Warum die „Moskau-Connection“ die Gemüter heute nicht mehr erregt
Noch bevor der russische Angriffskrieg auf die Ukraine vor zwei Jahren startete, war Altkanzler Gerhard Schröder schon unangenehm aufgefallen – da er die Ukraine kritisierte und Russlands Präsidenten Wladimir Putin verteidigte. Das war noch zu einer Zeit, als viele nicht mit Putins Aggression rechneten. Dann kam es anders, und danach war das Thema „Moskau-Connection“ in aller Munde. Konkret ging es dabei um mehrere Punkte: Hat Schröder mit seinen Russland-Geschäften zur Stabilisierung des Putin-Systems beigetragen und sich moralisch mitschuldig für den Krieg gemacht? Gibt es vor allem in der SPD ein Problem mit der Russland-Politik, da sie dem Egon-Bahr-Mythos vom „Wandel durch Annäherung“ folgend zu lange auf die Friedlichkeit und Verhandlungsbereitschaft Putins gesetzt hatte? Gibt es in der Gefolgschaft für Schröder gerade in der niedersächsischen SPD ein Netzwerk, das über viele Jahre von „Russland-Verstehern“ zu „Putin-Verteidigern“ geworden ist – und ist auch Ministerpräsident Stephan Weil Teil dieses Netzwerkes? Außerdem kam noch die Frage auf, ob zu einer solchen „Moskau-Connection“ auch eine enge Verflechtung zwischen Energiewirtschaft, SPD-Politikern und Putin-Getreuen gehört.
Nun ist es nicht so, dass diese Fragen als Thesen einfach in den Raum gestellt und nicht weiter erörtert worden wären. Verdienstvoll war vor allem das Buch der FAZ-Journalisten Reinhard Bingener und Markus Wehner, die vor knapp einem Jahr einen großen Teil dieser Verflechtungen aufgehellt und mit konkreten Darstellungen belegt hatten. Dieses Buch liegt in Niedersachsen auf vielen Wohnzimmertischen. Ein halbes Dutzend einflussreicher SPD-Politiker, die fast alle einen Bezug zu Hannover hatten, wurde von den FAZ-Autoren beleuchtet: Frank-Walter Steinmeier als heutiger Bundespräsident, der frühere Wirtschafts- und Außenminister Sigmar Gabriel, die frühere Bundesministerin Brigitte Zypries, der langjährige SPD-Landesgeschäftsführer Heino Wiese und Wirtschaftsführer aus Hannover wie Michael Frenzel und Günter Papenburg, für die Russland-Geschäfte zu einem Kernanliegen wurden.
Im Landtag hakten die CDU (und bis 2022 auch die FDP) mehrfach nach und erkundigten sich, warum Ministerpräsident Weil recht oft nach Moskau gereist war – und ob er denn wirklich protestiert habe, etwa gegen die Verhaftung des Regimekritikers Alexej Nawalny (der vor wenigen Tagen im Moskauer Gefängnis gestorben ist). Es gab ein Hin und Her über die Akteneinsicht, die von der CDU beantragt und von der Staatskanzlei teilweise abgelehnt oder hinausgezögert worden war. Ministerpräsident Stephan Weil selbst räumte in der Folge ein, er sei Fehlunterschätzungen erlegen – aber das gelte nicht nur für ihn, sondern auch für viele andere deutsche Politiker, auch für viele aus der CDU.
Warum spielt die „Moskau-Connection“ heute kaum eine Rolle in den Auseinandersetzungen? Dazu mehrere Thesen: Erstens ist die bundesweite SPD-Politik zur Ukraine derzeit uneinheitlich. Es gibt weiter die Russland-Versteher in der Partei, auch bleibt der Vorwurf, Kanzler Olaf Scholz sei etwa bei der nötigen Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern zu zurückhaltend. Gerade in den vergangenen Tagen kochte das wieder hoch. Aber richtig ist auch, dass im Konzert der europäischen Mächte die Bundesrepublik derzeit als besonders treuer Verbündeter der Ukraine gilt – und es eher andere Länder sind, die merklich abrücken. Dramatisch ist die Erwartung, im US-Wahlkampf könne die Unterstützung der USA verloren gehen. Angesichts dieser aktuellen weltpolitischen Veränderungen erscheint eine rückwärtsgewandte Analyse der „Moskau-Connection“ derzeit sekundär.
Zweitens hatte die Niedersachsen-CDU das Thema genutzt, um eine Schwachstelle bei Stephan Weil zu finden. Nun hat die Niedersachsen-SPD zwar mit Schröder nicht gebrochen, ihn nach langen internen Debatten sogar besonders für seine Parteimitgliedschaft geehrt. Weil selbst aber hält Distanz zu Schröder, außerdem gilt sein Bekenntnis der Fehleinschätzung zu Russland als weitgehend glaubwürdig. Das macht den Regierungschef hier zwar nicht immun gegen Kritik, es macht ihn aber weniger angreifbar. Drittens wächst angesichts von Erfolgen der Russen im Krieg und von Uneinigkeit in der ukrainischen Führung die Gruppe derer in Niedersachsen, die auf Verhandlungen hoffen – wohlwissend, dass dies von Putin als Schwäche interpretiert und ihn zu weiteren Vormärschen (etwa in Polen oder im Baltikum) ermuntern könnte. Die Zweifler, was den möglichen Sieg der Ukraine angeht, sind eher stärker als schwächer geworden. Nicht nur bei den Sozialdemokraten und Sahra-Wagenknecht-Anhängern findet diese Position offenbar immer mehr Anhänger. Das ist sehr bitter für die Ukraine – und bitter auch für jene, die auf mehr Aufhellung der „Moskau-Connection“ (zu der auch CDU-Politiker zählten) gehofft hatten.
Dieser Artikel erschien am 22.02.2024 in der Ausgabe #034.
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