Sie hat es geschafft. Eine Frau hat den Mut gefunden, den gewalttätigen Partner zu verlassen und mit den Kindern ins Frauenhaus zu flüchten. Das Jugendamt hatte sie schon länger dazu gedrängt: Ihre Aufgabe sei es, die Kinder vor Gewalt zu schützen. Nach drei Wochen kommt ein Brief vom Familiengericht: Das Umgangsrecht des Vaters müsse installiert werden.

In dieser Situation wenden sich Frauen an die Rechtsanwältin Asha Hedayati. Über ihre Erfahrungen vor Familiengerichten hat die Berlinerin ein Buch geschrieben mit dem Titel „Die stille Gewalt“. Ihre These: Nach der Trennung hört die Gewalt des Partners nicht auf. Staatliche Institutionen versäumen nicht nur, die Frauen zu schützen, sondern sie unterstützen den früheren Partner sogar dabei, Frauen weiter unter Druck zu setzen: psychisch, wirtschaftlich, durch Drohungen und Gewalt gegen die Kinder. Ausgerechnet zum Valentinstag haben Landtagsabgeordnete der Grünen Hedayati ins Forum des Landtages eingeladen. Zahlreiche interessierte Frauen und eine Handvoll Männer haben den Abend nicht bei einem romantischen Essen, sondern mit der Diskussion darüber verbracht, wie die Politik in Niedersachsen Frauen und Kinder besser schützen kann.

Anne Kura, die Vorsitzende der Grünen-Landtagsfraktion, nannte in ihrem Grußwort Zahlen: Jede vierte Frau erfährt irgendwann im Leben Gewalt durch ihren Partner oder ehemaligen Partner. Alle viereinhalb Minuten misshandelt ein Mann seine Partnerin oder seine frühere Partnerin. Noch häufiger betroffen sind Frauen, die bereits benachteiligt sind, etwa durch eine Behinderung oder einen prekären Aufenthaltsstatus.
„Richter haben Angst vor dem Vorwurf, nicht neutral zu sein. Meine Erfahrung ist, dass sie eher dem Vater zugeneigt entscheiden.“
Hartnäckig halte sich der Mythos, dass Männer in Familiengerichten benachteiligt werden, sagt Hedayati: „Richter haben Angst vor dem Vorwurf, nicht neutral zu sein. Meine Erfahrung ist, dass sie eher dem Vater zugeneigt entscheiden.“ Väter, die es in der Partnerschaft selbstverständlich fanden, dass die Frau den Großteil der Sorge für die Kinder übernimmt, machen es ihr nach der Trennung zum Vorwurf, wenn sie die Verantwortung nicht plötzlich gleichberechtigt teilen will. Die Richter, so Hedayati, geben dem neu entdeckten Engagement der Väter einen Vertrauensvorschuss: „Schauen Sie mal, er möchte sich jetzt mehr kümmern. Dass muss man doch unterstützen.“ Dann werden die Übergaben der Kinder dem Schichtplan des Mannes angepasst – und niemand fragt, was hilfreich für die Frau wäre, um beruflich wieder einzusteigen. Noch ein Vorurteil, das Hedayati mit Zahlen widerlegen will: Das Zerrbild der geldgierigen früheren Ehefrau. „Jede zweite Alleinerziehende bekommt gar keinen Unterhalt für ihre Kinder“, erklärt die Anwältin. 34 Prozent der Alleinerziehenden sind auf Bürgergeld angewiesen. Viele der Frauen, die sie vertritt, verzichten auf Unterhalt, weil sie Angst vor der Konfrontation mit ihrem früheren Partner haben – oder keine Kraft mehr zum Kämpfen.
„Gerichte suchen oft eine schematische Lösung. Sie betrachten nicht die Gesamtsituation der Familie.“
„Gerichte suchen oft eine schematische Lösung. Sie betrachten nicht die Gesamtsituation der Familie“, kritisiert Hedayati. Gewalt gegen die Mutter ist in den Fällen, die sie schildert, Teil dieser Gesamtsituation. Mit einer Studie kann sie belegen, dass das Risiko einer posttraumatischen Belastungsstörung für Kinder sogar höher ist, wenn sie Gewalt miterleben müssen, als wenn sie selbst Opfer werden. Trotzdem argumentieren Familiengerichte häufig, Gewalt gegen die Mutter betreffe das Kind nicht. „Die Standard-Entscheidung ist, dass der Umgang mit dem Vater gleich nach der Trennung erlaubt wird.“ Damit solle für das Kind „Normalität zurückkehren“. Für die Anwältin ist das eine Bagatellisierung der Gewalt: „Jede Übergabe des Kindes birgt wieder ein Gewaltrisiko.“
Die Richter entscheiden dabei auf der Grundlage eines Gesetzes, das den Umgang mit beiden Elternteilen als „dem Kindeswohl dienlich“ ansieht. Hedayati meint dazu: „Man muss am Kindeswohl-Begriff arbeiten. Wir müssen wegkommen vom Ideal Vater, Mutter, Kind. Das muss nicht sein, damit ein Kind glücklich und gesund aufwächst.“ Mütter, die sich trennen, werden wegen dieses gesellschaftlichen Ideals von Scham und Schuldgefühlen gequält – auch dann, wenn sie ihre Kinder aus einer gewaltvollen Familienkonstellation befreit haben.
Dabei ist in der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen, die Deutschland mitunterzeichnet hat, der Zusammenhang von Partnerschaftsgewalt und Kindeswohlgefährdung benannt. Der Europarat, erklärt Hedayati, habe Deutschland schon dafür gerügt, dass dieser Zusammenhang nicht ausreichend berücksichtigt werde. Noch eine weitere Anforderung der Istanbul-Konvention ist in Deutschland unerfüllt: Für die Umsetzung, Beobachtung und Bewertung der politischen und sonstigen Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt sollen Koordinierungsstellen eingerichtet werden. Hier wollen die Grünen ansetzen: 2023 haben sie den Entschließungsantrag in den Landtag eingebracht mit dem Ziel, eine ressortübergreifende Koordinierungsstelle innerhalb der Landesregierung zu schaffen.
Als rechtspolitische Sprecherin ihrer Fraktion sieht sich Evrim Camuz mit „zig Fällen“ betroffener Frauen konfrontiert. Sie plant, auch bei der Fortbildung der Richter nachzujustieren, sagte sie im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. Bevor Juristen in den Landesdienst aufgenommen werden, sollen sie eine verpflichtende Fortbildung zum Thema Partnerschaftsgewalt absolvieren. Die Auswahl und Überprüfung von Sachverständigen, die Gutachten für die Familiengerichte erstellen, liegt ebenfalls in der Kompetenz der Länder. Auch hier hatte Hedayati scharfe Kritik geübt: „Fünfzig Prozent der Gutachten weisen methodische Mängel auf. Trotzdem müssen die betroffenen Eltern die Kosten dafür tragen.“ Das Verhältnis von Gerichten auf der einen und Gutachtern und Verfahrensbeiständen auf der anderen Seite hält die Anwältin für missbrauchsanfällig. Denn die Richter bestellen immer wieder die gleichen Personen und können dadurch im Vorfeld schon eine Tendenz steuern. Camuz kennt einen Fall, in dem eine Mutter auf eigene Kosten ein zweites Gutachten in Auftrag gegeben hatte. Es kam zu einem anderen Schluss als der vom Gericht bestellte Sachverständige. Dieses Gutachten sei vom Gericht nicht berücksichtigt worden – eben weil es von der Mutter bestellt worden war.
„Ich muss Betroffenen raten, nicht alle Gewalterfahrungen vor Gericht vorzubringen.“
In den Urteilen stößt Camuz immer wieder auf einen Begriff: „Bindungsintoleranz“. Dahinter verbirgt sich eine paradoxe und oft genug ausweglose Situation für die Mutter: Wenn sie mit den Kindern den gewalttätigen Vater verlassen hat, wie es oft sogar das Jugendamt von ihr gefordert hat, muss sie dem Umgang der Kinder mit dem Vater zustimmen. Denn sonst riskiert sie, von Gutachtern und Gerichten als „bindungsintolerant“ abgestempelt zu werden. Der Begriff meint, sie dulde keine Bindung des Vaters zu seinen Kindern. Dabei, so Hedayati, gehe es ihren Mandantinnen nur darum, ihre Kinder vor Gewalt zu schützen. Im schlimmsten Fall wird der Mutter mit dieser Begründung das Sorgerecht entzogen und die Kinder zum gewalttätigen Vater geschickt. „Ich muss Betroffenen raten, nicht alle Gewalterfahrungen vor Gericht vorzubringen“, sagt Asha Hedayati. Denn sonst riskieren sie, ihre Kinder zu verlieren.