Ausscheiden im Ministerium und seinen Wiedereinstieg als Ministerialdirigent im Rechnungshof – natürlich auf Basis der B6-Besoldung. In der Beschlussvorlage für das Kabinett war dieser Zusammenhang nicht ausdrücklich erwähnt worden, und auch die geplante Ernennung zum Ministerialdirigenten fehlte in der dortigen Formulierung. Allerdings wird durch den Hinweis „vorbehaltlich der Zustimmung des Landtags“ doch einiges deutlich. Da nämlich der Landtag das neue Rechnungshof-Mitglied wählen muss und dafür nur die freie B6-Stelle zur Verfügung steht, kann es eine Versetzung auf diese Position im klassischen Sinn gar nicht geben. Verwiesen wird in der Kabinettsvorlage auch auf Artikel 70 der Verfassung. In diesem Artikel ist von einem Ausführungsgesetz die Rede, und in diesem Gesetz steht ausdrücklich, dass die Rechnungshof-Senatoren „Beamte auf Lebenszeit“ sein müssen. Damit wäre die Versetzung eines Staatssekretärs auf eine solche Stelle ausgeschlossen.

Wusste der Ministerpräsident mehr als das restliche Kabinett?

Wenn das also im Grunde alles problemlos ist und alle Minister den Umlauf-Beschluss mit Lindners Ernennung schon abgesegnet hatten, warum grätschte dann der Ministerpräsident am Mittwoch, ganz zum Schluss, noch dazwischen und machte die Vorbereitungen zunichte, in die auch schon die Landtagsfraktionen eingebunden waren? Verfügte Weil über beamtenrechtliche Erkenntnisse, die den anderen Mitgliedern und Mitarbeitern der Landesregierung verborgen geblieben waren? All dies bleibt unklar. Merkwürdig ist aber, dass die Staatskanzlei, geleitet vom Weil-Vertrauten Jörg Mielke und ausgestattet mit einem eigenen Rechtsreferat, die Kabinettsvorlage bis zu einer Entscheidung des Kabinetts durchgewinkt hatte. Die Zuständigen in Weils Umfeld, die für juristische Fachfragen zuständig sind, hatten also zunächst keine Bedenken gesehen. Das nährt nun den Verdacht, dass am Ende womöglich gar keine beamtenrechtlichen Fragen den Ausschlag für Weils Stopp-Entscheidung gegeben haben könnten, sondern politische. Immerhin handelt es sich bei Lindner um den wichtigsten Beamten von Weils Herausforderer Bernd Althusmann. Dass nun ausgerechnet dieser die Umgebung von Althusmann verlässt, und dieser Umstand erst viereinhalb Wochen vor der Landtagswahl bekannt wird, scheint ohnehin eine Kuriosität zu sein. Nicht wenige sehen darin ein schlechtes Omen für die CDU, wenn sich derjenige um einen neuen Job bemüht, der nach Lage der Dinge im Fall eines CDU-Wahlsieges am 9. Oktober die erste Wahl für das Amt des Chefs der Staatskanzlei geworden wäre. Aus Sicht eines Wahlkampftaktikers der SPD ergibt es also durchaus Sinn, die personellen Veränderungen im Ministerium des Spitzenkandidaten Althusmann einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen – was nun durch Weils Schritt zwangsläufig geschieht.

Allerdings bleibt dieses Vorgehen für den Ministerpräsidenten selbst nicht ohne Risiko. Immerhin offenbaren diese Vorgänge auch zumindest ein Kommunikationsdefizit in der Staatskanzlei. Wenn es wirklich ernsthafte „beamtenrechtliche Probleme“ gäbe, hätte die Staatskanzlei den Beschlussvorschlag dem Kabinett gar nicht vorlegen dürfen.

Dieser Artikel erschien am 9.9.2022 in Ausgabe #157.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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