9. Juli 2018 · 
Kommentar

Warum die neuen Vorwürfe schlecht für das Image von Pistorius sind

Darum geht es: Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius wird beschuldigt, vor einem Jahr eine brisante E-Mail mit Hinweisen auf die Verfehlungen in der Bremer Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ignoriert zu haben. Dazu ein Kommentar von Klaus Wallbaum. In der Sommerzeit mutieren manchmal Mücken zu Elefanten. Das ist eines der Gesetze der Medien, dass in nachrichtenarmen Wochen einige Vorgänge eine mediale Aufmerksamkeit erreichen, von denen sonst, in ereignisreicheren Phasen, kaum Notiz genommen wird. Ein Opfer dieser Regel scheint jetzt Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius zu werden. Der an ihn gerichtete Vorwurf, vor gut einem Jahr eine E-Mail mit brisanten Hinweisen auf die dann erst Monate später bekannt gewordenen Missstände in der Bremer BAMF-Außenstelle ignoriert zu haben, kann für Pistorius trotz aller Aufregung nicht wirklich zur politischen Bedrohung werden. Denn erstens war er als niedersächsischer Minister für diese Zustände keineswegs verantwortlich, es war Sache des Bundes. Und zweitens hatte Pistorius nach Hinweisen des hannoverschen Regionspräsidenten Hauke Jagau schon ein Jahr zuvor auf Unregelmäßigkeiten in der BAMF-Außenstelle aufmerksam gemacht – und zwar gegenüber dem damaligen Leiter des Bundesamtes, Frank-Jürgen Weise. Niedersachsens Innenminister kann also mit Fug und Recht behaupten, zum Zeitpunkt des Empfangs der brisanten Hinweise seiner Pflicht schon genüge getan zu haben – er hatte ja bereits lange zuvor Kenntnisse über Fehler in Bremen an die Zuständigen weitergegeben, und zwar ohne großes öffentliches Getöse. Dass der SPD-Politiker nun nach dem Bericht in der aktuellen „Bild am Sonntag“ doch unter Druck gerät, ist allerdings keineswegs nur den Regeln des Medienbetriebes geschuldet. Ärgerlich ist es für ihn aus mehreren Gründen, denn es werden Schwächen in seinem eigenen Politik- und Führungsstil deutlich, die Pistorius, der so gern unangreifbar wirken möchte, in keinem guten Licht erscheinen lassen. Da ist zum einen seine Aussage, die E-Mail mit dem Dossier über die Bremer Zustände auf seinem Handy im Urlaub erhalten und dann an sein Büro weitergeleitet zu haben. Pistorius sagt, dass eigentlich geregelt sei, ihm solche E-Mails dann später, nach der Rückkehr aus dem Urlaub, direkt wieder vorzulegen. Dies sei hier aber nicht geschehen – und wer verantwortlich für das Unterlassen ist, sei auch nicht zu klären, da der Mail-Verkehr inzwischen schon gelöscht sei. Die Opposition im Landtag zweifelt diese Darstellung an. Trotzdem kann sie stimmen, denn die E-Mail enthielt Hinweise auf Vorgänge, für die das niedersächsische Innenministerium im engeren Sinne nicht zuständig war, eine Nicht-Beachtung wäre also nach den Verwaltungsregeln nicht unüblich gewesen. Dass das Dossier gleichwohl politisch brisant war und allein deshalb nicht einfach hätte gelöscht werden dürfen, steht allerdings dagegen. Die Frage drängt sich auf, ob im Innenministerium der Umgang mit brisanten Informationen optimal geregelt ist – oder ob es Lücken und Versäumnisse gibt, die bei anderen an den Minister im Urlaub gerichteten Informationen, etwa über die Sicherheitslage, verheerende Auswirkungen haben könnten. In diesem Fall ging es um den Vorwurf an die Bremer BAMF-Außenstelle, in hunderten Fällen Menschen Asyl gewährt zu haben, die diesen Anspruch nicht hätten erfüllt bekommen dürfen, und um die merkwürdige Kooperation zwischen bestimmten Anwälten und der Behörde in Bremen. Der Weg, über den der Fall 2017 an Pistorius herangetragen wurde, lässt auf eine Verbindung zum Wahlkampf schließen – der niedersächsische Innenminister war im Sommer 2017 quasi der Schatten-Innenminister des SPD-Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl, Martin Schulz, und der Informant aus Bremen hatte sich erst an eine SPD-Bundestagsabgeordnete gewandt, die wiederum Pistorius eingeschaltet hatte. War der Sinn dieser Aktion womöglich, der SPD im Bundestagswahlkampf Munition gegen den damals christdemokratischen Bundesinnenminister zu verschaffen? Wenn das so gewesen sein sollte, dann hätte Pistorius streng genommen die Informationen gar nicht annehmen dürfen – er hätte den Tippgeber an die Gremien der SPD verweisen müssen. Schon gar nicht hätte er den eigenen Behördenapparat im Ministerium damit betrauen dürfen. Das sind nun keine dramatischen Fehler, aber es sind Fehler. Sicher ist Pistorius nicht der einzige, dem so etwas wiederfährt. Aber es trifft hier einen, der der Anspruch hat, ganz besonders korrekt zu agieren. Noch etwas kommt hinzu: Pistorius liebt in der Öffentlichkeit die klare Ansage, er geht keiner Konfrontation aus dem Weg – ob es die AfD im Landtag ist, die er mit Vorliebe attackiert, oder auch der Bundesinnenminister Horst Seehofer von der CSU, der in den vergangenen Monaten zu seinem bevorzugten Sparringspartner geworden ist. Als in den vergangenen Monaten Nachlässigkeiten des Bundesinnenministeriums bekannt wurden, weil die zuständigen Stellen viel zu langsam und zögerlich auf die Missstände reagierten, war Pistorius einer von denen, die sich öffentlich am lautesten über die Versäumnisse beschwerten. Wie glaubwürdig ist der Innenminister jetzt, wenn klar wird, dass auch er schon frühzeitig über die Vorgänge informiert war, ohne gehandelt zu haben? Mail an den Autor dieses Kommentars
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #129.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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