1. Juli 2019 · 
Finanzen

Warum die Große Koalition plötzlich ihre Zuneigung zu den Landesbeamten entdeckt

Als am Sonntag in der brütenden Hitze vor dem Dormero-Hotel in Hannover der DGB-Landesvorsitzende Mehrdad Payandeh auf Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU) traf, herrschte einige Sekunden lang beklemmende Stille. Beide begegneten sich vor dem Auftakt der diesjährigen Haushaltsklausurtagung der Landesregierung. DGB, Verdi, GEW, GdP und Beamtenbund protestierten draußen, drinnen diskutierten Minister und Staatssekretäre.

Der Gewerkschafter hatte den gerade ankommenden Minister gefragt, warum die Regierung trotz der jahrelangen guten Haushaltslage nicht endlich ihr Versprechen einlöse, das Weihnachtsgeld für die Beamten wieder einzuführen. „Genug Geld war in den vergangenen Jahren doch da“, sagte Payandeh, und Hilbers konnte darauf spontan nicht viel erwidern. Er steht ja schließlich auch erst seit knapp zwei Jahren an der Spitze des Finanzressorts.

Ein leistungsfähiges Land benötigt auch einen wettbewerbsfähigen öffentlichen Dienst.


Tatsächlich ist auch aus Sicht der Regierung 2020 nun der Zeitpunkt gekommen, den Beamten etwas Gutes zu tun. Die Koalition hat in ihrer Klausurtagung entschieden, die jährliche Sonderzahlung für Beamte wieder einzuführen. Bis zur Besoldungsgruppe A8, für die es bisher schon einen Anerkennungsbetrag von jährlich 420 Euro gegeben hatte, werden künftig 920 Euro gezahlt. Alle, die darüber liegen, erhalten ein Weihnachtsgeld von jährlich 300 Euro. Das betrifft die vielen Polizisten (die mit A9 starten), aber auch die Lehrer und Finanzbeamten. Für die Pensionäre gibt es – mit Ausnahme der erhöhten Kinderzulage - zwar nichts, was all jene ins Grübeln bringen dürfte, die darin eine Ungleichbehandlung zwischen aktiven und nicht mehr aktiven Staatsdienern sehen. Aber dafür dürfen sich auch höhere Besoldungsgruppen über ein Weihnachtsgeld freuen, die im Vorschlag der Grünen-Landtagsfraktion noch leer ausgegangen waren. „Ein leistungsfähiges Land benötigt auch einen wettbewerbsfähigen öffentlichen Dienst“, sagte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) gestern zur Begründung. Man komme den Beamten entgegen.

Kein Raum für neue Wohltaten?

Aber ist das wirklich das Hauptmotiv? Schon im März hatte die SPD-Landtagsfraktion die Rückkehr zu einem Weihnachtsgeld gefordert, damals noch von Skepsis aus der CDU begleitet. Anfang Juni dann stießen in der Klausurtagung der CDU-Landtagsfraktion zwei verschiedene Richtungen aufeinander. Das Finanzministerium betonte, die auf mittelfristige Sicht wieder schrumpfenden Steuereinnahmen ließen keinen Raum für neue Wohltaten, also auch nicht für das Weihnachtsgeld. Die andere Position wurde vom Fraktionsvorstand vertreten: Man dürfe es der SPD nicht überlassen, in diesem Streit allein auf der Seite der Beschäftigten zu stehen – und müsse sich beim Weihnachtsgeld bewegen. Dabei spielte auch eine Rolle, dass sich in den vergangenen Monaten eine mächtige Front gebildet hatte. Die DGB-Gewerkschaften schwenkten voll auf die Linie des Beamtenbundes ein und stellten die Weihnachtsgeld-Forderung an die Spitze ihres Wunschkataloges, obwohl doch die wenigsten Beamten im DGB engagiert sind. Diese gelebte Solidarität war auch während der Kabinettsklausur in der Protestaktion vor dem Tagungshotel zu erkennen, wenn auch mit einer kleinen Einschränkung. Als die Demonstranten ihre Resolutionen an Ministerpräsident Weil überreichen wollten, blieben DGB-Gewerkschaften hier und Beamtenbund dort noch getrennt. Zuviel Gemeinsamkeit wollten sie dann doch nicht zeigen. Vermutlich steckt hinter den Regierungsbeschlüssen mehr als nur eine neuentdeckte Zuneigung zu den Wünschen von Gewerkschaften und Beamten. Zwei objektive Probleme zwingen die Politiker zum Einlenken. Zum einen mehren sich Hinweise, dass der Nachwuchsmangel sich auf den öffentlichen Dienst ausweitet. Es wird immer schwieriger, qualifizierte Bewerber für Beamtenstellen (besonders im begehrten Bereich der IT-Verwaltung, aber auch in anderen Fachbereichen) zu finden. Wenn nun Niedersachsen bundesweit weiter im Ruf steht, zu den Ländern mit der schlechtesten Beamten-Bezahlung zu gehören, ist das im bundesweiten Werben um Fachleute für den öffentlichen Dienst ein erheblicher Standortnachteil. Dieser Zustand muss beendet werden. Der zweite Grund ist juristischer Natur. Das Bundesverwaltungsgericht hatte im vergangenen Jahr massive Zweifel daran geübt, dass die niedersächsische Beamtenbesoldung dem Grundgesetz entspricht – da der nötige Abstand der unteren Lohngruppen zum Existenzminimum nicht gewahrt sei. Die Richter schickten ihre Bedenken daher an das Bundesverfassungsgericht, und dort wird vermutlich 2020 oder 2021 darüber endgültig entschieden. Nun waren Hilbers und seine Fachleute im Ministerium der Ansicht, man solle dieses Urteil gelassen abwarten, denn die Argumente des Bundesverwaltungsgerichts widersprächen der bisherigen Linie der Karlsruher Richter. Die Chancen seien also groß, dass das höchste Gericht der Republik das niedersächsische Besoldungssystem nicht als „verfassungswidrig“ einstufen würde. Doch mit dieser Ansicht blieb das Finanzministerium regierungsintern offenbar in einer Minderheit. Andere argumentierten so: Falls Karlsruhe ein für Niedersachsen höchst ungünstiges Urteil womöglich erst wenige Monate vor der Kommunalwahl 2021 fällen sollte, wäre das besonders schmerzlich für die Regierungsparteien. Deshalb solle diese mögliche Schwachstelle möglichst rasch beseitigt werden. Mit dem 920-Euro-Weihnachtsgeld für die niedrigen Besoldungsstufen geschieht das nun auch. Wenn das erwartete Urteil eine Niederlage für die Regierung ist, kann man immerhin sagen, bereits mit dem Haushalt 2020 gegengesteuert und die Kritikpunkte beseitigt zu haben.

Wir müssen in den nächsten Jahren darüber reden, ob wir eine schrittweise Erhöhung der Zulage möglich ist.


Bei der Zulage für die 40.000 noch nach A12 bezahlten Grund-, Haupt- und Realschullehrer ist die Situation etwas anders. Sie sollen von 2020 an monatlich 94 Euro zusätzlich erhalten – und auch das hat mit der verschärften Wettbewerbssituation zu tun. Bisher ist es dem Kultusministerium stets noch gelungen, genügend gut qualifizierte Bewerber für die ausgeschriebenen Lehrerstellen zu bekommen. Doch in einem Jahr, wenn plötzlich für einen Jahrgang 1425 neue Lehrer an den Gymnasien gebraucht werden, könnte sich die Situation verschlimmern, vor allem an den Grundschulen. Da auch andere Bundesländer dabei sind, ihre A12-Lehrer besser zu bezahlen, will Niedersachsen hier nicht ins Hintertreffen geraten – sondern die Lehrerstellen attraktiver als bisher anbieten. Allerdings ist die Lücke zwischen A12 und A13 je nach Erfahrungsstufe zwischen 400 und 500 Euro groß, also ein Vielfaches der 94 Euro. Weil sagte: „Wir müssen in den nächsten Jahren darüber reden, ob wir eine schrittweise Erhöhung der Zulage möglich ist.“ (kw)
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #122.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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